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Berlin, Aufbau Verlag, 1999, ISBN 3-351-02868-7
Exil-Literatur war - leider - im 20. Jahrhundert eine weitverbreitete
Gattung, und ob sich diese Art der Auseinandersetzung mit der bitteren
Realität in Zukunft erübrigt, sei dahingestellt. Aber gerade
das Leid der mehr oder weniger freiwilligen Ausbürgerung hat immer
wieder bemerkenswerte Bücher zu Tage gebracht.
Der ungarische Autor Paul Salamon hat selbst 1977 seine Heimat verlassen
und lebt seitdem in Israel und den USA. Seine Erfahrungen mit der Fremde
hat er in dem Roman "Der Wahrsager" literarisch verarbeitet.
Zwei junge Männer müssen das Ungarn der 70er Jahre verlassen, einer, um der Liquidierung zu entgehen, der andere auf der Suche nach einem besseren Leben. György Lázár, aus unerfindlichen Gründen "Feldwebel" genannt, schreibt Romane und kann gerade noch rechtzeitig vor den Schergen der Geheimpolizei nach Wien fliehen. János Sorel, aus einer selbsternannten karpatischen Dynastie stammend, flieht aus einem Frauenhaushalt mit Großmutter, Mutter und Stiefschwester, um sein Glück im Westen zu machen. Er nimmt das Leben leicht und nutzt die Zuneigung der Frauen, während Lazar eher nachdenklich durchs Leben geht und über literarische und moralische Grübeleien fast das Leben vergisst.
Die beiden treffen zufällig aufeinander und bilden anfangs eine Notgemeinschaft, dann entwickelt sich so etwas wie eine inneres Band zwischen ihnen, das lange Zeit eher unsichtbar zwischen ihnen gespannt ist und sie zusammenhält. János organisiert für György bessere Lebensbedingungen und glaubt an seine schriftstellerische Zukunft, verdirbt ihm jedoch andererseits durch unüberlegte und unangebracht stolze Reaktionen die literarische Zukunft in den USA. Auf Umwegen gelangt der jüdische Feldwebel Lázár nach Israel, während ausgerechnet Janos in den USA landet.
Beide müssen sich unter widrigen Bedingungen in fremden Ländern
zurechtfinden, vom sozialen Umfeld ihrer Heimat abgeschnitten und materiell
wie emotionell vollständig auf sich selbst gestellt. Während
der eher introvertierte Feldwebel in Israel eine wechselhafte Karriere
als wissenschaftlicher Angestellter und Fensterputzer durchläuft,
durchquert János mit seltsamen "Heiligen" die Oststaaten der USA,
lässt sich ausnutzen, schnorrt sich durch und erfährt eine melancholische
weil chancenlose Liebe. Am Ende richten sich beide in ihrem neuen Leben
ein, János sogar erfolgreich in dem ihm fremden Filmgeschäft,
und fassen auch emotionell und sozial wieder Fuß.
Paul Salamon erzählt in seinem Roman eine weitgehend unspektakuläre
Geschichte ohne dramatische Verwicklungen oder politische Intrigen. Doch
wie er diese Geschichte zweier entwurzelter Menschen erzählt, fesselt
von der ersten bis zur letzten Seite. Die Charaktere werden in einem ruhigen
Erzählstrom schrittweise aufgebaut und behutsam entblättert,
so als wolle er den Protagonisten nicht zu nahe treten. Das gibt ihm die
Möglichkeit, auch feine Gefühlsnuancen, Skrupel, Zweifel und
Unsicherheiten seiner Personen glaubwürdig darzustellen ohne sie einem
"Action"-Zwang opfern zu müssen.
Dabei durchzieht das ganze Buch ein Hauch von melancholischer Ironie
oder ironischer Melancholie. Auf die Gefahr, hier einem Klischée
zu folgen, spürt man doch so etwas wie die ungarische Seele, wie sie
gerne in den Operetten und Freiheitsdramen des ausgehenden 19. Jahrhunderts
präsentiert wurde, und irgendwo schimmert von Zeit zu Zeit auch -
mit einem Augenzwinkern - das Sentiment eines ungarischen Stehgeigers durch
die Zeilen. Auch die Vertreibung aus der Heimat dient nicht zur gnadenlosen
literarischen Abrechnung, etwa wie bei Biermann, sondern erscheint als
eine traurige Tatsache, die man hinnehmen muss, da man sie verhindern kann.
Beide Protagonisten können sich trotz aller Tatkraft in ihrer
neuen Umwelt nie von ihrer Heimat lösen. Der Feldwebel verfällt
immer wieder der Erinne- rung an seine Flucht als Junge vor den Verfolgungen
der Nazis, und János´ Gedanken kreisen auch in den turbulenten
USA-Phasen immer um seine mehr als brüderlich geliebte Stiefschwester
und die - wie er es sich schuldbewusst eingesteht - treulose Desertion
von seiner Familie in Ungarn.
Beide werden sich der neuen Gesellschaft nie vollständig assimilieren,
sondern in zwei Welten leben, und daraus eignen sie sich eine Melancholie
an, die den Charakter des Buches ausmacht.
Neben den beiden Protagonisten gewinnen auch die Frauen um sie herum
ausgeprägte Konturen. Die gefühlsbetonte und impulsive Freundin
des Feldwebels erträgt auch seine introvertierten Eskapaden geduldig
und flößt ihm durch ihre Naivität immer wieder Mut ein.
János´ Gastgeberin in den USA weckt in ihm trotz ihrem deutlich
höheren Alter erotische Gefühle und erwidert diese, behält
aber angesichts ihrer stabilen Ehe mit einem nur scheinbar etwas vertrottelten
Mann die Übersicht. Erotische Anziehung blitzt hier nur in kurzen
Augenaufschlägen oder wenigen doppeldeutigen Sätzen auf und dient
nicht einer vordergründigen Attraktion des Buches.
Paul Salamon hat mit diesem Roman ein wahrhaftiges Abbild menschlicher Zeitgeschichte geschaffen, das schon allein wegen der sprachlichen Qualität die Lektüre lohnt.
Frank Raudszus
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