Jules Verne

Paris im 20. Jahrhundert

SF. Zsolnay, 207 Seiten. ISBN: 3552048049

Bahnbrechende Erfindungen
Jules  Verne: Paris im 20. Jahrhundert

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((SF; kritisches Lob))

Vielen von uns ist Jules Verne als der Autor zahlreicher Jugendbücher vertraut. Daß er dies nicht von Anfang an war, beweist dieser lange verschollene Roman von 1863, Vernes erstes größeres Werk. Nachdem das Manuskript von Vernes Verleger abgelehnt worden war, lagerte es rund 85 Jahre in einem verschlossenen Tresor ohne Schlüssel. Zur Zeit wird es jedoch in zahlreiche Sprachen übersetzt, denn das Interesse an Verne ist weiterhin ungebrochen.

Verne nimmt einfach den Einstieg eines jungen neunzehnjährigen Mannes, Michel, in die etablierte Gesellschaft von Paris zum Anlaß, um die westliche Zivilisation des Jahres 1963 vorzustellen. Technisch hochgerüstet, mangelt es ihr doch an geistiger und menschlicher Kultur - wie Michel, der verhinderte Dichter und Romantiker, zu seinem Leidwesen erfahren muß. Kaum hat er von der staatlichen "Bildungskreditanstalt" sein Abschlußdiplom und einen Preis für seine anachronistischen Lateinerverse erhalten, muß er auch schon auf Geheiß seines Vormunds und Onkels in dessen Bank anheuern. Hier scheitert er in einer Position nach der anderen, bis er als Diktierer beim Buchhalter des Großen Hauptbuches landet. Der Buchhalter ist wenigstens gut drauf - er spielt Klavier! - und erklärt Michel einiges von der Welt. Michel verliebt sich und bekommt die Frauen des 20. Jahrhunderts erklärt. Dies endet in einem Loblied auf die Pariserinnen des 19. Jahrhunderts. Er und sein Freund verlieren natürlich wegen eines Streits um die Evastöchter die Fassung und den Job. Am Theater ergeht es Michel als Stückbearbeiter nicht viel besser, und er gerät in Arbeitslosigkeit und Elend. Schlußszene: Michel sinkt unter den prachtvollen Grabmälern der französischen Geistesgrößen des 18. und 19. Jahrhunderts bewußtlos in den Schnee.

Anders als diese recht pessimistisch endende Story ist für den heutigen Leser viel interessanter, wie sich Verne die technischen Errungenschaften des 20. Jahrhunderts vorstellen konnte. Ausgehend von bahnbrechenden Erfindungen um 1863 herum beschreibt Verne immerhin gasgetriebene Automobile, elektrische Straßenbeleuchtung, Faxgeräte, fast lautlose S-Bahnen und riesige Ozeandampfer. 1963 funktionieren Handel und Wandel prächtig und vor allem effizient. Die Bibliotheken der Klassiker hingegen sind leer, in den Gymnasien werden praktisch nur technische Fächer unterrichtet, und das menschliche Miteinander ist ebenfalls utilitaristisch geprägt. Michel, der Schöngeist, fühlt sich nur unter den Anachronismen dieser Zeit wohl - Vernes rückwärtsgewandte Kritik an den Entwicklungstendenzen seiner eigenen Zeit.

Eine weitere interessante Geschichte erzählen die ausgezeichneten Anmerkungen, die man zu jedem Kapitel benötigt, und das Nachwort von der Übersetzerin. Sie klärt uns darüber auf, was Verne eigentlich mit diesem Roman bezweckte: Der desillusionierte Ingenieur wollte unbedingt gedruckt werden und die Anerkennung seines Verlegers gewinnen. Aus diesem Grund zitiert Verne zahlreiche Freunde des Verlegers, übertreibt es aber leider dabei ein wenig, so daß dieser einmal ins Manuskript schreibt: "Sie spinnen!" Nun, wie man weiß, stellte sich nach diesem Fehlstart bereits mit dem nächsten Buch "Fünf Wochen im Ballon" der große Erfolg ein.

Michael Matzer (c)1996ff






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