Haruki Murakami

Naokos Lächeln

Roman. DuMont, 428 Seiten. 46.00 DM . ISBN: 3-7701-5609-9

Auf der Suche nach den verlorenen Bildern
Haruki  Murakami: Naokos Lächeln

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I once had a girl ...

Dass ein bestimmter Geruch Erinnerungsketten auslösen kann, haben wir alle schon einmal erlebt. Etwa, wenn wir im dunklen Kinosaal ein Parfum ausmachen, das eine liebgewonnene Person einmal benutzt hat. Dass ein bestimmter Geschmack erlebte Ereignisse wiederbringt, ist vielleicht seltener. Trotzdem hat uns Prousts in den Tee getunktes Madeleine-Sandtörtchen mit der „Suche nach der verlorenen Zeit“ einen der wichtigsten und mit über 3000 Seiten gewichtigsten Romane über die Erinnerung beschert. Dass auch einem Lied oder genauer den drei magischen Minuten, die ein Popsong im Durchschnitt dauert, so viele erfahrene Gefühle und innere Bilder eingeschrieben sein können, um damit einen wunderbaren 420-Seiten-Roman zu füllen, zeigt uns jetzt der japanische Autor Haruki Murakami mit „Naokos Lächeln“.

Toru Watanabe, ein japanischer Journalist, befindet sich auf dem Landeanflug auf Hamburg. Für den 37-Jährigen, der viel in der Welt herumgekommen ist, nichts Außergewöhnliches. Bis er über Bordlautsprecher eine Instrumentalversion des Beatles-Klassikers „Norwegian Wood“ hört und von einer gewaltigen Erinnerungswelle überflutet wird. „Ich dachte an all die Verluste, die ich in meinem Leben schon erlitten hatte. Verlorene Zeit, Menschen, die gestorben waren oder mich verlassen hatten, Gefühle die nie wiederkehren würden.“ Im Geiste sieht er sich wieder als zwanzigjährigen Studenten – wie er zusammen mit der kleinen, zarten Naoko über eine regenfeuchte Wiese in den Bergen spaziert und ihren naiven, phantasievollen Geschichten lauscht. Erschreckend deutlich spürt er, wie das damals gewesen ist, in dieses verletzliche Wesen von unnahbarer Schönheit verliebt zu sein. Diese wenigen, verloren geglaubten Bilder, die Naokos Lieblingssong dem Ich-Erzähler zurückbringt, treiben ihn an, Naokos und seine Geschichte zu erzählen. „Ich beschloss, ein Buch zu schreiben, um aufzuwachen, denn ich bin nun einmal jemand, der die Dinge aufschreiben muss, um sie zu begreifen.“

In einfachen Sätzen und deutlichen Bildern erzählt Haruki Murakami eine nahezu gewöhnliche Liebesgeschichte und man ist erstaunt, wie er auf genau diese Weise einen ungewöhnlich intensiven Gefühlskosmos schaffen kann. Es ist die Kunst, eine Geschichte zu erzählen, mit nichts als der Absicht, eine Geschichte zu erzählen, die Murakami bis zur Meisterschaft beherrscht. Durch einen sensiblen, scheinbar ungekünstelten Umgang mit den Details, aber auch durch Auslassungen im entscheidenden Moment, wird das ästhetische Konstrukt hinter höchstlebendigen Figuren unsichtbar, die man gern als Freunde hätte. Die Geschichte entgleitet Murakami auch dann nicht, wenn er über sexuelle Phantasien eines heranwachsenden Mädchens berichtet.

Als 19-jähriger Student treibt der melancholische Einzelgänger Toru Watanabe durch das Tokio der Spät-60’er. Tagelang liegt er allein in seinem spärlichen Wohnheimzimmer, stundenlang spaziert er schweigend mit der wiedergetroffenen Schulfreundin Naoko durch die Vorstädte, mit der er sich aufgrund eines traumatischen Jugenderlebnisses, dem unerwarteten Selbstmord des einzigen Schulfreundes, verbunden fühlt. Nach und nach wird er sich seiner Liebe zu ihr bewusst. Es kommt zwar zu einer für beide wunderschönen Liebesnacht, aber bald schon zeichnet sich ab, dass Naoko ihr seelisches Gleichgewicht, das durch zwei Selbstmorde nahestehender Menschen erschüttert wurde, auch in einer alternativen Heilanstalt nicht wiederfinden wird. Die traurige Liebe zur fernen, unerreichbaren Naoko wird Toru lange Zeit blind machen für die lebensfrohe Midori, die für ihn sogar ihren Freund verlassen hat.

Murakamis „Naokos Lächeln“ ist nicht nur eine einfach verschachtelte, mitreißend erzählte Liebesgeschichte, sondern immer auch ein Roman über die verschiedenen Formen der Erinnerung. „Es dauert immer eine Weile, bis Naokos Gesicht aus den Tiefen meines Gedächtnisses auftaucht. Traurig, aber wahr. Zuerst brauchte ich fünf Sekunden, dann zehn, dann dreißig, bis eine Minute daraus geworden war. Ähnlich wie Schatten in der Dämmerung allmählich immer länger werden, bis die Dunkelheit sie ganz verschluckt, entfernte sich mein Gedächtnis immer weiter von Naoko, so wie es sich immer weiter von meinem damaligen Ich zu entfernen schien.“ Und dann, ganz plötzlich, wie durch ein Wunder, ausgelöst durch ein unerwartetes, manchmal banales Ereignis wie einem Geruch oder einem Popsong, kann alles wieder mit quälender oder verzaubernder Kraft aus den Tiefen des Bewusstseins auftauchen. Und wir als faszinierte Leser können sicher sein, dass auch wir das nächste Mal an Naoko denken werden, wenn wir zufällig bei „Norwegian Wood“ das Radio anstellen: I once had a girl, or should I say she once had me...






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