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Gerüchten zufolge soll es immer noch Menschen geben, die hemmungslose Leser sind. Der in Tübingen lebende Rolf Vollmann (Jahrgang 1934) ist zweifellos ein besonderes Exemplar dieser raren Gattung. Das Ergebnis seiner Obsession liegt nun unter dem Titel "Die wunderbaren Falschmünzer. Ein Romanverführer. 1800-1930" als Buch vor. Es hat gute Chancen, zu einer Bibel aller Bücher-süchtigen zu werden, denn das Werk ist in mehrerer Hinsicht gewaltig: auf über tausend Seiten will Vollmann seinem Lesepublikum ebensoviele Romane nahebringen. Wie der Buchtitel schon andeutet, handelt es sich nicht um einen der üblichen Romanführer, die - mehr oder weniger geglückt - und mit genormter Wortlänge sich alphabetisch durch die Literaturgeschichte quälen - ganz im Gegenteil.
Vollmanns "Roman-Verführer" wird denn auch vom Eichborn Verlag als "Roman über Romane" angepriesen, wobei es sich ausnahmsweise nicht um eine Übertreibung der hauseigenen Werbeabteilung handelt. Wie sieht ein solches Buch nun aus? Das Gliederungsprinzip ist chronologisch. Jedes Jahr hat einen eigenen Abschnitt erhalten, jeweils fünf Jahre werden zu einem Kapitel zusammengefaßt. Zu Beginn jedes Jahres berichtet der Verfasser über literarische Todesfälle bzw. bemerkt lapidar "Keine Toten dieses Jahr". Bei diesen "Grabschriften" (insgesamt 194) handelt es sich um pointierte Nachrufe. Einmal bekommt ein Verstorbener nur einen Satz, ein andermal eine Seite oder mehr. Im Anschluß daran widmet sich Vollmann den Romanen des Jahres. Auch dabei ist seine Vorgehensweise höchst abwechslungsreich. Man stößt bei der Lektüre auf sanftes Lob und milden Tadel, auf hemmungsloses Schwärmen und böse Verrisse, auf knappe Inhaltsangaben und persönliche Leseeindrücke, auf literarischen Klatsch und sarkastische Bemerkungen. Am Ende jedes Jahres folgen dann noch - analog den Todesmeldungen - Geburtsanzeigen bedeutender Romanciers. Angereichert wird das ganze noch durch eine große Anzahl wunderbarer Fußnoten zu allen möglichen Themen sowie regelmäßigen biographischen Exkursen über die wichtigsten Autoren. Daß dies alles brillant und fesselnd geschrieben ist, dürfte sich nach dem bisher Gesagten beinahe von selbst verstehen. So bedient sich der Verfasser eines subtilen Systems der Vor- und Rückgriffe, die für einen inneren Zusammenhalt seines Roman-Verführers sorgen. Er wendet also selbst "romanhafte" Techniken an.
Auf diese fulminante Weise wird man von Vollmann mit ungefähr tausend Romanen aus der Blütezeit der Romangeschichte bekannt gemacht. "Roman" definiert er dabei ganz pragmatisch als ein Prosawerk mit mindestens 25.000 Wörtern. Selbstverständlich stößt man auf alle großen und bekannten Namen beginnend mit Austen, Stendhal, und Balzac bis hin zu Döblin, Woolf, Joyce und Dos Passos, um nur ein paar Namen willkürlich herauszugreifen. Doch Vollmann führt den Lesenden auch auf weniger ausgetretene Pfade und nimmt sich heute kaum noch gelesener Autoren wie Karl Ferdinand Gutzkow (1811-1878) oder Pierre Loti (1850-1923) an. Diesen Lesestoff zu besorgen erfordert allerdings Engagement, da man in Buchhandlungen vergeblich danach Ausschau halten wird. Gut die Hälfte der vorgestellten Romane ist jedoch im Buchhandel erhältlich, viele der anderen findet man in Bibliotheken.
Doch neben so viel berechtigtem Lob, stellt man sich bei der Lektüre dieses riesigen Werkes auch einige kritische Fragen, so die nach den Bewertungs- und Auswahlkriterien Vollmanns. Denn hat man selbst viele der besprochenen Romane gelesen, bleiben Meinungsunterschiede natürlich nicht aus. So macht sich Vollmann einen Sport daraus, einige "große Namen" von ihrem Sockel zu stoßen. Freut man sich noch über sarkastische Bemerkungen, den unerträglichen Gotthelf und seine verlogenen Bauernidyllen betreffend, wird man schon skeptischer, was die wenig nachvollziehbaren Urteil über Thomas Mann anbelangt, und kommt schließlich aus dem Kopfschütteln gar nicht mehr heraus, wenn man liest, was Vollmann über Kafka und Musil schreibt. Weil Vollmann aber ständig betont, daß seine Urteile subjektiv sind, und da auch seine fragwürdigeren Bemerkungen wunderbar geschrieben sind, kann man ihm nie ernsthaft böse sein.
Auch die Wahl des Zeitraums ist hinterfragbar. Einerseits gibt es keinen literarischen Grund das 18. Jahrhundert auszuklammern, andererseits kommen dessen Romane aber indirekt zur Sprache, etwa in den frühen Grabinschriften zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Trotzdem bleibt der Wunsch bestehen, dem vorliegenden Band mögen noch weitere folgen. Darüber daß Vollmann auch viele Romane vor und nach dem behandelten Zeitraum seiner "Falschmünzer" gelesen hat, besteht kein Zweifel.
Es ließe sich noch vieles über das Buch sagen, aber ich kann allen Leserinnen und Lesern nur dringend empfehlen, es selbst zu lesen. Es ist eines der erstaunlichsten, brillantesten und spannendesten Werke über Literatur, das in den letzten Jahren (Jahrzehnten?) erschienen ist.
(Christian Köllerer)
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Danke.
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