Jürgen Peter Stössel
Flug zur Erde
Lyrik. Selbstverlag, Freiburg. 76 Seiten. 16.80 EUR . ISBN: 3-8334-6501-8
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Literatur und Krankheit - die Beziehung zwischen den beiden ist vielfältig und nicht einfach, vor allem, wenn literarisches Schreiben therapeutischen Charakter hat. Jürgen-Peter Stössel, geboren 1939, hat in seinem neuen Gedichtband "Flug zur Erde" seine Darmkrebserkrankung thematisiert, die Therapie und das Leben danach. Der Blick des Autors richtet sich in der akuten Phase nach innen, konzentriert sich auf den Körper und grenzt sich gegen das "Draußen" ab: "... Draußen der Krieg/ zwischen Geld und Blut/ sagte Godard der auf der Leinwand/ sein Leben ließ// Hingerichtet am Tropf/ kämpf ich wofür". Lapidar konstatiert Stössel seine Situation, "als wüsste nicht jeder/ dass keiner Sieger bleibt". Mit aller Härte schreibt er im "Steckbrief": "Die geballte Gewebsfaust/ Gewalt gegen die/ nur Gewalt hilft// und war doch Fleisch von meinem Fleisch/ was weggeschnitten mit chemischer Kraft/ vernichtet werden soll..." Keine sentimentale, selbstmitleidige Zeile hat sich in das schmale, schön gestaltete Bändchen gemogelt. Ironisch und anspielungsreich schreibt Stössel von seiner "profanen Auferstehung": "... Auferstanden bin ich/ nach Hause gefahren/ am Tisch gesessen/ zum ersten Abendmahl." Der in Freiburg lebende Autor spricht einerseits von "Infusionen Röntgen Visite Darmspiegelung", andererseits nennt er seine literarischen Väter.
"Lebensstille. Krankengedichte", ist der erste Zyklus des Bandes benannt, der 33, zumeist kurze Gedichte beinhaltet, der zweite, gut zwei Dutzend Texte umfassende, ist nach der Therapie entstanden. "Durch's Gebirg. Nachschriften", heißt er, Stössels Blick richtet sich wieder nach Außen, etwa ins Museum, wo er einen "Augenblick mit Rodin" verbringt oder auf die Basler Münsterfähre - "flussabwärts/ ein Schlotetanz". Politisch motivierte Zeilen finden sich ebenso ("In den Wind gepredigt") wie Jugenderinnerungen, etwa an den Film "Die Halbstarken" mit Horst Buchholz. Länger, ausschweifender und hoffnungsvoller werden die Texte, während die oft lakonischen Gedichte des „Lebensstille“-Zyklus klingen, als seien sie kurz vor dem Verstummen notiert.
Schmal, aber gewichtig, ist das Werk von Jürgen-Peter Stössel. "Flug zur Erde" ist erst der fünfte Gedichtband, zudem hat er ihn selbst verlegt. Er habe gar nicht erst versucht, einen Verlag zu finden, sagt er im Gespräch, die Verbindung von Literatur und eigener Krankheit ist eben heikel. Inwieweit die Gedichte zur Therapie beigetragen haben, ist für die Rezeption sekundär. Fest steht, dass es Stössel gelungen ist, existenzielle Erfahrungen in literarische Münze zu verwandeln. Matthias Kehle
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