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Dass die Heimat ‚‚immer weniger" werde, ‚‚immer kleiner und
dabei immer unübersichtlicher", dieser Befund kann natürlich
ein Schreibanlass sein. Für Arnold Stadler ist er das fraglos, auch
in seinem neuen Roman ‚‚Ein hinreissender Schrotthändler". Wobei
er seltsamerweise Wert auf das auch nach neuer Rechtschreibung verkehrte
Doppel-s legt - vielleicht, weil das dem ‚‚Reissen" noch mehr Schärfe
gibt als das eh schon scharfe ß? Denn dieser Schrotthändler,
der keiner ist, reißt ja nicht nur hin, sondern sich auch allerlei
fremdes Eigentum unter den Nagel und außerdem Herzen entzwei, unter
anderem das des Ich-Erzählers, eines frühpensionierten Geschichtslehrers,
mit dessen Gemahlin, einer berühmten Handchirurgin, er schließlich
durchbrennt.
Wie war das? Schrotthändler? Frühpensionierter Geschichtslehrer?
Handchirurgin? Was hat jetzt das mit Heimat zu tun? Das fragt sich in der
Tat, und wer den Roman zu Ende gelesen hat, wird sich schwer tun, eine
Antwort zu finden. Gut, Adrian, der ehebrecherische Schrotthändler,
hat keine Heimat mehr, weil er irgendwie vom Balkan kommt, und Gaby, die
Handchirurgin, hatte nie eine, denn sie stammt aus Hamburg, und da gibt
es so etwas offensichtlich nicht. Zudem spielen bedeutende Teile des Romans
in Städten, in denen ein vergleichbarer Heimatmangel zu herrschen
scheint, in Überlingen, Stuttgart und vor allem Köln. Daher erklärt
sich die Sehnsucht unseres Erzählers, denn er ist überall dort
fern der Heimat.
Die nämlich läge, Stadler-Leser wird das wenig überraschen,
in Meßkirch, genauer gesagt: in einem dieser Gemeinde zugeordneten
Kaff namens Kreenheinstetten. Und zum Glück lädt seine Kinderliebe
Rosemarie ihn dorthin ein zur Beerdigung ihrer Mutter, die ihm, nach dem
Krieg geflüchtet von ‚‚der Frischen Nehrung-ich-weiß-nicht-wo'',
von Jugend auf Sinnbild von Heimatverlust war - und endlich dürfen
er und Stadler und wir reisen, wohin ihn die ‚‚Sehnsucht nach oberschwäbischen
Seelen" (womit das Gebäck gemeint ist) ruft, in die Gegend, wo
der Kirchenchor Dazugehören bedeutete, Doktorspiele im Kartoffelkeller
die Liebe vorwegnahmen und die Härten wie die Schönheiten des
Landlebens unvergessliche Eindrücke bescherten, vom Hühner- übers
Kaninchen- bis zum Pferdeschlachten. Bloß ist das jetzt nicht mehr
so, jetzt sind sie zwar immer noch alle katholisch, gehen aber nach Sigmaringen
zur Sexmesse und nach Bali in Urlaub, machen Immobiliengeschäfte,
eröffnen Fitnessstudios und fahren immerfort mit Geländewagen
durch die Gegend, sodass unser Mann mit seinem normalen Mercedes - ihm
eigentlich ein Zeichen, dass er seit Jahren ‚‚saniert" ist - ganz schön
alt aussieht.
Aber das ist Rosemaries Revier und immer noch irgendwie besser als
das eitle Gebaren des Rests der Welt, wo man Wolfgang Rihm im Überlinger
Grand Hotel trifft und Bankdirektoren namens Bantle einen zu riskanten
Abschreibungsmodellen im Osten überreden, wo die Gattin einem ein
Luxus-Pissoir zu Weihnachten schenkt und die Stuttgarter Innenarchitektinnen
mit Nachnamen Stauch-Stottele heißen. Zurück in Kreenheinstetten,
bekommt unser Geschichtslehrer selbst, im Kölner Umfeld ein Unsympath
von Graden, direkt etwas Liebes, wie er da nach der Heimat seiner Erinnerungen
sucht und fragt und schaut und sie kaum mehr findet. Und da hat dann auch
dieser Roman fast etwas Gelingendes.
Das ist nämlich nicht leicht: von der Heimat und ihrem Verlust
erzählen und von der Liebe und ihrem Verschwinden erzählen und
von beider Unvereinbarkeit erzählen und jede Menge Bonmots unterbringen.
Arnold Stadler macht das, und seine Manier, die letzten Dinge (der Tod
kommt ja auch vor) mit den letzten Einfällen zu kombinieren, wird
bereits als ‚‚Stadler-Ton" bezeichnet. Das muss nicht schief gehen, wie
das Beispiel Thomas Bernhards lehrt oder auch das Martin Walsers, der sich
für den jüngeren Landsmann seit Jahren sehr einsetzt.
Und wer läse das nicht gern, wenn einer die Ehe als ‚‚krisengeschüttelte
Branche" bezeichnet oder auf die Frage ‚‚Liebst du mich?"
die Antwort ‚‚Bevor du fragtest, wusste ich es noch" bekommt. Und
doch fällt auf, dass da, wo nicht Oberschwaben ist, eigentlich nichts
erzählt wird, sondern lauter absurde, groteske, satirische Situationen
aufgereiht werden im Wechsel mit Florilegienfutter wie ‚‚Als Kind hatte
ich Angst vor dem Scheintod. Es war die Angst, lebendig begraben zu sein.
Dann habe ich doch geheiratet." Naja.
Schade ist das schon. Stadler, dieser begnadete Sammler von Eindrücken
und Erinnerungen, hat jenseits von Meßkirch, wo er vor fünfundvierzig
Jahren geboren wurde, leider nicht so genau hingeschaut. Das ist verständlich.
Aber er hat drüber geschrieben. Das hätte nun so nicht sein müssen.
Dass Arnold Stadler morgen Nachmittag in Darmstadt den Büchnerpreis
bekommt, ist auch ein Wechsel auf die Zukunft.
Julia Schröder
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Danke.
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