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Obwohl der Autor
Vernor Vinge (* 10. Oktober 1944) der modernen Space-Opera entscheidende Impulse
geben konnte, ist er doch eher unbekannt, zumindest in Deutschland. Unverdient,
aber aus einleuchtendem Grund, ist er doch nicht gerade ein Vielschreiber, seine
beiden bekanntesten Werke sind "Ein Feuer auf der Tiefe" (1992) und "Eine Tiefe
am Himmel" (1999), diese beiden leicht merkwürdig betitelten Romane bürgen
jedoch für Qualität: Beide gewannen jeweils einen Hugo Award und wurden
für den Nebula nominiert, hierzulande gewann "Eine Tiefe am Himmel" zudem
den renommierten Kurd-Laßwitz-Preis.
Der Mathematiker und Computerwissenschaftler Vinge dozierte bis zum Jahr 2002 an
der San Diego State University, seitdem konzentriert er sich ganz auf
seine schriftstellerische Tätigkeit. Man kann also für die Zukunft viel von ihm
erwarten.
Seine Konzeptionen eines möglichen Cyberspace, sowie seine Theorien zu
technologischer Singularität (d.h. Fortschritt maschineller Intelligenz zu einem
Grad, den der erschaffende Mensch geistig nicht mehr erfassen kann),
Nanotechnologie und lernfähigen Netzwerken, bis hin zur künstlichen Intelligenz,
aber auch menschlicher Evolution und gesellschaftlicher Entwicklung bis hin zur
Transzendenz stellen den Kern seines Werkes dar.
Dabei mischt Vinge bekannte Elemente, zum Beispiel die Newsgroups des Usenet,
mit phantastischen Elementen seiner Erzählung und schafft so eine oft lehrreiche
Verbindung von Bekanntem mit neuen Konzepten.
Die Entdeckung neuer Welten und Zivilisationen
"Eine Tiefe am Himmel" spielt 20.000 Jahre vor dem Vorgänger "Ein Feuer auf der
Tiefe", den man nicht kennen muss, beide Romane sind vollständig
unabhängig voneinander lesbar.
Die Menschheit hat noch nicht die notwendigen Voraussetzungen für
überlichtschnelles Reisen entwickelt, und so fliegen Raumschiffe und ihre im
Kälteschlaf liegenden Besatzungen Jahrhunderte zwischen den Sternen. Zahlreiche
menschliche Zivilisationen sind während vieler Jahrtausende entstanden und
untergegangen, zurückgefallen in die Barbarei und wieder aufgestiegen zur
Raumfahrt. Doch eine Zivilisation ist etwas Besonderes, die Händlerzivilisation
der Dschöng Ho. Gegründet von einer Händlerin und einem ehemaligen
Barbarenprinzen des Mittelalters, dem legendären Pham Nuwen, stellt diese eine
Ausnahmeerscheinung dar: Die Flotte der Dschöng Ho, benannt nach einem
chinesischen Entdecker, sendet Wissen in einer Art galaktischen Wikipedia aus,
überall wo Dschöng-Ho-Schiffe den Weltraum durchkreuzen.
So erreichen Zivilisationen, sobald sie den Funk entwickelt haben, schneller ein
raumfahrendes Niveau, raumfahrende Zivilisationen erfahren Nachrichten aus der
ganzen Galaxis und gewisse Standardtechnologien werden so weiterverbreitet und
bewahrt – gemäß dem Traum Pham Nuwens, dessen Meinung nach eine intergalaktische
Zivilisation nur auf lange Frist bestehen kann, wenn sie Hilfe von "außen"
erhält, genauso wie gestrandete Raumfahrer nur mithilfe einer Zivilisation und
deren Industrie den Keim der Technik bewahren können.
Bis auf Spuren einer untergegangenen Rasse, und eine in frühen
Entwicklungsstadien befindliche, hat die Menschheit aber noch keinen Kontakt mit
extraterrestrischer Intelligenz gehabt. So ist es eine Sensation, als man vom
fernen "EinAus-Stern" fremdartige, nichtmenschliche Funksignale empfängt. Ein
Familienclan der Dschöng Ho macht sich sofort auf den Flug zum fernen Stern, der
schon vorher Beachtung fand, da er regelmäßig für Jahrzehnte hell erstrahlt, um
dann für eine fixe Periode zu erlöschen.
Bei der Ankunft erwartet die Dschöng Ho jedoch eine nicht ganz so freudige
Überraschung: Eine in Nähe zum EinAus-Stern, zwischenzeitlich in die Barbarei
zurückgefallene Zivilisation ist ebenfalls nahezu zeitgleich eingetroffen – auf
einem niedrigeren technologischen Stand, aber mit viel mehr Ausrüstung und
Personal. Ironischerweise haben die sogenannten "Aufsteiger" sich das überall im
Menschenraum verbreitete Wissen der Dschöng Ho angeeignet, ebenso die
menschliche lingua franca.
Kommunikation ist somit kein Problem, nur traut man einander kein bisschen: Die
Aufsteiger und ihr Anführer Tomas Nau gehören vermutlich, so kann man den
bekannten Daten über sie entnehmen, einer faschistisch orientierten
Sklavenhaltergesellschaft an. Höchste Vorsicht ist geboten, doch die Aufsteiger
haben einen Trumpf in der Hinterhand, mit dem die Dschöng Ho nicht rechnen
können …
Der Coup der Aufsteiger gelingt, auch wenn in einer Raumschlacht beide Flotten
sich schwersten Schaden zufügen und die überlebenden Dschöng Ho in den Dienst
der Aufsteiger gepresst werden müssen. Sie sabotieren die Pläne des
"Hülsenmeisters" Tomas Nau, doch dieser spielt mit ihnen und kann schließlich
sogar Nutzen aus den Anschlägen ziehen: Gezielte Fälschung von Tatsachen und
Fakten und seine "Geheimwaffe" machen es möglich.
"Fokus" ist es, was die Aufsteiger zu einer Sklavenhaltergesellschaft gemacht
hat. Eine im Heimatsystem der Aufsteiger wütende Krankheit, Geistesfäule
genannt, wurde bezwungen und ihre einzigartigen Möglichkeiten entdeckt:
Entsprechend konditionierte Menschen werden auf dem jeweiligen Fachgebiet zu
Spezialisten, die ihre ganze Kapazität nur noch auf einen Bereich konzentrieren.
Ein normaler Mensch wird zum Spezialisten, ein begabter Mensch oder gar ein
Genie wird durch "Fokus" zu übermenschlichen Leistungen befähigt, bedarf aber
der Koordination durch normale Menschen.
So wurde die Gesellschaft der Aufsteiger geboren, die Hülsenmeister wurden
Herren und Meister effizienter und stets gehorsamer Sklaven.
Aufsteiger und Dschöng Ho haben sich gegenseitig so schwer geschädigt, dass man
auf Hilfe der Spinnenwesen angewiesen ist, die in Kürze erwachen werden: Gemäß
den Theorien Pham Nuwens können sie sich ohne die technische Unterstützung einer
Zivilisation nicht mehr selbst helfen.
Während überlebende Dschöng Ho in einer Atmosphäre der perfekten Überwachung und
nahezu totalen Kontrolle verzweifelt einen Aufstand planen, ist Hülsenmeister
Tomas Nau schon am überlegen, wie er die Spinnenwesen täuschen, unterwerfen und
seinen Zwecken dienlich machen kann …
Die Spinnen in ihren Tiefen
Während sich im Weltraum ein Drama abspielt, erwacht die Spinnheit und macht
dank ihres Universalgenies Scherkaner Unterberg gewaltige Fortschritte: Er ist
ein Mix aus Armstrong, Oppenheimer, Einstein, Hawking und Hannibal. Als erster
Spinn bezwang er das "Dunkel" und bewegte sich an der Oberfläche der Welt
während der "Aus"-Phase der Sonne voran, sabotierte Versorgungsdepots hinter der
Front und entschied so einen Krieg.
Die Entdeckung der Kernkraft ermöglicht es zukünftigen Generationen, auch
während des Dunkels zu leben und nicht in Winterschlaf verfallen zu müssen, was
eine ganze Reihe sozialer und religiöser Probleme auslöst: So kommt es zum
Eklat, als Scherkaners zur "Unzeit" geborene Kinder in seiner populären
Radiosendung "Die Kinderstunde der Wissenschaft" auftreten – diese Kindersendung
gibt den Menschen übrigens am meisten Aufschluss über Sprache und Technologie
der Spinnen. Kinder während der Ein-Phase des Sterns zu zeugen, ist moralisch
nur bei deren Beginn angebracht, damit die Kinder fertig ausgebildet sind und
den Kälteschlaf der kommenden Dunkelphase überstehen können. Doch nicht nur
Gutes geht mit der Kerntechnik einher: Viele Nationen können Grundlagen
erbeuten, aber nicht genug, um ebenfalls Kernreaktoren zu bauen, doch für
Atombomben reicht das Wissen bereits aus …
Konflikte zwischen fundamentalistischen Staaten und Unterbergs Nation werden
gezielt von den Aufsteigern geschürt. Unterberg ist mittlerweile alt und senil
geworden, seine Freunde haben keine Ahnung von der Gefahr, Wissenschaftler und
Personen, die außerirdischen Einfluss vermuten, werden für verrückt erklärt …
Derweil tut sich auch bei den Menschen einiges: Tomas Nau würde es wohl nicht
glauben, aber sein großes Vorbild, der legendäre Pham Nuwen, ist einer der
versklavten Dschöng Ho. Nuwen erkennt den Nutzen des Fokus, würde ihn gerne für
seine Zwecke gebrauchen, er hat einige Trümpfe in der Hinterhand, um das
perfekte System auszuschalten, die er raffiniert zu nutzen weiß …
Liebenswerte Spinnen und faszinierende Ideen
Vinge beweist viel Phantasie – seine Ideen einer kosmischen Zivilisation und
sein Held Pham Nuwen konnten mich begeistern. Phams Geschichte ist nur eine von
vielen, aber mit Abstand die interessanteste: Als Barbar auf dem
mittelalterlichen Planeten Canberra geboren, wurde er Liebhaber der älteren
raumreisenden Händlerin Sura Vinh und gründete mit ihr das Handelsimperium der
DschöngHo, Familienclans, die von einer gemeinsamen Idee zusammengehalten
werden. Diese Ideen werden bestätigt: Ohne die Hilfe einer Zivilisation würden
Aufsteiger und Dschöng Ho im EinAus-System nicht überdauern können, geschweige
denn jemals wieder starten können.
Aber auch andere Schicksale werden beleuchtet: So das des Anwärters Ezr Vinh;
nachdem Nau alle Führungsoffiziere umgebracht hat, ist er der überforderte neue
Anführer der zur Kooperation genötigten Dschöng Ho. Seine Freundin Trixia Bonsol
ist fokussiert, ihr Talent als Übersetzerin der völlig fremdartigen
Spinnensprache unerreicht – Nau wird sie wohl niemals vom "Fokus" befreien. Die
Aufsteigerin Anne Reynolt ist ein besonderer Fall: Sie ist eine der wenigen
Personen, die man auf Menschenführung fokussieren konnte. Sie kontrolliert die
"Blitzköpfe" genannten Fokussierten, welche Überwachung und Abwehr von
Rebellionen sowie die Automatik der Aufsteigerschiffe koordinieren. Das
Besondere, geradezu Zynische an ihrem Schicksal: Sie war eine der erbittertsten
Gegnerinnen der Aufsteiger … bis man sie fokussiert hat. Eine weitere tragische
Figur ist Qiwi Lisolet, die Tochter der ehemaligen Kommandatin, die von Nau als
Geliebte missbraucht wird – sobald sie ahnt, dass er sie über gewisse Fakten der
Vergangenheitbelügt und betrügt, wird sie neu "konditioniert" und einer
Gehirnwäsche unterzogen, ihre Erinnerung teilweise gelöscht.
Wenn man "Ein Feuer auf der Tiefe" und die dort vorgestellten Ideen kennt, weiß
man, dass Vinge den Menschen als limitierenden Faktor der Entwicklung ansieht –
die Technologie ist ihm weit voraus, der Mensch ist kaum imstande, sie voll
auszunützen. "Fokus" kann das zum Teil beheben – etwas, das auch der geheim eine
Revolution planende Pham Nuwen ahnt. "Fokus" würde seinen Traum einer
effizienter operierenden Dschöng Ho ermöglichen, die Welten vor dem Rückfall in
die Barbarei rettet, was ihm selbst nur ein einziges Mal gelang, aber zu seinem
legendären Ruf beitrug. Aber ist der Preis des "Fokus" es wirklich wert? Wie
wird Nuwen sich entscheiden?
Interessanter als die Probleme der Menschen sind jedoch die Spinnenwesen:
Feldwebel Hrunkner Unnerbei, der geniale Scherkaner Unterberg und seine Frau
Generalin Viktoria Schmid sowie ihre Familie und die gesamte Spinnenzivilisation
wachsen dem Leser ans Herz. Die menschlichen Namen erklärt Vinge auf gerissene
Weise: Die wahren kann kein Mensch aussprechen, aber sie entsprechen dem Wesen
der Spinnen am ehesten und wurden ihnen von der Übersetzerin Trixia Bonsol
verliehen. Diese muss auch für die "Vermenschlichung" der spinnischen
Verhaltensweisen herhalten.
Hier macht es Vinge sich allerdings ziemlich leicht; Spinnen, die sich in ihren
Tiefen während des Dunkels durch während dieser Zeit gegrabene Tunnel
gegenseitig "vergasen" und ähnliches, all das erinnert an die Zeit zwischen dem
1. und 2. Weltkrieg, ebenso die Entdeckung und Nutzung der Atomenergie als
Waffe. Der technische Stand und die Entwicklung der Spinnen, Fernsehen und Radio
zum Beispiel, sind eine exakte Kopie menschlicher Entwicklungsgeschichte.
Religiöse Moralvorstellungen, Terroranschläge, revolutionäre soziale Neuerungen
– all das ist ein Spiegel der Menschheit, keine wahrhaft fremdartige
Rasse/Zivilisation.
Dies ist auch einer der wesentlichen Kritikpunkte an der "Tiefe": Faszinierende
Analogien bei größerer Fremdartigkeit bot bereits der Vorgänger "Ein Feuer auf
der Tiefe" (wobei hier eine andere "Tiefe" gemeint ist). Ebenfalls fehlt mir ein
wenig der sense of wonder, den transzendente Superintelligenzen und
überlichtschneller Raumflug sowie Vinges Gliederungen der Galaxis in gewisse
Zonen der Entwicklung boten.
Dafür menschelt es wesentlich mehr in der "Tiefe", auch hat Vinge
schriftstellerisch noch einmal deutlich zugelegt, seine Charaktere sind deutlich
feiner ausgearbeitet und die Konzepte, die er vorbringt, sind einfacher und
werden klarer verständlich, wobei er viel mit Analogien arbeitet, zum Beispiel
der Bestätigung von Nuwens Theorien im Fall der gestrandeten Flotte und der der
Menschheitsentwicklung analog verlaufenden der Spinnen.
Ob der Nachfolger nun besser oder schlechter ist, ist Geschmackssache. Meine
Empfehlung ist, zuerst "Eine Tiefe am Himmel" zu lesen, da es leichter
verständlich ist und chronologisch 20.000 Jahre vor dem zuerst veröffentlichen
"Ein Feuer auf der Tiefe" liegt – zusätzlich gibt die "Tiefe" dem Charakter Pham
Nuwen auf angenehme Weise die Vorgeschichte, die man im "Feuer" nur in
Bruchstücken erfährt. Zudem versteht man die Probleme von Zivilisationen ohne
überlichtschnelle Raumfahrt besser, wenn man dieses Buch davor liest.
Wer beide Romane kennt, ist im Urteil gespalten: Handwerklich ist die "Tiefe"
besser, die faszinierenderen Ideen hat meiner Ansicht nach aber das "Feuer".
Eines ist jedoch sicher: Beide Romane haben ihre Hugos zu Recht erhalten,
beide haben mich fasziniert und sind eine Empfehlung wert und behandeln
zahlreiche hochinteressante Aspekte, bessere und fundiertere Science-Fiction
findet man nur selten. Die anspruchsvolle Übersetzung ist Erik Simon wirklich
hervorragend gelungen, getrübt nur durch kleinere Fehlerchen des Korrektorats
(Buchstabendreher etc.).
Mein Tipp: Zuerst "Eine Tiefe am Himmel" lesen und bei Gefallen "Ein Feuer auf
der Tiefe" sofort nachschieben!
Mehr über Vernor Vinge und sein Werk:
http://en.wikipedia.org/wiki/Vernor_Vinge
Michael Birke [29.08.2004]
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