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'Wir sind stumme Propheten. Wir ersetzen das Wort durch die Gewalt.
Sie erzählt unseren Feinden, was wir zu sagen haben. Sie erzählt
der Welt, was wir wollen und wer wir sind.' Eine finstere Gruppe ist
das, die Sekte der "Namenlosen" um den fanatischen Iren Fisnish. Ihre Feinde
sind die Amtsträger der katholischen Kirche, und die Sprache der Gewalt
nehmen sie wörtlich. Was sie wollen, ist Rache. Allesamt sind sie
Opfer einer seelenzerstörenden religiösen Erziehung. Fest im
Griff ihres asketischen Führers, getragen vom Gefühl des Auserwähltseins,
getrieben von ichauflösenden Parolen - "frag nie, warum", "hör
auf zu sein" - und von der Hand des Gurus gebrandmarkt ziehen sie im Sommer
1996 durch Südfrankreich und Irland und betreiben zielgerichtet die
Vernichtung ihrer Peiniger, der verhaßten Mönche, Nonnen und
Priester. Die Krönung des Feldzugs sollte die Ermordung des Papstes
in Rom durch ein Selbstmordkommando sein. Aber die zu dieser Tat Auserkorene,
die Schweizerin Chri-sta, entzieht sich der Aufgabe, weil sie ihr Leben
retten will, das sie dann doch verliert durch die Hand des Sektenführers.
Die Geschichte nimmt Gestalt an in einer komplizierten
Erzählstruktur. Zu Beginn - es ist September - sitzt Christa am Schreibtisch
in einem irischen Cottage, wohin sie geflohen ist. In Erwartung von Fisnishs
Rache schreibt sie einen Brief an ihre Tochter, der zugleich ihr Geständnis
ist, ihre Lebensbeichte. Eingeschobene Zeitungsausschnitte dokumentieren
die tödlichen Aktivitäten der Sekte. Die Tochter, der sie den
Namen Claudia gibt, hat sie nie zu Gesicht bekommen, sie war die Frucht
einer frühen Beziehung mit einem jungen Geistlichen und wurde ihr
gleich nach der Geburt weggenommen. Christa verfaßt ihren Bericht
nach Art eines Tagebuchs, so durchlebt sie den ganzen mörderischen
Sommer ein zweites Mal. Dabei kommen Kindheitserinnerungen hoch, an den
Vater, der Korrektor war in einer Druckerei, an die Mutter, die der Kirche
und dem Priester Lingen hörig war. 'Meine Mutter glaubte an Gott,
mein Vater an den Duden.' Während die Mutter ihr mit Gewalt jede
Körperlichkeit auszutreiben versuchte, zwang der Priester sie zu sexuellen
Diensten. Der wurde dann folgerichtig Opfer ihrer Rache.
Gegenfigur zu Fisnish und seiner leeren Kälte ist
der schöne Feuerschlucker Erich am Strand von Narbonne. Erich predigt
Liebe, nicht Haß. Er kommt aber zu spät, um Christa vor Fisnishs
Messer zu retten. Immerhin rettet er ihr Manuskript, ergänzt es durch
eigene Zusätze und schickt es der Tochter. Sein Begleitbrief, an den
Anfang des Romans gesetzt, beglaubigt ihn fiktiv als Dokument.
Der Schweizer Hansjörg Schertenleib (in Irland wohnend)
schreibt seit Mitte der achtziger Jahre Prosa, Gedichte und Theaterstücke.
In seinem Roman "Das Zimmer der Signora" (1996), der mit dem Kranichsteiner
Literaturpreis ausgezeichnet wurde, hat er bereits das Verhältnis
von Sexualität und Gewalt in einer sehr komplexen Darstellungsweise
durchgespielt. Der neue Roman stellt das Thema in den Kontext einer Sekte.
Es hat Autoren immer wieder gereizt, die Dynamik solcher Gruppen darzu-stellen,
ob sie nun die "Namenlosen" heißen oder die "Entschlossenen", wie
in Josef Haslingers spektakulärem "Opernball". Die eigentlich interessante
Frage dabei ist, was einen Menschen dazu treibt, Verstand und Persönlichkeit
aufzugeben zugunsten eines obskuren Ziels und der Machtbesessenheit eines
Führers. Schertenleibs Christa, so viel sie auch erzählt, beantwortet
diese Frage nicht befriedigend. Die Tochter, für die sie schreibt,
lernt die Mutter nicht wirklich von innen kennen, erfährt sie nicht
als eine Fühlende, Ringende, Entscheidende. Dafür bedient sich
Christa reichlich bei den Kli-schees der religiös Traumatisierten.
Der Priester Lingen ist fett, alt, lüstern, feige. Christas bigotte
Mutter trägt den Dutt straff geknüpft am Hinterkopf, während
sie nie benutztes Silber putzt - "der Triumph von Sauberkeit und Ordnung".
Lebenserfahrung wird wenig originell formuliert: "Für sein Leben ist
man selbst verantwortlich", oder: "Wir Menschen scheitern letztlich an
uns selbst." Christa selbst erscheint einerseits als bedauernswertes Produkt
sexualfeindlicher Bigotterie, andererseits aber, von einem Hauch mystischer
Größe umweht, als ein "eiskalter Engel", dem man den sklavischen
Gehorsam gegenüber dem durchaus durchschaubaren Guru nicht abnehmen
mag. Die Rolle wirkt als Psychogramm nicht schlüssig und wird auch
durch Erichs Ergänzungen nicht plausibler. Sie engt leider auch Schertenleibs
Sprache ein. Stefano im "Zimmer der Signora" konnte da aus dem Vollen schöpfen.
Wenn Christa spricht, verliert die Sprache Farbe und jede Spur von Humor.
Die Figur entwickelt sich auch nicht, so daß der Roman, trotz seines
blutigen Beginns, keine wirkliche Spannung aufbaut. Vielleicht wäre
eine so heikle Figur besser nicht von innen, sondern von außen darzustellen,
wie die rätselhafte Signora, dann bliebe ihr das Stück Geheimnis,
das sie braucht.
Eva Leipprand
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Danke.
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