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„Liebster ... Ich warte auf Dich wie auf eine Gefahr. Binde mich!
Mein Körper will nichts als die unsichtbaren Fesseln, die Du in der
Hand hältst. Wo bist Du jetzt? Was tust Du?“ Schwärmerisch
und uferlos ist Anjas Liebesbrief, ihr „Liebeswunsch“ füllt Seite
um Seite, die Blätter liegen auf dem Boden herum. So hemmungslos gibt
sie sich ihrem großen Gefühl hin, daß sie den Bezug zur
Realität verliert. Der Geliebte, Paul, wendet sich ab, er erlebt die
leidenschaftlichen Ergüsse als „Liebeswahn“ und „Freiheitsberaubung“.
Anjas Ehe zerbricht, sie selbst stürzt sich erst in den Alkohol und
dann vom 14. Stock eines Hochhauses in den Tod. Jahre später, beim
Versuch, sein Interesse an Anja zu erklären, gelingt es Paul nicht,
ein schlüssiges Bild von ihr zu entwerfen. „Sie ist zerspalten
und verborgen in den verschiedenen Köpfen.“
Es sind vier verschiedene Köpfe, die in diesem Roman ihre
Bilder von Anja und ihrer tragisch endenden Geschichte neben- und gegeneinanderstellen.
Marlene, Leonhard und Paul kennen sich schon länger. Leonhard ist
dabei zunächst der Verlierer, denn Marlene hat ihn für Paul verlassen.
Die Dreierfreundschaft läßt sich aber wieder kitten. Und als
Anja dazukommt und sich mit Leonhard verheiratet, scheint die Symmetrie
wiederhergestellt. Marlene organisiert das gemeinsame „Gesellschafts-
und Kulturleben“ der zwei Paare, man unternimmt Reisen und trifft sich
zum Romméspiel, die vier funktionieren wie ein „menschliches Mobile“.
Die Harmonie ist aber eine Illusion. Während Anja nicht aufpaßt,
verbrüht sich ihr Sohn Daniel mit kochender Milch. Der Unfall offenbart
die Risse im Gefüge. Anja, schon immer schwierig und labil, fängt
an zu trinken und beginnt ein Verhältnis mit Paul. Leonhard läßt
sich scheiden, Marlene trennt sich von Paul, Anjas Selbstmord setzt den
Schlußpunkt.
Dieter Wellershoff, der in diesem Jahr 75 Jahre alt wird, hat
sein literarisches Arbeiten immer auch essayistisch reflektiert (Kölner
Schule des Neuen Realismus). Sehr klar und bewußt konstruiert ist
auch der neue Roman. Die Aufmerksamkeit konzentriert sich ganz auf die
vier Beteiligten (Anjas bemitleidenswerter Sohn Daniel gibt der Handlung
seinen Impuls und verschwindet dann aus dem Scheinwerferlicht), die aus
ihrer jeweiligen Perspektive berichten und dabei die drei anderen in unterschiedlichem
Licht spiegeln. So entsteht von jeder der Figren ein sorgfältig zusammengesetztes
Bild - Leonhard, der Verläßliche, erfolgreicher Richter, schwer
und massig gebaut, wenig sensibel und auf die Sicherheit äußerer
Formen vertrauend, der „geborene Verlierer“; Paul, der „geborene
Betrüger“, Chirurg, sehr maskulin mit schwarzbehaarten Armen und
tiefer, rauher Stimme, ohne eigene Substanz, „eigentlich immer von außen
mit Gefühlen und Gedanken gefüllt“; Anja die Ziellose, die
mit ihrer „schlafwandlerischen Sinnlichkeit“ die Männer anzieht
und mit ihrer Schwäche die anderen beherrscht; Marlene, Internistin,
die Elegante, mit ihrer bewunderten Überlegenheit in allen Belangen
des Lebens wie selbstverständlich das Vierermobile beherrschend.
Dessen Bewegungen sind sehr genau beobachtet (beziehungserfahrene Leser
werden manchen Aha-Effekt erleben), das jeweilige Verhalten bis in den
beruflichen Alltag hinein dokumentiert. Der Roman beginnt als Rückblick
- Paul an der Stätte von Anjas Selbstmord - mit der Wirkung, daß
die folgende Geschichte, die auf diesen Selbstmord zuläuft, etwas
Zwingendes, Schicksalhaftes annimmt. Die Ehe Anjas mit Leonhard erscheint
als Falle, so wie Anjas Leidenschaft für Paul. Allerdings sind die
vier oft kaum zu unterscheiden, alle in der gleichmäßig gepflegten,
ruhig ausholenden Wellershoff-Prosa sprechend, sehr homogen als Gruppe,
so daß sich beim Blick auf den anderen selten eine wirklich überraschende
Fremdheit einstellt. Auffallend ist auch die völlige Abwesenheit von
Humor. Es ist Wellershoff sehr ernst mit diesen Menschen.
Die vier im Mobile machen sich nicht nur Bilder voneinander,
sondern auch vom Leben - Bilder, die der Realität nicht standhalten.
Anjas Liebe entpuppt sich als Wahn, sie kann die Welt nur noch hinter dem
Schleier des Alkohols ertragen. Paul liebt die Frauen, aber er versteht
sie nicht. Leonhards Strategie, Anja zu einem „Bestandteil seiner Welt“
zu machen, scheitert auf der ganzen Linie. Marlenes „Phantasie von einem
Lebensbündnis zweier ebenbürtiger, starker Menschen“ erweist
sich als ein Hohn, ebenso wie ihre Idealisierungen, mit denen sie das Mobile
zu erhalten versucht hat. Der Zusammenbruch der Illusionen kann, so zeigt
das Buch, zur Selbstauslöschung führen, aber auch zu einer Nüchternheit,
die einen Hauch von Weisheit hat.
Eva Leipprand
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Danke.
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