Yann Martel

Schiffbruch mit Tiger

Roman. S. Fischer Verlag, ISBN: 0-0000-0000-0

Yann Martel: Schiffbruch mit Tiger
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Das Zusammenleben mit Katzen - es hat etwas Faszinierendes, Anziehendes, Geheimnisvolles - und auch Beruhigendes. Für viele Menschen jedenfalls. Wenn die Katze allerdings ein ausgewachsener bengalischer Tiger ist und der gemeinsame Lebensraum ein kleines Rettungsboot mitten im schier unendlichen Pazifischen Ozean, wenn Mensch und Tier 227 Tage des Dahinvegetierens im Meer der Verlassenheit und der Qualen ertragen müssen, dann kann die Freude kaum ungetrübt sein. Gegenseitiger Respekt jedoch kann bleiben. Genau dies durchlebt der junge Inder Pi Patel zusammen mit einem Tiger namens Richard Parker.

Piscine Molitor Patel, genannt Pi, wächst als Sohn eines Zooinhabers in einer gebildeten und stark westlich geprägten Familie in Südindien auf. Die Familie - neben dem Vater und Pi gehören noch die couragierte Mutter und der clevere Bruder Ravi dazu - lebt im und für ihren Zoo. Von klein auf lernt Pi, vor allem durch den zoologisch überaus versierten Vater, das Leben, die Eigenarten und die Bedürfnisse der unterschiedlichen Tiere kennen und achten. Bis zu einem gewissen Grad versteht er ihre "Sprache". Außer den Tieren gilt das große Interesse des Jungen der Religion - oder richtiger: den Religionen. Er sucht Gott in Christentum, Hinduismus und Islam und wird in allen gleichermaßen fündig, was für Pi zu einer individuell zusammgefassten "Allreligion" führt. 

Mitte der 1970er Jahre beschließt der Vater, der im Indien der Indira Gandhi seine Hoffnung auf ein "Neues Indien" in unerreichbare Ferne gerückt sieht, mit der Familie nach Kanada auszuwandern. Gemeinsam mit einem großen Teil der Tiere tritt die Familie Patel die Überseereise auf dem japanischen Frachter Tsimtsum an. Doch der Frachter sinkt, und nur der sechszehnjährige Pi Patel, ein Zebra, eine Hyäne, ein Orang-Utan, eine Ratte und Richard Parker, der 450 Pfund schwere bengalische Tiger, können sich in ein Rettungsboot flüchten. Doch der Überlebenskampf unter den Schiffbrüchigen nimmt schnell seinen Lauf, bis schließlich nur Pi Patel und Richard Parker übrig bleiben.  Für 227 nicht enden wollende Tage teilen sie nun das lebensbedrohende Revier bis sie schließlich, dem Tode schon sehr nah, doch noch an das rettende Land gespült werden.  

Der Roman ist als Rahmenhandlung aufgebaut, spielt also auf mehreren Ebenen. Dennoch bleibt das gesamte Geschehen klar strukturiert und für den Leser jederzeit übersichtlich, auch wenn mal eine längere Lesepause eingelegt werden muss. Der Kern der Geschichte, das Leben des Pi Patel von seiner unbeschwerten Kindheit an bis zu seiner doch noch glückenden Rettung nach der grausamen Zeit als Schiffsbrüchiger, lässt sich in verschiedenen Dimensionen lesen und interpretieren. Zunächst einmal als fabelhafte, spannende Abenteuergeschichte, erzählt in einem phantasievollen, unkomplizierten Stil, der jedoch niemals in die Nähe der Banalität gerät. Bisweilen, so bei der Schilderung der fleischfressenden Insel, begibt sich Martel dabei bis ins Reich des Märchenähnlichen.

Meisterhaft gelingt es dem Autor, die 227 zermürbend eintönigen Tage des Ausgeliefertseins an die Gewalten des offenen Meeres, also knapp zwei Drittel des Buches, so "hautnah" zu schildern, dass die Spannung nur ganz selten etwas nachlässt. Die unablässige Zerreißprobe zwischen Todesangst, Verzweiflung und den ungezählten listigen Überlebensstrategien, das faszinierende Einbeziehen in Naturerscheinungen, die unter "normalen" Umständen wohl unbeachtet bleiben, lassen Leben von einer sehr differenzierten, ungewohnten Seite "erleben".  

"Ich weiß, die Menschen mögen keine Zoos. Und keine Religion. Beide sind einem Trugbild, einer falschen Idee von Freiheit zum Opfer gefallen." Eine der Feststellungen, die Pi Patels - und damit Martels? - Sicht unserer Welt komprimieren.

Martels Buch kreist im Inneren um die Aussagen von Zoologie und Theologie, es thematisiert das Verhältnis von Mensch und Tier sowie von Mensch und Gott. Es hat ein metaphysisches Anliegen. Und das ist die andere Ebene des Romans. Ob allerdings der Versuch von Gottesbeweis und die Ermunterung zu einer universellen Religionseinheit gelungen sind - es darf zumindest bezweifelt werden, auch wenn diese Bereiche ebenso sensibel wie teilweise auch ironisch distanziert angesprochen werden, so dass niemals Peinlichkeiten aufkommen. Die Rezeption dieser Absicht hängt nicht zuletzt von der jeweils subjektiven Zugänglichkeit des Lesers, der Leserin ab. 

Völlig unbestreitbar aber leistet der Roman etwas anderes: eine tiefe Einsicht in das Verhältnis von Mensch und Tier und dessen unglaublich acht- und einfühlsame und gleichermaßen lebenspralle Beschreibung. Die souverän sachkundige wie präzise, weil bis in scheinbar Nebensächliches anschauliche Schilderung der Natur im Allgemeinen und der sich entwickelnden Beziehung zwischen dem Jungen Pi Patel und dem Tiger Richard Parker im Besonderen gehört zu dem Feinfühligsten und Besten, was in der zeitgenössischen Literatur zum Verhältnis von Mensch und Tier zu finden ist. Allein die Namensgebung des Tigers, nämlich wie bei einem Menschen mit Vor- und Nachnahmen (wenn das auch im Buch als auf einem Versehen beruhend beschrieben wird), symbolisiert, dass Mensch und Tier und ihr jeweiliges Lebensrecht auf gleicher Augenhöhe beschrieben und - geachtet werden. Dabei schleicht sich in keinem Augenblick der phantasiereichen Geschichte irgendeine falsche Disney-Kuscheligkeit ein. Dem Tier wird seine eigene Würde zuerkannt, ohne die Unterschiede zum Menschen jemals zu leugnen. Schon allein darin liegt die Preis-Würdigkeit (Booker-Preis) dieses Buches begründet. 

Christa Tamara Kaul
eMail: ctkaul@t-online.de
Internet: www.christa-tamara-kaul.de






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