Dieses Buch Freunden weiterempfehlen.
Dieses Buch kaufen bei Amazon.de
Buy Banana Yoshimoto: Autorenporträt at Amazon.com (USA)
Weitere Buchbesprechungen bei Amazon.de.
1986 - gerade 22-jährig - veröffentlichte Banana Yoshimoto ihre erste Erzählung Moonlight Shadow, für die sie postwendend den Izumi-Kyoka-Preis ihrer Tokyoter Universität verliehen bekam.
Ein Jahr später publizierte sie mit Kitchen ihren ersten Bestseller. Der Roman schlug in Japan ein wie eine Bombe; es regnete Preise und Auszeichnungen. Kitchen wurde seither zweimal verfilmt und über sechzigmal neu aufgelegt. Bislang veröffentlichte sie in Japan 18 Romane, Erzählungen und Essays.
Banana Yoshimoto erfreut sich in Japan, insbesondere unter jungen Lesern, einer beispiellosen Beliebtheit: In ihren orientierungslosen aber lebenshungrigen Figuren können sich die japanischen Jugendlichen wiederfinden; auch sie stehen zwischen Traditionsbewußtsein und den gesellschaftlichen Zwängen der japanischen Hochleistungsgesellschaft; und die Sprache zwischen Poesie und Comic, diese freche und melancholische, von undefinierten und unerfüllten Hoffnungen geprägte Sprache - die sprechen auch sie.
Aber kann diese Faszination auch uns deutsche Leser erreichen, die wir weitaus weniger Comics konsumieren als unsere japanischen Generationsgenossen, die wir in einer vollkommen anderen Gesellschaft leben und einen denkbar anderen kulturellen Hintergrund haben als Banana Yoshimoto?
Der Titel der kaum 50-seitigen Erzählung Moonlight Shadow (deutsch 1992) ist dem gleichnamigen Lied von Mike Oldfield entliehen, und die Story ist es im Grunde auch: Der Freund der Icherzählerin ist, zusammen mit der Freundin seines Bruders, bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen. Sein Bruder, Hiiragi, hat den Unfall überlebt. Da Satsuki, die Protagonistin, und Hiiragi das gleiche Schicksal teilen, irgendwie über den Verlust ihres Partners hinwegkommen zu müssen, kommen sie einander näher. Satsuki lernt aber nicht nur den Bruder ihres verunglückten Freundes näher kennen, sondern überdies eine eigenartige Frau, die sie an einem bestimmten Tag um eine bestimmte Stunde zu einer bestimmte Brücke lotst - etwas Großartiges gebe es dort zu sehen, etwas, das nur alle hundert Jahre einmal stattfinde. Und tatsächlich kann Satsuki im Licht des untergehenden Mondes einen letzten Blick auf ihren toten Freund werfen, der ihr über den Fluß hinweg einen allerletzten Gruß zuwinkt.
Die Grundelemente der wunderbaren Welt Banana Yoshimotos treten in ihrem Erstling bereits deutlich zutage: Die unwahrscheinliche Häufung unwahrscheinlicher Ereignisse, der Glaube an die Kraft der Träume, die als Vorahnungen handgreiflich auf das 'wirkliche' Leben einwirken, die allgemeine Tendenz zum Esoterischen, sowie der melancholische Grundton:
"Als ich dann zum ersten Mal in meinem Leben einen Menschen verlor, den ich wie keinen anderen geliebt hatte, brach die Welt für mich zusammen. Schon allein das Atmen fiel mir schwer. Seit der Nacht, in der Hitoshi starb, war mir, als sei mein Herz in eine andere Welt geflohen, aus der es nicht mehr zurückfand. Es schien mir absolut unmöglich, die Dinge mit den gleichen Augen zu sehen wie zuvor. Aufgewühlt und unfähig zu denken, trieb ich ziellos, haltlos dahin. Ich war verbittert, daß ich eine jener Erfahrungen gemacht hatte, die vielen Menschen das ganze Leben erspart bleiben: auch eine Abtreibung gehört dazu, ein Job in einer Bar oder eine schwere Krankheit."
Auch ein Leitmotiv aller weiteren Bücher Banana Yoshimotos ist in Moonlight Shadow bereits entwickelt: Die Erfahrung mit dem Sterben und dem Tod, die ohnmächtige Wut darüber, letztlich aber die Gewißheit, daß rechtzeitig, kurz bevor man an der Situation verzweifelt, von irgendwoher eine helfende und rettende Hand nach einem ausgestreckt wird.
In Kitchen (deutsch 1992 - zusammen in einem Band mit Moonlight Shadow) wird dieses Motiv weiter ausgebaut:
"Zum ersten Mal in meinem Leben machte ich mit meinen eigenen Händen und Augen die Erfahrung, wie groß die Welt und wie tief ihre Dunkelheit ist, erlebte ich, von welch unendlicher Faszination, aber auch grenzenloser Einsamkeit sie ist."
Die Heldin, Mikage, wächst, da ihre Eltern früh gestorben sind, bei ihrer Großmutter auf. Als auch diese stirbt, ist Mikage zunächst ganz alleine auf der Welt, allerdings nicht lange:
Yuichi, ein flüchtiger Bekannter, und dessen transsexuelle Mutter Eriko nehmen Mikage bei sich auf, bis sie wieder auf eigenen Beinen stehen kann. Doch auch Eriko stirbt, und nun sind Mikage und Yuichi vollends verlassen. Indem sie einander beistehen, kommen sie einander immer näher…
Eine banale Liebesgeschichte also? Trivialliteratur unter dem Deckmäntelchen der 'Frau in der Gesellschaft' oder derlei? À la Doris Dörrie, Hera Lind, Gaby Hauptmann, Ingrid Noll und wie sie alle heißen? Keineswegs - Banana Yoshimoto hat wahrlich literarische Qualitäten: Die Sprache, die zuweilen ebenso deutlich an die japanischen Comics angelehnt ist wie die mitunter phantastisch anmutenden Handlungen, offenbart in ihrer vermeintlichen Spröde oder gar Hingerotztheit zuweilen durchaus poetischen Gehalt:
"Jene Zeit, in der wir glücklich waren, glich einem leuchtenden Kristall, der plötzlich tief in meiner Erinnerung aus seinem Schlaf erwacht war und uns vorantrieb. Wie durch einen frischen Windstoß war der Duft jener Tage in mein Herz zurückgekehrt."
Zuweilen wirkt diese Poesie ein wenig unbeholfen und fehl am Platz zwischen Phrasen wie
"Pitsch, patsch lief ich an den regenbogenfarbenen Lichtern vorbei, die sich in dem nassen Weg spiegelten." "Ding-dong, klingelte es an der Tür."
Banana Yoshimotos scheinbar oberflächliche Heldinnen und Helden, die beständig fernsehen, Comics lesen, Fast Food essen und auf flachen Dialogen durch die Welt plätschern, zeichnen sich mitunter durch einen Tiefgang - und vor allem eine tiefgehende und -greifende Melancholie und Traurigkeit aus, die betroffen macht:
"Lieber Gott, mach, daß ich irgendwie durchs Leben komme." "Ich muß erwachsener, größer werden. Viel wird geschehen und mich im Innersten treffen. Vieles wird weh tun, und immer wieder muß ich auf die Beine kommen. Aber ich darf mich nicht unterkriegen lassen, darf nie die Kraft verlieren."
Banana Yoshimoto zeichnet mit knappen Worten in dieser eigentümlichen Sprache eindrücklich und lebendig Personen, Charaktere und Gefühle, und dies so überzeugend, daß sich in Japan bereits sechs Millionen Leser begeistern und damit identifizieren können. Kitchen ist keineswegs das unschuldig-naive Geschichtchen, als das es zunächst erscheinen mag. Das Buch trifft tatsächlich den Nerv und das Lebensgefühl der japanischen 'Generation X'. Es ist ein Kultbuch - und zurecht. In diesem Sinne ist auch das Nachwort zu Moonlight Shadow zu lesen. Die Autorin hat eine 'Message', und so naiv diese zunächst anmuten mag, so rührend und ergreifend ehrlich ist sie doch:
"Zuletzt ein Wort an die Leser dieses Buches. Es ist mein erstes Buch, und sicher ist es nicht ganz ausgereift. Dennoch würde ich mich freuen, wenn es ein klein wenig Mut machen könnte. Und ich wünsche all meinen Lesern bis zu unserer nächsten Begegnung von ganzem Herzen eine glückliche Zeit."
Die Stimmung, die Sprache und die Charaktere belegen bereits auf den ersten Seiten des Romans N.P. (deutsch 1993) die unverkennbare Handschrift Yoshimotos. Hinzugekommen ist der Ausbau der in Kitchen nur unterschwellig vorhandenen erotischen Komponente, sowie eine packende Thriller-Handlung:
Beim Schreiben seiner 98sten Erzählung - einer ziemlich wilden Geschichte - hat sich der Schriftsteller Sarao Takase das Leben genommen:
"Der geschiedene, alleinlebende Held mit wüstem Lebensstil verliebt sich in ein offenbar minderjähriges Mädchen, das er in einer Vorstadtbar kennengelernt hat. Nachdem er mehrmals mit ihr geschlafen hat, erfährt er, daß sie seine Tochter ist. Die betörenden Reize der eigenen Tochter nehmen ihn gefangen. Es ist nicht bloß eine Lolita-Geschichte. Gegen Ende, wahrscheinlich aufgrund von Drogen und Alkohol, wird es ungeheuer phantastisch, findest du nicht?"
Auf eigenartige Weise greift diese Geschichte in die Realität ein. Keiner der drei Leute, die mit der japanischen Übersetzung zu tun gehabt hatten, ist mehr am Leben. "Der Universitätsprofessor, der sich zuerst daran versuchte, die Studentin, die die Rohübersetzung anfertigte, und dann Shoji. Alle Selbstmord."
Shoji war der letzte Freund von Kazami, der Protagonistin, gewesen, die sich nun ebenfalls an die Übersetzung wagen will. Das Manuskript der Kurzgeschichte hatte Shoji seinerzeit von Saki und Otohiko, den Kindern Takases, erhalten.
Womöglich eine tatsächliche Inzest-Geschichte? Etwas eigenartig scheinen Saki und Otohiko durchaus zu sein…
Richtig verdächtig allerdings wird es, als Sui auftaucht, eine bislang verheimlichte Halbschwester von Saki und Otohiko. Sui hatte nun tatsächlich mit ihrem Vater geschlafen, später dann auch mit Shoji - und nun hat sie ein Verhältnis mit ihrem Halbbruder Otohiko.
Kazamis Eingebung zu Beginn des Buches scheint sich zu bewahrheiten:
"'Irgendwie ist mir komisch zumute, als säße ich hier mit einer Romanfigur zusammen.' 'Meinst du mich?' 'Ja, eine Romanfigur, der ich plötzlich leibhaftig begegne.'"
In einem edozeitlichen Erzählspiel sitzt man in sommerlicher Runde beisammen und erzählt reihum Geschichten. Sobald die hundertste Geschichte erzählt ist, erscheint - so die Legende - ein Geist. Wie ein Geist taucht zunächst die 99ste Erzählung Takases auf. Was wird die 100ste sein? Das Leben, das die 99 vorangehenden Erzählungen in sich birgt und verknüpft?
"Ein Leben, das nicht Fiktion ist, gibt es das…?"
Eine bizarre 'Freundschaft für einen Sommer' steht auch in Tsugumi (deutsch 1996) im Zentrum der Handlung. Erzählt wird der letzte gemeinsame Sommer zweier 19jähriger Cousinen. So grundverschieden die beiden Mädchen innerlich und äußerlich auch sein mögen, verbindet sie doch eine tiefe Freundschaft, vielmehr ein innerer Zwang zu dieser Freundschaft, eine - durchaus auch erotisch zu verstehende - Obsession.
"Um heimzukehren ist in meinem Herzen kein anderes Zuhause geblieben, als die Erinnerung an die Zeit mit Tsugumi."
Auch die Faszination am radikal Anderen zieht sich wie ein roter Faden durch sämtliche Yoshimoto-Bücher. Gegensätze ziehen einander nicht nur an, sie bedürfen einander; alleine sind sie weder vollständig noch letzten Endes gar lebensfähig.
Auch dieses Motiv wird im nächsten Band von Banana Yoshimoto - Dornröschenschlaf. Drei Erzählungen von der Nacht (deutsch 1998) - weitergesponnen. Das Nachwort zu Moonlight Shadow war keineswegs unüberlegt dahergeplappert, sondern hatte sich durchaus programmatisch verstanden: "Ich wünsche all meinen Lesern bis zu unserer nächsten Begegnung von ganzem Herzen eine glückliche Zeit." Einerseits klingt hier wieder die Verwandtschaft des Erzählten zur Comicwelt an - 'heute ist nicht alle Tage', sozusagen, 'ich komm wieder, keine Frage' - andererseits wird, im Nachhinein betrachtet, klar, daß sich Yoshimotos Erzählungen als Fortsetzungen verstehen: In Moonlight Shadow und Kitchen sind der Grundton, die Leitmotive und die Charaktere eingeführt worden, in N.P. und Tsugumi kam die packende Handlung hinzu, die Erotik und deren Steigerung, der Tabubruch. Die zu einem Band zusammengefaßten Erzählungen Dornröschenschlaf, Wanderer der Nacht und Eine geheimnisvolle Erfahrung setzen voraus, daß dem Leser all dies bereits hinlänglich bekannt ist. Yoshimoto kann daher darauf verzichten, das Grundgerüst abermals aufzubauen und direkt in die Handlung einsteigen. Den unerfahrenen Yoshimoto-Leser mag die denkbar knappe Handlungsführung und Zeichnung der Figuren befremden, das treue Yoshimoto-Gefolge erkennt bereits auf der ersten Seite unmißverständlich die bekannte Yoshimoto-Welt wieder und findet sich mühelos in ihr zurecht.
Alle drei Geschichten kreisen um den Themenkomplex 'Liebe und Tod'. Drei junge Frauen müssen sich mit dem Tod eines nahestehenden Menschen auseinandersetzen - dem Tod des Geliebten, der besten Freundin und sogar der Konkurrentin in Liebesdingen. Alle drei finden völlig unterschiedliche Lösungen, ihre jeweilige Krise zu bewältigen.
"Diese drei Geschichten sind sozusagen Geschwister - in gewissem Sinne könnte man sie vielleicht sogar als eine einzige große Erzählung ansehen."
schreibt Banana Yoshimoto im Nachwort zu ihrem Erzählband, und tatsächlich sind die einzelnen Kurzgeschichten - jede für sich gelesen - keineswegs komplett.
Ebenso wie sie inhaltlich und stilistisch ineinander übergehen und ein Gesamtbild ergeben, passen sämtliche Erzählungen Banana Yoshimotos zusammen wie Steine in einem Mosaik. Jede neue Erzählung fügt eine weitere Facette hinzu und erweitert das Yoshimoto-Welt-Bild um eine Dimension.
Ihr nächstes Buch Amrita wird im August dieses Jahres erscheinen, und man darf gespannt sein, wie es die wunderbare Welt der Banana Yoshimoto ergänzt, umwandelt oder neu interpretiert.
Die internationale Kritik hebt das Identifikationspotential für die japanischen Jugendlichen hervor, das in den Büchern Banana Yoshimotos steckt, das Sprachrohr, das die Autorin für die japanische Jugend ist, die Lücke in der japanischen Literatur, die Banana Yoshimoto schließt.
Schön, schön; aber wie gefragt: Was hat dies alles mit uns zu tun, die wir zwar japanische Autos fahren, japanische Fotoapparate und japanische Hifi-Anlagen benutzen, die wir aber unser Japanbild größtenteils aus Klischees und Vorurteilen zusammensetzen?
Wir lernen in Banana Yoshimotos Büchern ein Japan - ein Alltagsjapan - kennen, das eben diesen Klischees und Vorurteilen erfrischend wenig entspricht - oder auch nicht… Einblicke also in das japanische Leben. So weit, so gut - aber das ist noch nicht alles:
Banana Yoshimoto ist keineswegs 'nur' eine japanische Schriftstellerin für ein spezifisch japanisches Lesepublikum. Auch spricht sie keineswegs ausschließlich Jugendliche an. Die Konflikte, in die ihre Helden gestürzt werden und die sie bewältigen müssen, sind weder japan-, noch jugendspezifisch, sondern ebenso wie die Sprache Yoshimotos allgemein und international - zumindest aber allgemein und international verständlich, nachvollziehbar und - bezaubernd.
Ihr Kauf bei unseren Shop-Partnern sichert das Bestehen dieses Angebotes.
Danke.
Weitere Titel von und Rezensionen zu Banana Yoshimoto
Banana Yoshimoto: Autorenporträt
Buy Banana Yoshimoto: Autorenporträt at Amazon.com (USA)
carpe librum ist ein Projekt von carpe.com und © by Sabine und Oliver Gassner, 1998ff.
Das © der Texte liegt bei den Rezensenten. - Wir vermitteln Texte in ihrem Auftrag. - librum @ carpe.com
Impressum -- Internet-Programmierung: Martin Hönninger, Karlsruhe -- 19.06.2012