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Der Komponist Clemens Gadenstätter will mit seinem neuesten Werk "COMIC SENSE" dem common sense eins auswischen. Das schafft er auch, allerdings nicht ohne Kampf. Und zwar aus zweifachem Grund: Erstens hat er es mit dem Medium der Sprache zu tun, die Sinn erst generiert, weshalb dem Sinn kaum auszuweichen sein wird, es sei denn, er wird mit dem Produktionsmedium Sprache ad absurdum geführt; zweitens hat das schreibende Ich sich das hehre Ziel gesetzt, die Musik zu imitieren. Also irgendwie auf Sinn zu pfeifen, wo es sich so gut wie möglich pfeifen lässt.
Das Klavier besuchen
Ein bisschen tragisch fängt das Ganze an. Zu Beginn der Lektüre der kleinen poetisch-poetologischen Schrift scheint das schreibende Ich dem Leser einbläuen zu wollen, dass er sich keine Minderwertigkeitskomplexe eben dieses Ichs der Musik oder dem Musiker gegenüber erwarten darf. Signifikant dabei natürlich: der Autor des schreibenden Ichs ist Clemens Gadenstätter, Komponist neuer Musik.
Gadenstätter, respektive dieses Ich, verspricht das Piano zu besuchen, nämlich die Ur-Version desjenigen Werks, das "COMIC SENSE" heißt, also comic sense auf seine Weise repräsentieren soll. Es handelt sich um den fast gleichlautenden Titel einer Komposition des Musikers selbst. Gemeinsam mit Fritz Widhalm hat er sie gefaked, das heißt ohne Worte nachgesungen und auf CD reproduziert. Die Auseinandersetzung mit dem Ursprungswerk, ein Stück für Klavier und größere Besetzung, ist zugleich eine mit dessen Thema "Komik und Sinn" und mit dem Medium Musik durch das Medium von Wortsprache als Literatur.
Von vornherein ist sich das schreibende Ich bewusst: Es kann die Weise des Klaviers nicht toppen. Das genießt den Vorteil ohne Wortsprache ausdrücken zu können, sich irgendwie sinnfreier nennen zu dürfen. Die Absicht via Sinnträgerin Sprache, eben den Sensus loszuwerden, scheint in einen Ciruculus vitiosus zu münden. Aber halt.
Vom Sinn belagert
Darob verfällt es nicht in Schweigen, sondern plappert äußerst munter drauf los und rechtfertigt sich auch gar nicht, überhaupt noch zu sein. Vielmehr trotzt es seinem Gemachtsein und versucht durch sich selbst die Sinn-Abstreifung. Der Text verleiht seinem Autor nur die Stimme des Lenkers seiner Bewegung. Als Textteil kann das schreibende Ich die Schrift nicht beherrschen. Selbstredend ist sie höchst musikalisch.
Letztlich scheint es genau das zu sein - die Freiheit des Textes vom schreibenden Ich -, was es vor der Verzweiflung über seine Wort- und Sinneingrenzung rettet. Rhythmisches Los-Schreiben als lustvolles Prinzip. Eine Befreiung des Textes vom neidvollen Schielen auf Musik? Oder vielmehr Musik, die sich im Text durchgesetzt hat, also ein Musikalisieren der Wörter? Wer rettet wen, mag eine unwichtige Frage sein. Wichtiger die Konsequenz:
Sinn loswerden, Komik schaffen, lustig werden. Das macht das Ich, sagt es, indem es Sachen [in der Literatur Wörter] zusammenbringt, die "aufs erste Hören miteinander nichts zu schaffen haben" - das könnte dann ja in der Tat auf ein musikalisches statt sinnhaftes Poesie-Prinzip hinauslaufen. Was aber auch heißt: Mit der Wortsprache wird erst gemacht, dass die Sachen etwas miteinander zu schaffen bekommen. Definieren heißt diese Tätigkeit. Fragende Resignation aber, dass aus jedweder Wort-Mixtur ein Sinn gequetscht werden kann, mündet im Spass am "De-definieren" der Bedeutungszusammenhänge.
Keep cool
Sinn konstituiert sich im Wortspiel neu. Und: mit der Wortsprache ist das Komische als solches überhaupt erst exponierbar. Viel ist damit gewonnen. Denn dies vermag nur die Sprache. Wer das auf diese Weise nicht kann, ja das ist jetzt die Musik. Der Text ist in einer Umkehrung gemündet: Nachdem er seinen Ausgang als Imitation des Musikstücks nahm, wird das Piano zum Begleiter.
Es bleibt der Sinnbezug zum Gegenstand des "Komischen". Oder wie Ilse Kilic es in ihrem Beitrag zum Heft ausdrückt (und übrigens mit Comic-Stimme auf der CD verlautbart): "Da kommt das motto als witz". Das trägt viel Tragik in sich. Oder wie könnte man Denken über das Komische am Sinn sonst verstehen, denn als seinen tragischen Verlust? Witzige Sprache und Comics sind kompensatorische Ausformungen des Spiels mit Sinn-Verlust.
Neben dem textuellen Einschub von Kilic gibt es weitere von Christine Huber, Christian Steinbacher, Ulf Stolterfoht und Günter Vallaster. Signifikant dabei: Mitunter handelt es sich um Gedichte, die auf experimentelle Weise sinnhaftes Sprechen radikal hinter sich lassen wollen.
Anthologie in der Schachtel
"COMIC SENSE" ist eine "Anthologie in der Schachtel". Neben dem Heft enthält sie Comixposter von Gadenstätter und Bernhard Günther, Postkarten mit echten Sinnsprüchen von Lisa Spalt sowie den schon genannten kongenialen Comix Fake von Fritz Widhalm und Gadenstätter: die zweite Imitation des Klavierstücks als Selbstimitation oder Imitation der Text-Imitation.
Als zutiefst metapoetisches Gemeinschaftswerk sei die Schachtel metareflexiven Grenzdenkern empfohlen, jenen, die Lust am Text verspüren wollen und solchen, die sich nach Hören von Gadenstätters Musikstück fragen mögen, was die Musik in Bezug auf seinen Titel noch vermag und was nicht. Marietta Böning
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Danke.
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