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Claassen-Verlag, 1998, ISBN 3-546-00013-7
Es gibt sie noch, die verkannten und verlorenen Dichter mit selbstverbrannten
Manuskripten, der emotionalen Klage über die ach so schlechte Welt
und doch mit Sinn für Komik und die Vielfältigkeit des Lebens.
Albert Vigoleis Thelen, der den zweiten Vornamen einer Hänselei
von Kameraden entnahm und annahm, schildert in diesem Buch sein Leben auf
Mallorca von 1931-1936. Das könnte nun der x-te Reiseführer werden
oder eitle Memoiren oder, oder.....
Thelen jedoch hält sich an Tatsachen, sein vorangestelltes Motto
lautet "Im Zweifel für die Wahrheit". Er läßt allen Personen
ihre Namen und ändert sie nur bei denen leicht ab, die zur Zeit der
Drucklegeung (1953) noch leben.
Thelen ist ein Meister der Sprache, der sich gerne in einem archaich-"gewaltigen" Stil mit heute kaum noch üblichen Worten und Satzkonstrukten ausdrückt. Allein seine Sprache lohnt die Lektüre des 900 Seiten umfassenden Buches. Wie viele Sprachverliebte verrennt er sich bei seinen Schilderungen oft in Abschweifungen. Da erinnert ihn der Weg zu einer Buchhandlung an einen früheren Buchkauf in seiner Heimat Deutschland und wir finden ihn drei Seiten später gerade einmal drei Meter näher an der Buchhandlung. Oder er greift, was den Leser allerdings nicht immer freudig stimmt, anläßlich einer Episode dem Geschehen vor und schildert ausführlich Geschehnisse, die er 200 Seiten und ein Jahr später im chronologischen Kontext noch einmal aufnimmt.
Im Jahre 1931 werden Albert und die "Inka-Schweizerin" Beatrix, mit der er in wilder Ehe lebt, von deren vermeintlich in den letzten Zügen lebendem Bruder auf die Insel gerufen, nur um dort in dessem chaotischen, bordellartigen Haushalt zu landen. Von nun an beginnt eine Odysse, die mit der finanziellen Entblätterung durch den überschuldeten Bruder beginnt, nur durch Zufall nicht mit einem vorzeitigen Hunger-Selbstmord endet, in billigsten Unterkünften bis zu einem Bordell sich fortsetzt und in heruntergekommenen Adelshäusern endet. Währenddessen mehrt sich die Zahl der deutschen Emigranten, zumeist Juden, kleine und große Vertreter deutschen Geisteslebens. "Vigoleis" Thelen tippt für sie Lebenserinnerungen und Rechtshändel, mal für kargen Lohn, mal für ein knappes Dankeschön oder gar Beschimpfungen.
Schonungslos geht Thelen mit sich selbst um. Ein Bücher- und Philosophiefreund, der sich seine geliebten Mystiker buchstäblich vom Munde abspart, ist er im Praktischen und im Geschäftsleben nicht unbedingt der Erfolgreichste. Leicht entschwebt er beim Brotkauf in philisophische Sphären und kommt nach drei Stunden ohne Brot nach Hause. Dabei kokettiert er gerne mit seiner Zerstreutheit und schildert sie mit einiger intellektueller Eitelkeit, ohne daß dies jedoch peinlich wirkt, da er immer wieder zu einer gesunden Selbstironie zurückfindet.Obwohl in diesen Jahren das Dritte Reich "entsteht" und er seinem Einfluß auch auf dieser fernen Insel der Glücklichen nicht entgeht, begegnet er dem Faschismus immer wie ein Don Quichote. Mit der großen intellektuellen Geste, naiv, begibt er sich öfter in mehr oder minder große Gefahr, mutig und leichtsinnig, philosphierend - teilweise hart an der Grenze zum Schwadronieren.
Seine Versuche, den Roman über das Dritte Reich zu schreiben, scheitern an mangelnder Selbstdisziplin und Zielstrebigkeit oder sie fallen den dramatischen und höchst pittoresken Wechselfällen des Insellebens mit grotesken Wohnorten und dubiosen Bekanntschaften zum Opfer. Geradezu liebevoll schildert er die Gefährten seiner Inseljahre, so die alte Hochstaplerin "Mamu", die dem hungernden Paar den letzten Notgroschen abschwätzt, verarmte aber kopfreiche Adelsfamilien mit bedenklichen "Spleens" oder den schmierigen jüdischen Emigranten, dessen Lebensmittelpunkt die Pornografie und billige Frauen bilden. Hier hat Thelen den Mut, die -unterstellten - Tatsachen gegen "political correctness" zu setzen und ohne den geringsten Anschein von Antisemitismus auch einen schmierigen Juden ins Bild zu setzen.
So vergehen hunderte von Seiten mit sprachlich kraftvollen und selbstbezweckten Schilderungen des Insellebens, und unser Don Quichote "Vigoleis" kämpft immer an Fronten, die ihm wenig Ruhm und Geld, dafür aber Hunger und Abstieg einbringen. Längen sind dabei nicht zu vermeiden, vor allem bei den weiten Abschweifungen, die in sich jedoch immer wieder lesenswert sind. Richtig spannend wird es erst zum Schluß, wenn General Franco zum Bürgerkrieg bläst, die Rechte auf Mallorco alle Linken meuchelt und die Deutschen im Zuge dieser Bereinigung auch den als "notorischen" Hitler-Gegner bekannten "Vigoleis" samt Frau liquidieren wollen. Nur unwahrscheinliches Glück rettet den intellektuellen Toren und verschafft ihm und seiner Frau einen Platz auf einem englischen Kriegsschiff in ein neutrales Land - damals Frankreich. Den Krieg wird er dann in Portugal verbringen, wo er zum Übersetzer des größten portugiesischen Mystikers wird.
Wer starke Sprache liebt, viel Zeit auch für weite gedankliche und intellektuelle Verästelungen zu opfern bereit ist, dem sei dieses Buch empfohlen. Ein Buch für "Zwischendurch" ist es jedenfalls nicht.
Frank Raudszus
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Danke.
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