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Salman Rushdie

Scham und Schande

Roman. Droemer Knaur, ISBN: 3-426-60285-7

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Salman Rushdie ist, wie jeder weiß, unumstrittener Großmeister der spitzen Feder, der beißenden Ironie und des stechenden Zynismus. In seinem 1983 erstmals erschienenen Roman ‚Scham und Schande’ (‚Shame’) zeigt er sich darüber hinaus nicht nur als auktorialer Drübersteher und Belächler, sondern als Betroffener, der seiner Betroffenheit darüber, worüber er schreibt, deutlich Ausdruck verleiht. Und das macht uns als Leser nur umso betroffener, da wir solche Töne von ihm eigentlich nicht gewöhnt sind. ‚Scham und Schande’ ist Rushdies persönlichstes Buch.

Es handelt von einem Land namens P. – P. wie Pakistan. Aber es ist nicht Pakistan. Es könnte allerdings Pakistan sein. Oder ist es doch Pakistan? Wenn ja, dann sicherlich nicht nur.

Kritische Geister in diesem Land versucht man zunächst hinter den Kulissen ein wenig auf die Seite zu räumen. Nicht allzu auffällig, und nicht mit allzu viel Nachdruck. Man lebt ja fast in so etwas ähnlichem wie einem freien Land, und allzu sehr braucht man kritische Geister nicht zu fürchten. Sollen sie Staat und Regierung kritisieren, so viel sie wollen. Staat und Regierung können einiges tolerieren, haben ja ein reines Gewissen. Eines aber sollten die kritischen Geister tunlichst bleiben lassen, nämlich ihre Lästerung des Staates und der Regierung auf die Lästerung Gottes auszudehnen. Das ist nämlich Blasphemie, und die wird aufs Strengste geahndet – und zwar von Staat und Regierung. Früher oder später wird jeder kritische Geist sich in Blasphemie üben, das liegt in seiner von Haus aus perversen Natur, und bis dahin kann man mit seiner Verfolgung noch zuwarten. Und sollte er sich doch zu lange Zeit lassen, dann kann man ihm ja ein wenig auf die Sprünge helfen und seine Attacken gegen Gott und Religion an seiner Statt ein wenig vorab verbreiten und ihm in die Schuhe schieben. So allseits bekannt, offensichtlich und fadenscheinig derlei zuweilen sein mag, es finden sich immer wieder genug, die nun lauthals die Beseitigung des jeweiligen kritischen Geists fordern, und zwar so lauthals, daß Staat und Regierung ihrerseits in den Ruch der Blasphemie gerieten, würden sie nicht mit aller Härte gegen diesen kritischen Geist vorgehen. Sie tun also nichts weiter als ihre allerheiligste Pflicht…

Kennen wir diese Geschichte nicht von irgendwoher? Natürlich kennen wir sie. Aber Rushdie schreibt nicht nur über seine eigene (damalige) Zukunft, er beschreibt die gängigen Praktiken in diesem Land. Nicht nur unliebige Schriftsteller werden in P. auf diese Weise auf die Seite geschafft, sondern auch – und insbesondere – ehemalige Staatspräsidenten und Premierminister, beziehungsweise künftige, beziehungsweise solche, die es künftig gerne wären. Auf diese Weise sägt sich P. ständig die Äste auf der politischen Weltbühne ab, auf denen es gerne für länger säße, und auf diese Weise wird es noch für lange Zeit der politische Hinterwald bleiben, der es eben ist. Schade.

Rushdie verteufelt die Zustände in P. nicht, er steht ihnen fassungslos gegenüber, sein ironisches Auslächeln versiegt irgendwann – über dieses Land kann man nicht herablassend lächeln, beweinen muß man es, aus ganzer Brust. Und doch muß man eine Hommage schreiben an und über seine Bewohner, die so skurrile Wunderlinge sind, daß sie – wenn sie nicht echt wären – nur einem Rushdie-Roman entspringen könnten.