Heiner Müller

Gedichte

Lyrik. Suhrkamp Verlag, ISBN: 3-518-40883-6

Heiner  Müller: Gedichte

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Heiner Müller

Gedichte

Tote kommen immer mal wieder ins Gespräch, manche sogar ins Gerede. Auch ein Heiner Müller. Da muß sich die schwarze, sonor brummende Kultfigur zeitgenössischer Dramatik - mithin auch "der letzte Held der DDR" (Der Spiegel) - einen Plagiator schimpfen lassen, nur weil er mal eben in seinem letzten Stück seinen Brecht unangemessen häufig gebraucht hat. Die schnelle Eingreiftruppe Brechtscher Erben trat auf und ließ Ende März die Verbreitung von "Germania 3 - Gespenster am toten Mann" gerichtlich verbieten, weil Müller die "Freiheit des Zitierens überschritten" habe.

Weniger Aufruhr bezüglich der Ikone Müller bereiten die jüngst von Suhrkamp herausgegebenen Gedichte. Eine Edition übrigens, von der selbst der Herausgeber bemerkt, daß sie Müllers Editionsprinzipien nicht "voll gerecht werden" könne. Der wollte eine "brutale Chronologie" haben, die sich aber (so der Herausgeber) nicht herstellen ließ, weil "das ihnen je eingeschriebene Datum ihrer ersten Gestalt noch nichts über den historischen und poetischen Platz aussagte", den Müller für später vorgesehen hatte. Was Müller selbst verschleierte, soll ruhen und auch gleich für alle Texte gelten. Man spielt den Meister selbst, indem man das "gleichzeitig Ungleichzeitige" propagiert. Hier zeigt uns der Siegfried sein Lindenblatt und hofft auf einen philanthropischen Hagen. Geschenkt.

Nach dem Zusammenbruch des sozialistischen Systems ist Müller als Dramatiker geendet, Lyriker aber ist er immer geblieben. Dennoch war er im Kern Dramatiker und Regisseur, als Lyriker hingegen nur 'Randmüller'. Gedichte sind zu großen Teilen Sprengsel seiner Dramenarbeit, Vorlagen oder mäandernde Versuche zu den Themen, die ihn bewegten. 120 der Öffentlichkeit bisher unzugängliche Gedichte finden sich im ersten Band der geplanten Werkausgabe Müllerschen Schaffens. Das Buch zwängt sie in Jahrzehnte, die man als unbeschlagener Leser leicht für Zäsuren halten könnte. Ein Editionsschema mithin, das man von den 1992 im Berliner Alexander-Verlag erschienen Gedichten Müllers übernommen hat.

Vielleicht hat der spätere "Popstar und Guru" (die taz) ja tatsächlich mit jenen Zeilen angefangen zu lyrisieren: "Auf Wiesen grün/ Viel Blumen blühn/ Die blauen den Kleinen/ Die gelben den Schweinen/ Der Liebsten die Roten/ Die Weißen den Toten". Das ist schon so trocken und mit Lakonik behaucht, zugleich in der Kürze vielstimmig, daß es für beide Gedichtbände als Motto herhalten durfte. Mußte. Und vielleicht war sein letzter Lyrik-Ton auch folgender: "Geh Ariel bring den Sturm/ zum Schweigen und/ wirf die Betäubten an den Strand/ Ich brauch sie/ lebend, damit ich sie töten kann/ Mir Vater/ warum". In dem Leben zwischen diesen Zeilen trieb Müller ein ganzes Ensemble von Moritaten, Lobliedern, Fragmenten wie Messern und saure Mahnschriften zusammen, und manchmal läßt sich auch eine Entwicklung feststellen.

Völlig losgelöst von dem Autor bleiben die Gedichte oft noch dunkler, als sie ver-anschlag-t wurden. Müller wollte Text nicht auf Mitteilung reduziert sehen, den Wortlaut nicht als bloße Information weitergeben. Er arbeitete mit Tiefenspannung: aggressive Töne durchmischen sich mit darunterliegendem dumpfen, oft bitterem (zumindest pseudo-bitterem) Schweigen. Oft türmt er Metaphern, die ins paukend Surreale sich strecken Die Haltung gegenüber poetischen Texten, die er selbst einnahm, mutete er auch Leser und Publikum an. Aufklärung sei in seinem Sinne nicht Bedienungsanleitung. Man braucht "Vergewaltigungsakte, um das Deutsche dahin zu bringen, daß es seine Lautqualitäten auch hergibt", sagte der Mensch Müller. Da war es nur konsequent, Stückwerk zur Methode zu erheben, wie der Mensch Biermann bedeutete (Die Müller-Maschine).

Müller ist Dialektiker, aber auch Kommunikator, der gelegentlich die Kommunikation zerschlägt, noch bevor er sie eigentlich angerührt hat. Er ist "in Widersprüchen zu Haus", wie Friedrich Dieckmann sagt. In seinen Texten findet sich also oft ein rabiates Patchwork, das in seiner Kryptizität zugleich ein offenes Feld für Phantasien ist. Oft, aber nicht nur: Müllers Gedichte bewegen sich, schlicht gesagt, zwischen metaphernfreien Texten und verdichteten, monumentalen Allegorien. Die Sprache klingt eigentlich immer bedeutend, was - unvermeidbar - Übertriebenheiten mit sich bringt, die dann wie Magengeschwüre den Passagen gegenüberstehen, wo der Müller vielleicht um die Verständlichkeit herum zuviel kastriert hat. Bestenfalls - denn mit seinen kleinen Sprachbesonderheiten, den Faibles für bestimmte Wortstellungen weihte er etwas, das ansonsten "ganz einfach reizlose Prosa" wäre, wie Elke Schmitter von der ZEIT jammert.

Vieles, kann man sagen, wird keine späteren Annalen beehren können. Müller, einer der Olympier zeitgenössischer deutschsprachiger Dramatik, betritt in lyrischen Gefilden manches Tal, das die Worte mitsamt ihrem immer wieder eingebleuten Zynismus lieber hätte verschlucken sollen. Da scheut selbst der Liebhaber, wenn 'das Große' auch stetig das große Wort haben muß. In Schleifen, in wechselnden Perspektiven kreist da Müller geiergleich um seine 'Erbfeindthemen' - stoisch, damit die Konsequenz sich wenigstens andeutet. Sylvère Lotringer, ein Freund, nannte es einst so: "Müllers Bilder, kompakt, zusammengepreßt, wie ein Knochen, der durchs Fleisch stößt. Wortbilder, die auf den bloßen Nerv zielen, auf den Sehnerv".

Aber es gibt sie ja auch, die Kleinformen, die brechtfreien Räume, die Müllerschen Statuierungsversuche, welche ohne falschen (Agit-)Honig und intellektualistische Moral auskommen. "ICH KAUE DIE KRANKENKOST DER TOD/ Schmeckt durch/ Nach der letzten Endoskopie in den Augen der Ärzte/ War mein Grab offen Beinahe rührte mich/ Die Trauer der Experten und beinahe/ War ich stolz auf meinen unbesiegten/ Tumor/ Einen Augenblick lang Fleisch/ Von meinem Fleisch". Hier ahnt man ihn, den Krebstod, wie er ihn nahen fühlte.

Seine Welt war ein Schlachthaus, in dem er das Wort diagnostizierend durch die Geschichte schwang und selbst Geschwüre schuf. Eine Sprache, die fordert. Die man aber auch selbst fordern muß.

Ron Winkler

Heiner Müller: Germania 3 - Gespenster am toten Mann. 128 Seiten. Kiepenheuer & Witsch 1996.(english






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