Ricardo Piglia

Falscher Name

Roman. Verlag Klaus Wagenbach, Berlin. 100 Seiten. 15.50 EUR . ISBN: 3-8031-3184-7

Schriftsteller und ihre sogenannten Freunde
Ricardo  Piglia: Falscher Name

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Der Roman des argentinischen Schriftstellers Ricardo Piglia ist eine Hommage an Roberto Arlt, wie Roberto Arlt selbst sie sich nicht schöner wünschen könnte. Und wenn man nicht weiß, wer Roberto Arlt ist, dann macht das überhaupt nichts – man wird ihn gründlich kennen lernen…

»Wenn Kafka wirklich gewollt hätte, dass seine Manuskripte zerstört werden, hätte er sie selbst verbrannt. Es ist auch nicht zu gewagt, sich vorzustellen, dass Max Brod irgendwann von einem ganz anderen Zweifel gequält wurde. Und zwar (es muss so gewesen sein): „Niemand – bis auf mich und Kafka, und der ist tot – weiß von der Existenz dieser Werke. Soll ich sie also unter Kafkas Namen veröffentlichen oder sie als meine eigenen erscheinen lassen? Diese Texte gehören niemandem mehr, nicht ihrem Autor, denn der wollte sie nicht. Sie gehören niemandem.“«

Wie sich Max Brod zwischen ‘Verrat an der Literatur und Verrat an Franz Kafka’ entschieden hat, wissen wir.
Saúl Kostia hingegen, einer der letzten Kumpane des 1942 verstorbenen argentinischen Schriftstellers Roberto Arlt, ist gründlich anders drauf:

»„Wenn ich Max Brod wäre, hätte ich ‚Das Schloss’ unter meinem Namen veröffentlicht.“
„Arlt auch.“
„Arlt auch, da haben Sie mal keinen Zweifel.“

Spricht’s, geht und veröffentlicht tatsächlich die letzte und bislang unveröffentlichte – gar verschollene – Erzählung seines toten Freundes unter eigenem Namen, der Schuft. Und das just zu dem Zeitpunkt, als der Ich-Erzähler von Ricardo Piglias Roman ‚Falscher Name’ dieser Erzählung auf der Spur ist. Der Erzähler heißt genauso wie der Autor des Romans – Ricardo Piglia also – und ist gerade (Anfang 1972) dabei, systematisch, objektiv und seriös eine Sammlung von unveröffentlichten Schriften Arlts herauszugeben, dessen Todestag sich um diese Zeit zum dreißigsten Mal jährt.
Ebenso systematisch, objektiv und seriös, wissenschaftlich eben, erzählt Piglia, wie er auf den Text, seine verschiedenen Bruchteile und Versionen, und eben auf Kostia gestoßen ist. Nebenbei referiert er den Inhalt der besagten Erzählung. Dabei sind ‘systematisch, objektiv und seriös’ in keinster Weise Synonyme für ‘langweilig’, im Gegenteil. Piglia (Welcher denn? Der Erzähler oder sein Autor?) kitzelt die Neugierde des Lesers bis zum Äußersten, baut Spannungsbögen auf und reißt sie wieder ein, dass es nur so kracht. Man kann das Buch einfach nicht aus der Hand legen; so spannend kann Realität sein… Schließlich offeriert Piglia die akribisch wiederhergestellte Erzählung – ‘Luba’ – selbst; Roberto Arlt vom Feinsten:
Er zeichnet ein Bild des literarischen und politischen Buenos Aires um 1940, ein Milieu von Verkommenheit und Ausweglosigkeit: Umgangssprache verbunden mit philosophischer Reflexion, Subversion, Verschwörungen, Diktatur und Terror. Seine Halbwelt besteht aus dubiosen Figuren, Herumtreibern, Gaunern, Anarchisten, Prostituierten und Zuhältern, Erfindern und Verrückten, überwiegend Besessenen und Außenseitern, die einer fixen Idee von Revolution oder plötzlichem Reichtum hinterherlaufen.
Erinnert das uns kulturgeschichtlich anders Sozialisierte (denn Hand aufs Herz: Wer kennt schon heute noch Roberto Arlt?) nicht an Brecht oder Piscator?
O ja, durchaus. Mit einem kleinen Unterschied: Arlt hebt keinen moralischen Zeigefinger, und die Mehrbödigkeit seiner Erzählungen, das Spiel mit Fiktion und Dokumentation, das Ineinandergreifen von Historizität und Erfindung, das sukzessive Voranschreiben von fragmentarischer Zerstreuung zu einer hochkonzentrierten Erzählung, die Reflexion des Entstehens von Literatur im Entstehungsprozess, all das ist nicht im Mindestens plakativ oder gar platt. (Die Brecht- oder Piscator-Fans mögen mir verzeihen.)

»„Hört mich an“, sagt er und hebt die Hände in die Höhe. „Seht meine Hände. Hier in diesen Händen habe ich mein Leben. Seht ihr es? Mein Leben war schön. Es war rein und voller Leidenschaft. Es war wie ein schönes Kristallglas. Und doch, seht, ich werfe es hin.“
Er macht eine abrupte Handbewegung und das Glas fällt auf den Boden. Alle Augen sind auf das zersplitterte Glas gerichtet, als wollten sie dort nach den Resten eines schönen Menschenlebens suchen.
„Tretet darauf herum“, sagt er, „tretet darauf herum, bis nichts mehr übrig ist.“«

Und jetzt kommt der Clou: Recherche und Erzählung sind von vorne bis hinten erstunken und erlogen; alles reine Phantasie. ‘Luba’ hat es nie gegeben.
Zugegeben: So groß ist die Überraschung auch wieder nicht; es stand ja bereits auf dem Buchdeckel. Aber dennoch: So geschickt arbeitet Piglia, so massenweise bringt er Belege, teils echte, teils erfundene, dass man sich als Leser immer wieder fragt, während man zwischen zwei Absätzen flüchtig nach Luft schnappt, wo denn hier die Grenze zwischen Dichtung und Wahrheit verläuft. Und so geschickt verbindet Piglia (der Autor diesmal) stilistisch die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts mit der zweiten, seiner eigenen Zeit also, zumindest den 70ern, dass man sogar beginnt, den Begriff Postmoderne wieder zu lieben.
Eine Hommage an Roberto Arlt, wie Roberto Arlt selbst sie sich nicht schöner wünschen könnte.

Dieter Lohr




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