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Bekannt ist das arabische Sprichwort hierzulande aus ganz anderen Zusammenhängen:
"Die Hunde bellen, aber die Karawane zieht weiter", so pflegen
deutsche Spitzenpolitiker ihre Kritiker zu bescheiden. "The Caravan
passes'' ist aber auch der Originaltitel eines 1951 in New York erschienenen
Romans aus der Feder eines in Ungarn geborenen Juden, ehemaligen Propagandaoffiziers
der britischen Armee im Nahen Osten und Hollywood-Drehbuchschreibers namens
George Tabori. Sein Name ist heutzutage aus ganz anderen Zusammenhängen
bekannt, als der eines der einfallsreichsten und bewegendsten Dramatiker
des zeitgenössischen Theaters. Sein Buch, das jetzt als "Tod in Port
Aarif" auf Deutsch vorliegt, erschien seinerzeit als vierter einer Reihe
von Romanen, in denen Tabori seine Erfahrungen der Kriegs- und Nachkriegsjahre
im Vorderen Orient, in Sofia und Istanbul, Jerusalem und Kairo, verarbeitet.
Der Schauplatz ist eine fiktive arabische Hafenstadt am Mittelmeer,
Port Aarif genannt, die Zeit die des endgültig schwindenden Einflusses
der Vertreter des bröckelnden Empires, des sozialen, wirtschaftlichen
und industriellen Umbruchs, des Aufbegehrens der Bevölkerung gegen
Unterdrückung und Diskriminierung durch fremde und einheimische Herrscher.
Die Fronten verlaufen nicht nur zwischen Arabern und Engländern, die
gleichermaßen das Schwinden alter Werte erleben müssen, sondern
auch zwischen Arm und Reich, zwischen den vielen Ohnmächtigen und
den wenigen Mächtigen. Die Macht repräsentiert der Gouverneur
El Bekkaa - eine gefährdete Macht, wie sich im Verlauf der Erzählung
zeigt. Nicht nur, daß der Gouverneur selbst schwer krank ist. Auch
seine Herrschaft steht auf tönernen Füßen.
In diese Atmosphäre, geschwängert von Hitze, Staub, Fäulnis
und der Ahnung kommenden Unheils, wird der europäische Schiffsarzt
Francis Varga hineingezogen. Auch er, geboren in Transsylvanien, ausgebildet
in Wien, vertritt ein fast schon ent- Habsburg und das Empire
schwundenes Zeitalter, das Erbe Habsburgs. El Bekkaa bittet Varga,
ihn am Magenkrebs zu operieren. Vor der Operation aber zeigt sich, daß
nicht wenige Menschen - seine geknechtete Familie, sein machthungriger
Stellvertreter, ein Abgesandter der englischen Ölfirma - daran interessiert
sind, daß der Gouverneur die Operation nicht überlebt.
Der Arzt lehnt zwar die lukrativen Angebote allesamt ab, sein Patient
aber stirbt überraschend trotz seines Rettungsversuchs. Die Todesnachricht
ist das Signal für den offenen Ausbruch des lange schwelenden Aufruhrs.
Die Volksmenge stürmt das Gefängnis und befreit den eingesperrten
Anführer. Das Alte geht unter, was das Neue sein wird, ist ungewiß.
Und auch der Arzt erliegt dem "Tod in Port Aarif". Die Leibwächter
des toten Gouverneurs machen ihn - Ironie des Schicksals - für dessen
Tod verantwortlich und metzeln ihn regelrecht nieder.
"Das Leben im allgemeinen, sein Leben, jedes Leben, sofern
es nicht heilig war, war verbrecherisch. Und deshalb war jede Strafe angemessen
und konsequent. Man lebte wie ein Hund und starb wie einer; denn so waren
Zeit und Ort, daß dem Gleichgültigen und dem Heillosen nicht
verziehen werden kann." Das sind die letzten Gedanken des Schiffsarztes,
und sie deuten den existentialistischen Grundzug des Romans an. Varga ist
einer der "Gleichgültigen". Durch kaltblütigen Materialismus,
dem das menschliche Herz nur ein zweikammriger Muskel ist, versucht er,
sich von Bindungen und Verpflichtungen freizuhalten. Wie der Gouverneur
für sein verbrecherisches Leben mit dem Tode bestraft wird, so Varga
für sein Versagen vor den Menschen, denen er begegnet, den Frauen,
in die er sich verliebt. Ungestraft bleibt niemand; wer nicht lieben kann,
wie die junge Engländerin Pamela, zahlt mit Einsamkeit, wer haßt,
wie die Frau des Gouverneurs, mit Hoffnungslosigkeit, wer nur halbherzig
vertraut, wie der Revolutionär Marouf, mit Enttäuschung. Das
Pathos des Existentiellen hält sich dennoch in Grenzen; Tabori ist
geradezu hinterhältig ironisch.
Aber der Autor ist nicht nur durch die existentialistische Schule gegegangen,
sondern auch durch die Brechts, für den er zur Zeit der Abfassung
das Drehbuch zur Verfilmung des "Galilei" schrieb. So hängt er an
den ersten Teil des Romans, der mit dem Tod des Arztes Francis Varga endet,
einen zweiten an, der die Perspektive der kleinen Leute, der Einheimischen,
der Aufrührer, die Geschichte von unten nachliefert - implizite Kritik
und Brechung der Darstellung des Geschehens im ersten Teil. Ein wenig unnötig
wirkt dieser Nachklapp schon; parteilich ist der Autor bereits im ersten
Teil. Doch auch im zweiten Teil geraten die Figuren, obwohl sie für
verschiedene Standpunkte und Interessen stehen, keineswegs zu planen Typen,
sondern sind, bis zum zuhälterischen Straßenjungen, Charaktere,
denen man ein Eigenleben zutraut.
George Tabori erzählt eine Geschichte von Menschen auf zutiefst
menschliche Weise, genau beobachtend und nie ohne Mitgefühl für
seine Figuren. Um deren Kern, das Sprichwort von den Hunden und der Karawane,
entwickelt sich die Parabel vom Sterben des Mächtigen und des Zaudernden
und wird zum Roman der vielen Tode und des einen Lebens, dieser Zeit und
dieses Ortes.
Julia Schröder
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