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Ich bin ein Neger, sagte Heiner Müller in einer Mischung aus
Überzeugung und gefühlsintonierendem Opportunismus nach dem Erhalt
des Büchnerpreises. Was heißen soll: Ich bin zum großen
Teil eine Toleranzübung, das Alibi einer aufgeklärt sein wollenden
Gesellschaft.
Der ‘Neger’ Müller kokettierte mit diesem Image des nie ganz zu
verstehenden Dramatikers und Welteinschätzers. Den Schriftsteller
ergänzte zunehmend der bereitwillig Interviewte. In beiden Rollen
bevorzugte Müller die Zuspitzung, übte er sich in etwas wie ‘dunkler
Prägnanz’. Müller war nicht ungern nostradamischer Stichwortgeber
für eine nach Kurzformeln süchtige Rezipientengemeinde. Sein
kompaktes Chiffrenangebot, schreibt Frauke Meyer-Gosau in Text
+ Kritik, kam dem Stereotypenbedarf und der professionellen Rätsellust
der feuilletonistischen Öffentlichkeit entgegen. Deren Ikonisierungsbestrebungen
wiederum, vor allem in den Neunzigerjahren, entwickelten im dramatikerarmen
Deutschland eine Art Dialektik. Die metaphorischen Zueignungen, die besonders
die Medien sich erdachten, entsprach fast Müllers Produktion an verdichtenden,
kryptischen Halbsätzen und Paraphrasen. Müller wurde zum supranationalen
Agent provocateur oder zur west-östlichen Diva; ein
pater patriae im Wirkungskreis nihilismusanfälliger Intellektuellenkreise.
Mit dem Tod des zum ‘Interviewapparat’ tendierenden Autors war wieder,
abzüglich des intensiven Nachstaunens, mehr Raum für den literarischen
Text und die Frage, welche Gattungen das Ende des Intendanten seiner selbst
am dauerhaftesten überstehen würden. Eine Werkausgabe versucht
seit 1998 eine sukzessive Bestandsaufnahme des Müllerschen Oeuvres.
Nach den Gedichten, die ähnlich wie bei Brecht eine Option auf Beständigkeit
haben dürften, liegt nun der zweite Band vor, der die Prosa Müllers
zusammenführt.
Die prosaischen Texte, vom Herausgeber geadelt als Teil eines Ganzen,
das es ohne die Dimension des Besonderen dieser Form, nämlich ‘ich’
sagen zu können, so nicht gäbe, sind weitgehend kleine, solitäre
Brocken, die nicht selten auf einen größeren Bedeutungszusammenhang
verweisen. Wie die Lyrik war auch die Prosa Müller ein zwar essentielles,
aber dennoch partikulares Anliegen. Die Texte scheinen und sind vorläufige
Notate für die dramatischen Komplexe (in denen das ‘eingestreute’
Ich wieder umfassend maskiert wurde). Korrespondenztexte oder weiterführende
Belege eines sich anhaltend in Bewegung befindenden ästhetischen Denkens
Müllers nennt sie der Herausgeber.
Das Ordnungsprinzip der Werkausgabe – Müller forderte brutale
Chronologie – lässt mindestens eine Entwicklung deutlich werden: Die
Fünfzigerjahretexte, oft aus dem Problemkreis der sozialistischen
Produktion, zeigen, dass Müller trotz der Distanz noch an den Sozialismus
glaubte. Er selbst nannte sich im Rückblick Kommunist trotz des
Systems (Heiner Müller: Krieg ohne Schlacht).
Immer war Müller Exzerpierer von Geschichte, sein Ich ein Zeitgenosse
deutscher Werdegänge. Mich interessiert der Gestus des Geschichtsschreibers
vielleicht am ehesten, bemerkt er selbst dazu. Seine Methode ist die
der Parabel genau wie die der Unmissverständlichkeit. Müller
berichtet aus ungerührter Perspektive gerade vom Vergehen. Er erzählt,
schrieb bereits früh Genia Schulz, Geschichten des Scheiterns.
Die Texte wirken wie Rohschnitte oder Versuchsanordnungen, die stets eine
Art posthumer Begutachtung sind. Heiner Müller beobachtet präzise,
um auf das zu Sezierende mit einer hohen Fähigkeit an pathosfreien
Zynismusformeln herabzustoßen. Trotz der gnadenlosen Wortkettenpsalme,
die er auch in die Prosa einfließen lässt, verweist die Sprache
in ihrer Neigung zur Komprimiertheit nicht auf sich selbst. Müller
produziert im Kampf gegen den Text, der entsteht, Prosastudien hoher Suggestivkraft.
Deren Sonorität hebt das Bittere noch hervor. Auch in der Prosa zeigt
sich die typische Explosion der Erinnerung, wie sie Müller
in der Todesanzeige benennt.
Ron Winkler
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Danke.
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