Kurt Schwitters

Das literarische Werk

Undefined. DuMont, Köln. ISBN: 3-770-14473-2

Kurt  Schwitters: Das literarische Werk

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"Wir eröffneten in den Haag. Doesburg las ein sehr gutes dadaistisches Programm, in dem er sagte, der Dadaist würde etwas Unerwartetes tun. In dem Augenblick stand ich inmitten des Publikums auf und bellte laut. Einige Leute fielen in Ohnmacht und wurden hinausgetragen, und die Zeitungen berichteten, Dada bedeute Bellen. Wir bekamen sofort Engagements für Haarlem und Amsterdam...", erzählt Kurt Schwitters aus dem Holland-Dada-Feldzug im Frühjahr 1923. Dada Demo Bellen: Urlaut - Tierlaut - Anti-Kunst - spontaner Anschlag auf die Ratio - "épater le bourgeois" Aktion - Denunziation des überkommenen Kulturguts, das sich im Ersten Weltkrieg als brüchig erwiesen hatte...

Der 1887 geborene Hannoverianer agierte im Spannungsfeld, das die europäische Avantgarde bis zu ihrer Zerstreuung durch die Nationalsozialisten in mehreren Metropolen aufbaute. 1918 fand Schwitters im Berliner Sturm Kreis um Herwarth Walden zu seiner eigenen Form, Expression sowie Abstraktion hinter sich lassend zugunsten des Material-Bilds und des experimentellen Texts: "Vergangenheit ist eine Zier, / Doch weiter kommt man ohne ihr." Über alle Grabenkämpfe hinweg schloss er sich mit den Dadaisten in Berlin, Prag und Paris kurz, kooperierte mit der holländischen De-Stijl-Gruppe und dem Bauhaus. Schwitters nutzte die Dynamik der verschiedenen Gruppen zur Verbreitung seiner eigenen MERZ-Kunst, seines Mit- und Gegenentwurfs zu den vielen Ismen der internationalen Avantgarde. Die Silbe MERZ hatte der Künstler für eine Collage aus dem Wort "KOMMERZ- UND PRIVATBANK" herausgebrochen, eine Methode, die in mehrfacher Hinsicht typisch für Schwitters' Kunst ist: sie verfremdet ihr Material bis zur Entstellung, integriert oft Buchstabenmaterial in die Bildkomposition, dekonstruiert aber dessen Sinnbezug und schöpft aus dem "Banalen", "vermerzt" Alltägliches wie Annoncen, Reklamen, Verpackungen, Billette, Rechnungen etc.: "Ich bin der Künstler, der den Gesang des Anderen, der vielleicht sehr schlecht ist, durch Abgrenzung zum Kunstwerk gemacht hat." Für Schwitters konnte jedes Material Element einer Bildkomposition werden; später gab er einmal an, auf die zündende MERZ-Idee gekommen zu sein, als ihm beim Porträtieren von Dr. Karl Aloys Schenzinger beigefallen sei, auf dessen Wange einen Bierfilz zu montieren.

In Schwitters' rastlosem Produzieren und Propagieren der MERZ-Collagen und -Assemblagen, der MERZ-Gedichte, -Manifeste und    -Bühnenstücke, der MERZ-Abende und -Feste, auch in seinem rastlosen Publizieren in bekannten und entlegenen Organen formiert sich ein modernes Künstlertum, das mit der technologischen Akzeleration kritisch Schritt hält, aktionistisch vorgeht und verschiedene Medien zu bespielen weiss; man erinnere sich nur daran, dass Schwitters 1919 sein berühmtestes Gedicht An Anna Blume auf Hannovers Litfassäulen kleisterte und binnen Kürze in aller Munde war. Neben diesen Aktivitäten arbeitete er jedoch im Stillen an der Waldhausenstr. 5 an seinem "Lebenswerk", dem Merzbau. Die "Vermerzung" seines Zuhauses begann vermutlich 1923 im Atelier, wucherte aber bald weiter ins Nachbarzimmer und unters Dach, von wo aus Schwitters eine Freiluftplattform zum Sonnenbaden konstruierte, drängte dann auf den verglasten Balkon hinaus und wuchs von dort über eine aussenseitige Wendeltreppe in eine unterirdische Zisterne hinab. Über insgesamt 8 Räume erstreckte sich der Merzbau, ein Work in progress, ein wie die Ursonate oder die MERZ-Bühne auf Veränderbarkeit hin angelegtes "Gesamtkunstwerk", an dem Schwitters bis in die 30er Jahre operierte: mit beweglichen Säulen, verschiebbaren Wänden, mit Schubladen, Höhlen, Grotten, offenen und geschlossenen, mit ganzen Landschaften aus Holzlatten und Gips, angereichert mit Zeichnungen, Plastiken, Notizen, Zeitungsresten, mit Erinnerungsspuren wie Postkarten, Haarbüscheln oder Fingernägeln, mit Fundstücken zumal, die Schwitters aus Hannovers Abfallmulden fischte.

1937 wurde der Druck im Hitler-Deutschland für den deklarierten 'Entarteten' zu gross. Er rettete sich nach Norwegen, wo er den zweiten Merzbau in Angriff nahm. Nach der konstruktivistischen Phase tauchte das Projekt Merzbau mit dem Haus am Bakken (norw. 'Abhang') in eine naturmystische Phase ein. Der Künstler schloss es direkt an den nackten Felsen am Meer unterhalb seines Hauses in Lysaker an, vom Wäldchen so schlecht geschützt, dass er jedes Brett sogleich nach seiner Fertigstellung mit einem Tarnanstrich versah und mit Erde und Tannennadeln überwarf. 1940 floh er nur einen Tag vor dem Einmarsch der deutschen Truppen nach England, doch konnte er dort nicht mehr Fuss fassen. Am 8. Januar 1948 starb er in Ambleside, völlig verkannt und, schlimmer noch, völlig verarmt, "vergessen, allein", "ein fertig gemachter Poet", der in den 40er Jahren nur eine Einzelausstellung in der Modern Art Gallery in London gehabt und sich in der Provinz mit Landschafts- und Porträtbildern mehr schlecht als recht über Wasser gehalten hatte. Trotzdem: Schwitters sollte vor seinem Tod noch die Kraft finden, den dritten Merzbau, die Merz Barn, zu beginnen.

Bomben zerstörten 1943 den ersten Merzbau in Hannover (ein Restaurationsversuch wurde inzwischen errichtet), das Haus am Bakken brannte 1951 nieder, und die Merz Barn (egl.'Scheune') verwildert auf dem Gelände einer ehemaligen Pulverfabrik, während die einzige fertige Wand ins Museum der Universität Newcastle gebracht wurde: organische Gipsformen mit verwaschenen Steinen und abgeschliffenen Holzstücken vom nahen Flussbett, mit Blütenblättern gar und Farben, Allverschwisterung in nuce; das Dach hätte ein Rasendach werden sollen...

Kurt Schwitters' längerfristige Wirkung kann einem unterirdisch in alle Richtungen fliessenden Strom verglichen werden, irgendwo zwischen Gertrude Stein und Marcel Duchamp: er begeisterte die Beats, sein Zugriff auf die Reklame lebte in der Pop-Art weiter, seine Feste und Auftritte gingen den Happenings und Performances voraus, Schwitters' Lautgedichte beeinflussten die poésie sonore, seine Lyrik die konkrete Poesie, seine MERZ-Bühne antizipierte das Living Theatre, das Theater der neuen Objektivität, und wenn man Greil Marcus paraphrasieren will, so dröhnt sein Non-Sense-Bellen noch im blöden Brummen des Punk fort... "Wenn du mich nicht siehst, so brauche ich deshalb und desdreiviertel doch nicht unanwesend zu sein", bemerkte Schwitters. "Begrijpt U dat? Und alle Euter läuten."

 Florian Vetsch






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