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Gibt es so etwas wie eine statistisch signifikante Relation zwischen
der Häufigkeit der Verwendung des Konjunktivs in Texten deutscher
Autoren und der Veröffentlichung dieser Texte bei Suhrkamp? Wenn ja,
dann ist sie durch Andreas Maiers Debut „Wäldchestag“ noch signifikanter
geworden. Ein ganzer Roman im Konjunktiv, von der ersten bis zur letzten
Seite! Typisch Klagenfurt-Prosa, denkt man zunächst angesichts der
in undurchsichtigen Abhängigkeiten verschachtelten Sätze (die
tatsächlich dort den diesjährigen Ernst-Willner-Preis auf sich
zogen), bis man dann, vom fast abschnittslosen Erzählstrom dieses
bemerkenswert stilsicheren jungen Autors mitgerissen, bald seine indirekte
Erzählweise für die selbstverständlichste der Welt hält
und mit Zufriedenheit registriert, daß sie nun auch noch mit dem
Aspekte-Literaturpreis belohnt wurde.
Dieser erstaunliche Roman erfaßt unsere Gegenwart in zeitloser
Prosa. Da ist nichts Modisches. Der Schauplatz heißt weder New York
noch Berlin, sondern Niederflorstadt (muß irgendwo bei Frankfurt
liegen). Südhessen und Wetterauer sind die Protagonisten. Die Handlung
schürzt sich zu keineswegs exotischen Höhepunkten im Gasthof
Linde, in Wiesenrs Schrebergarten und im Ossenheimer Wäldchen.
Soeben, am Pfingstsonntag, hat man den alten Adomeit begraben.
Der eigenwillige Naturkundler war ein Stachel im Fleisch der Niederflorstädter
gewesen, ein Außenseiter und unbeliebt, „nur weil der Mann nicht
den ganzen Quatsch mitgemacht habe, den heutzutage jeder mache.“ Er
hat, man stelle sich vor, nicht einmal in die Rentenkasse eingezahlt. Daß
sie ihn nicht mochten, hindert die Wetterauer aber nicht, sich unablässig
tratschend um sein Grab zu scharen, ihn nachher „totzutrinken“ und auch
ungefragt und in großer Zahl der Testamentseröffnung beizuwohnen.
Natürlich geht es dabei vor allem um die Frage, wer was kriegt. Adomeits
Familie ist zur Beerdigung eingetroffen, mit einem Lastwagen und dem Tante
Lenchen. „Und sie, das Tante Lenchen, habe das Tante Lenchen gesagt,
werde sowieso nur mitgenommen, um diesem Beutezug den Anstrich einer Trauerfahrt
zu geben.“ Die Familie muß allerdings, weil es der Tote in heimtückischer
Voraussicht so verfügt hat, bis zum Dienstag nach Pfingsten im Ort
und damit in der Gesellschaft der Niederflorstädter ausharren, um
den Inhalt des Testaments zu erfahren.
Der Dienstag ist der Wäldchestag, an dem „im Ossenheimer
Wäldchen Tausende Wetterauer damit beschäftigt sein werden, die
Würstchen auf den Grillrosten zu wenden und die Kohle darunter zu
belüften und das Steak mit Bier abzulöschen etcetera.“ Drei
Pfingstfeiertage lang eine von Alkoholdunst geschwängerte Gerüchteküche,
von einzelnen angeheizt, von vielen am Kochen gehalten, von allen genossen.
Immer grotesker wird die Dummheit, während das Gerede sich verdichtet
und wieder auflöst, mal rückt der eine ins Zentrum, mal der andere.
Die Beziehungen nicht nur der Familie Adomeit, auch die anderer Niederflorstädter
werden so bis zur Unkenntlichkeit zerredet, bis sich alles im „Stadium
der höheren Begriffsauflösung“ befindet. Schossau, ein junger
Lokalhistoriker, der in seinen Bericht gerne Bildungsbeweise einstreut
- „das könne man ohne weiteres bei jedem Epikureer nachlesen“
- erscheint zunächst als der Erzähler, in dessen Kopf dieses
ganze Geschwätz durcheinanderredet, so daß er mit sich selbst
uneins wird und irre an der Welt, „als sei allem die Substanz entzogen“.
Dann löst auch er, der Erzähler, sich auf in der Konjunktivsuada,
immer verschwommener wird, wer gerade über die Rede eines andern redet;
auch von andern Gedachtes, Unausgesprochenes fließt ein in den Storm.
Am Anfang sind es zwei, drei Personen, die durcheinanderreden, dann kommen
immer neue dazu, der Strom schwillt an, bald kann man das Geschrei gar
nicht mehr einzelnen zuordnen, es ist nicht mehr Schossau, der hier erzählt,
es spricht das Kollektiv. Der Konjunktiv verschmilzt alles zu einem einzgien
großen Geschwätz und bringt es mit indirekter Eleganz in Form.
Das Kollektiv entblößt sich als nicht nur dumm, sondern auch
egoistisch und grausam. Die Komik entsteht aus dem Kontrast zwischen der
gepflegten literarischen Sprache und der Gewöhnlichkeit des Beschriebenen.
Zugleich ist gerade die Normalität erschreckend - so als ob wir alle
Wetterauer wären.
Andreas Maiers „Wäldchestag“ ist, anders als vieles, was
derzeit geschrieben wird, kein unverbindliches ästhetisches Spiel.
Nicht umsonst wird so viel (wenn auch meist betrunken) philosophiert in
diesem Roman. Wenn sich Schossaus zerfließender Bericht am Ende als
ein Antrag bei der AOK herausstellt, „zur Vorlage an die Kommission
zur Bewilligung von Kuren auf Beitragsbasis der hiesigen Kassenstelle“,
in der Hoffnung, daß dabei „Existenzen neuer Sinn gegeben werden,
dann ist das nicht nur als Satire zu werten.
Eva Leipprand
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Danke.
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