Arnold Stadler

Ein hinreissender Schrotthändler

Roman. DuMont, Köln. ISBN: 3-770-14959-9

Arnold  Stadler: Ein hinreissender Schrotthändler

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Dass die Heimat ‚‚immer weniger" werde, ‚‚immer kleiner und dabei immer unübersichtlicher", dieser Befund kann natürlich ein Schreibanlass sein. Für Arnold Stadler ist er das fraglos, auch in seinem neuen Roman ‚‚Ein hinreissender Schrotthändler". Wobei er seltsamerweise Wert auf das auch nach neuer Rechtschreibung verkehrte Doppel-s legt - vielleicht, weil das dem ‚‚Reissen" noch mehr Schärfe gibt als das eh schon scharfe ß? Denn dieser Schrotthändler, der keiner ist, reißt ja nicht nur hin, sondern sich auch allerlei fremdes Eigentum unter den Nagel und außerdem Herzen entzwei, unter anderem das des Ich-Erzählers, eines frühpensionierten Geschichtslehrers, mit dessen Gemahlin, einer berühmten Handchirurgin, er schließlich durchbrennt.
Wie war das? Schrotthändler? Frühpensionierter Geschichtslehrer? Handchirurgin? Was hat jetzt das mit Heimat zu tun? Das fragt sich in der Tat, und wer den Roman zu Ende gelesen hat, wird sich schwer tun, eine Antwort zu finden. Gut, Adrian, der ehebrecherische Schrotthändler, hat keine Heimat mehr, weil er irgendwie vom Balkan kommt, und Gaby, die Handchirurgin, hatte nie eine, denn sie stammt aus Hamburg, und da gibt es so etwas offensichtlich nicht. Zudem spielen bedeutende Teile des Romans in Städten, in denen ein vergleichbarer Heimatmangel zu herrschen scheint, in Überlingen, Stuttgart und vor allem Köln. Daher erklärt sich die Sehnsucht unseres Erzählers, denn er ist überall dort fern der Heimat.
Die nämlich läge, Stadler-Leser wird das wenig überraschen, in Meßkirch, genauer gesagt: in einem dieser Gemeinde zugeordneten Kaff namens Kreenheinstetten. Und zum Glück lädt seine Kinderliebe Rosemarie ihn dorthin ein zur Beerdigung ihrer Mutter, die ihm, nach dem Krieg geflüchtet von ‚‚der Frischen Nehrung-ich-weiß-nicht-wo'', von Jugend auf Sinnbild von Heimatverlust war - und endlich dürfen er und Stadler und wir reisen, wohin ihn die ‚‚Sehnsucht nach oberschwäbischen Seelen" (womit das Gebäck gemeint ist) ruft, in die Gegend, wo der Kirchenchor Dazugehören bedeutete, Doktorspiele im Kartoffelkeller die Liebe vorwegnahmen und die Härten wie die Schönheiten des Landlebens unvergessliche Eindrücke bescherten, vom Hühner- übers Kaninchen- bis zum Pferdeschlachten. Bloß ist das jetzt nicht mehr so, jetzt sind sie zwar immer noch alle katholisch, gehen aber nach Sigmaringen zur Sexmesse und nach Bali in Urlaub, machen Immobiliengeschäfte, eröffnen Fitnessstudios und fahren immerfort mit Geländewagen durch die Gegend, sodass unser Mann mit seinem normalen Mercedes - ihm eigentlich ein Zeichen, dass er seit Jahren ‚‚saniert" ist - ganz schön alt aussieht.
Aber das ist Rosemaries Revier und immer noch irgendwie besser als das eitle Gebaren des Rests der Welt, wo man Wolfgang Rihm im Überlinger Grand Hotel trifft und Bankdirektoren namens Bantle einen zu riskanten Abschreibungsmodellen im Osten überreden, wo die Gattin einem ein Luxus-Pissoir zu Weihnachten schenkt und die Stuttgarter Innenarchitektinnen mit Nachnamen Stauch-Stottele heißen. Zurück in Kreenheinstetten, bekommt unser Geschichtslehrer selbst, im Kölner Umfeld ein Unsympath von Graden, direkt etwas Liebes, wie er da nach der Heimat seiner Erinnerungen sucht und fragt und schaut und sie kaum mehr findet. Und da hat dann auch dieser Roman fast etwas Gelingendes.
Das ist nämlich nicht leicht: von der Heimat und ihrem Verlust erzählen und von der Liebe und ihrem Verschwinden erzählen und von beider Unvereinbarkeit erzählen und jede Menge Bonmots unterbringen. Arnold Stadler macht das, und seine Manier, die letzten Dinge (der Tod kommt ja auch vor) mit den letzten Einfällen zu kombinieren, wird bereits als ‚‚Stadler-Ton" bezeichnet. Das muss nicht schief gehen, wie das Beispiel Thomas Bernhards lehrt oder auch das Martin Walsers, der sich für den jüngeren Landsmann seit Jahren sehr einsetzt.
Und wer läse das nicht gern, wenn einer die Ehe als ‚‚krisengeschüttelte Branche" bezeichnet oder auf die Frage ‚‚Liebst du mich?" die Antwort ‚‚Bevor du fragtest, wusste ich es noch" bekommt. Und doch fällt auf, dass da, wo nicht Oberschwaben ist, eigentlich nichts erzählt wird, sondern lauter absurde, groteske, satirische Situationen aufgereiht werden im Wechsel mit Florilegienfutter wie ‚‚Als Kind hatte ich Angst vor dem Scheintod. Es war die Angst, lebendig begraben zu sein. Dann habe ich doch geheiratet." Naja.
Schade ist das schon. Stadler, dieser begnadete Sammler von Eindrücken und Erinnerungen, hat jenseits von Meßkirch, wo er vor fünfundvierzig Jahren geboren wurde, leider nicht so genau hingeschaut. Das ist verständlich. Aber er hat drüber geschrieben. Das hätte nun so nicht sein müssen. Dass Arnold Stadler morgen Nachmittag in Darmstadt den Büchnerpreis bekommt, ist auch ein Wechsel auf die Zukunft.

Julia Schröder






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