Heiner Müller

Die Prosa

Kurzprosa. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main. ISBN: 3-518-40894-1

Heiner  Müller: Die Prosa

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Ich bin ein Neger, sagte Heiner Müller in einer Mischung aus Überzeugung und gefühlsintonierendem Opportunismus nach dem Erhalt des Büchnerpreises. Was heißen soll: Ich bin zum großen Teil eine Toleranzübung, das Alibi einer aufgeklärt sein wollenden Gesellschaft.
Der ‘Neger’ Müller kokettierte mit diesem Image des nie ganz zu verstehenden Dramatikers und Welteinschätzers. Den Schriftsteller ergänzte zunehmend der bereitwillig Interviewte. In beiden Rollen bevorzugte Müller die Zuspitzung, übte er sich in etwas wie ‘dunkler Prägnanz’. Müller war nicht ungern nostradamischer Stichwortgeber für eine nach Kurzformeln süchtige Rezipientengemeinde. Sein kompaktes Chiffrenangebot, schreibt Frauke Meyer-Gosau in Text + Kritik, kam dem Stereotypenbedarf und der professionellen Rätsellust der feuilletonistischen Öffentlichkeit entgegen. Deren Ikonisierungsbestrebungen wiederum, vor allem in den Neunzigerjahren, entwickelten im dramatikerarmen Deutschland eine Art Dialektik. Die metaphorischen Zueignungen, die besonders die Medien sich erdachten, entsprach fast Müllers Produktion an verdichtenden, kryptischen Halbsätzen und Paraphrasen. Müller wurde zum supranationalen Agent provocateur oder zur west-östlichen Diva; ein pater patriae im Wirkungskreis nihilismusanfälliger Intellektuellenkreise.
Mit dem Tod des zum ‘Interviewapparat’ tendierenden Autors war wieder, abzüglich des intensiven Nachstaunens, mehr Raum für den literarischen Text und die Frage, welche Gattungen das Ende des Intendanten seiner selbst am dauerhaftesten überstehen würden. Eine Werkausgabe versucht seit 1998 eine sukzessive Bestandsaufnahme des Müllerschen Oeuvres. Nach den Gedichten, die ähnlich wie bei Brecht eine Option auf Beständigkeit haben dürften, liegt nun der zweite Band vor, der die Prosa Müllers zusammenführt.
Die prosaischen Texte, vom Herausgeber geadelt als Teil eines Ganzen, das es ohne die Dimension des Besonderen dieser Form, nämlich ‘ich’ sagen zu können, so nicht gäbe, sind weitgehend kleine, solitäre Brocken, die nicht selten auf einen größeren Bedeutungszusammenhang verweisen. Wie die Lyrik war auch die Prosa Müller ein zwar essentielles, aber dennoch partikulares Anliegen. Die Texte scheinen und sind vorläufige Notate für die dramatischen Komplexe (in denen das ‘eingestreute’ Ich wieder umfassend maskiert wurde). Korrespondenztexte oder weiterführende Belege eines sich anhaltend in Bewegung befindenden ästhetischen Denkens Müllers nennt sie der Herausgeber.
Das Ordnungsprinzip der Werkausgabe – Müller forderte brutale Chronologie – lässt mindestens eine Entwicklung deutlich werden: Die Fünfzigerjahretexte, oft aus dem Problemkreis der sozialistischen Produktion, zeigen, dass Müller trotz der Distanz noch an den Sozialismus glaubte. Er selbst nannte sich im Rückblick Kommunist trotz des Systems (Heiner Müller: Krieg ohne Schlacht).
Immer war Müller Exzerpierer von Geschichte, sein Ich ein Zeitgenosse deutscher Werdegänge. Mich interessiert der Gestus des Geschichtsschreibers vielleicht am ehesten, bemerkt er selbst dazu. Seine Methode ist die der Parabel genau wie die der Unmissverständlichkeit. Müller berichtet aus ungerührter Perspektive gerade vom Vergehen. Er erzählt, schrieb bereits früh Genia Schulz, Geschichten des Scheiterns. Die Texte wirken wie Rohschnitte oder Versuchsanordnungen, die stets eine Art posthumer Begutachtung sind. Heiner Müller beobachtet präzise, um auf das zu Sezierende mit einer hohen Fähigkeit an pathosfreien Zynismusformeln herabzustoßen. Trotz der gnadenlosen Wortkettenpsalme, die er auch in die Prosa einfließen lässt, verweist die Sprache in ihrer Neigung zur Komprimiertheit nicht auf sich selbst. Müller produziert im Kampf gegen den Text, der entsteht, Prosastudien hoher Suggestivkraft. Deren Sonorität hebt das Bittere noch hervor. Auch in der Prosa zeigt sich die typische Explosion der Erinnerung, wie sie Müller in der Todesanzeige benennt.

Ron Winkler






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