Brigitte Kronauer

Teufelsbrück

Roman. Klett Cotta, Stuttgart. ISBN: 3-608-93070-1

Brigitte  Kronauer: Teufelsbrück

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Die Liebe lässt uns Hören und Sehen vergehen, sagt der Volksmund, aber so ganz stimmt das nicht. Vielleicht auch gar nicht. Beginnt das Sehen und das Hören nicht erst mit dem Sichverlieben? Kann, andersherum gefragt, Eros sein Belebungs- und Zerstörungswerk nicht überhaupt erst dann verrichten, wenn wir hingesehen, hingehört haben - und wahrgenommen haben, was der freche Knabe uns wahrnehmen heißt? Das allerdings ist nicht einfach der Mensch, wie er dasteht, sondern die Person, die wir uns zuvor erhofft, erträumt haben, ohne es zu wissen. Es ist das Vor-Bild, das wir zu erkennen glauben, und das haben wir uns er-lesen. Wo auch immer.
Die verwitwete Schmuckmacherin Maria Fraulob stolpert im Elbe-Einkaufszentrum ‚‚EEZ" dem windigen Anlageberater Leo Ribbat in die Arme. Zeugin der Szene ist die rätselhafte, dämonisch attraktive Schuhsammlerin Zara Johanna Zoern. Damit ist das Personal einer klassischen Dreiecksgeschichte benannt: Zara ist Leos Geliebte, Maria soll es werden. Aber so einfach, wie die Geschichte aussieht, ist sie natürlich nicht.
Schon in dieser ersten Szene, beim ersten Blick, den Maria auf Leo und auf Zara wirft, öffnet sich der begrenzte Horizont des Konsumgetrubels im EEZ, und zu sehen und zu hören ist nichts weniger als Nachbild und Nachhall der ganzen deutschen Romantik, mit Grimm'schem Märchen, ‚‚Goldenem Topf", Waldvögelein, Blut im Schuh und Glöckchenton, ‚‚Ziküth, ziküth". Und so geht es fortan hin und her, zwischen Marias kleiner Wohnung beim Flottbeker Park und Zaras großer weißer Villa im Alten Land, und immer über die Anlegestelle Teufelsbrück - ein sprechender Name, auch für das Niemandsland zwischen trivialer Wirklichkeit und poetischem Traumleben, in dem Maria sich eine Weile aufhalten wird oder vielleicht schon immer aufgehalten hat.
Maria ist es, die die Geschichte erzählt, als scheinbar alles vorbei ist. Es ist eine Geschichte von Verführung und Enttäuschung. Es ist auch die Geschichte der vielen anderen Figuren, die sich aus dem erotischen Erzähldreieck ausstülpen, um einander zu verführen und zu enttäuschen: der ‚‚somnambulen Buchhändlerin" Sophie Korf, die ebensolche ‚‚Teichaugen" hat wie Marias glückloser Daueranbeter Wolf Specht, einer pubertären Stiefelräuberin und vieler Damen und Herren der Gesellschaft.
Es ist eine Geschichte, die sich aus vielen Quellen von Galle und Honig speist, aus anderen Geschichten mit anderen Bildern und Tönen, die allesamt das Ihre beitragen zu lieblichem Trug und süßer Täuschung, die nicht nur für Maria tödlich werden. Es ist nicht zuletzt eine Geschichte, die, wie nach und nach deutlich wird, jemandem an neun Abenden erzählt wird, bis sich am Schluss herausstellt, was lang zu vermuten war: dass Adressat und Anstifter der verhängnisvollen Affäre identisch sind in einer einzigen teuflischen Person. Höchstwahrscheinlich.
Und alles, was Maria bis dahin gesehen zu haben glaubte, nicht nur die klein-, ja postbürgerliche EEZ-Welt, gegen deren Seinsvergessenheit Wolf Specht vergeblich anpredigt, sondern auch die Welt der Schönheit, des Holunderdufts, des Begehrens, die Welt von Leo, diesem Inbegriff des ‚‚mondänen lateinamerikanischen Kriminellen", die Welt des Ästhetisch-Erotischen: dies alles war nichts als der Schleier der Maja, die sinnlich scheinende Lüge, die das Dasein gnädigerweise vor den Abgrund des Nichts gezogen hat. Insofern ist Brigitte Kronauers jüngster Roman auch ein Beitrag zum Nietzsche-Jahr.
Marias Weg ins Verderben führt sie letztlich denn auch in die Klarheit und Kälte des Hochgebirges, wo der Dämon der Verführung sich als niemand Geringerer als Satan persönlich entpuppt. Ein Satan mit zu kräftigen Fesseln und einer Vorliebe für hochhackige Schuhe. Eine sarkastische Satanin. So tritt sie auf, die Verkörperung der romantischen Ironie, die ins Unendliche strebt, sich selbst und alles andere immerfort aufhebend auf immer neuen, niemals endgültigen Stufen der Einsicht - Verkörperung auch des Geistes der modernen Erzählung.
Brentano, E. T. A. Hoffmann, Nietzsche, Einkaufszentrum, Centerpark - Brigitte Kronauer malt die Spielformen der Verführung mit einer Lust am Inkommensurablen, einer Kombination von Bildungszitat und Milieukritik, die nicht nur von fern an Thomas Mann erinnert. Christliche Ikonografie, Popreminiszenz, Kulturgeschichte, Intertextualität, alles kommt ihr zupass. Der erzählerische Bogen wird mit ungeheurem Aufwand gespannt. Und was der Pfeil trifft, das ist erledigt: der physische Trost des Eros wie der metaphysische Trost der Kunst, die Verlässlichkeit des Überlieferten, die Überzeugungskraft des Schönen, die Gültigkeit der wahren Empfindung, alles erweist sich als kopierbar, überbietbar, simulierbar.
Irony is over, das Zeitalter der Ironie ist vorbei, und was sollte an ihre Stelle treten? Es hilft nichts, nicht die tiefen Blicke und nicht die schönen Töne: der Erosknabe hat einen Pferdefuß.
Der vernichtende Befund heißt aber nicht, dass dazu nichts mehr zu sagen wäre. Brigitte Kronauer beweist es, mit betörenden Beschreibungen des Eisgangs auf der Elbe und der Blüte im Alten Land, mit bezaubernden Miniaturen aus der Welt der Endverbraucher, mit gewinnenden Gardinenpredigten wider den Wahnsinn des organisierten Konsumvergnügens und bestrickenden Plädoyers für den süßen Wahn des Liebeswunsches. Das genießt auch, wer die Versatzstücke und Vorbilder nicht im einzelnen identifizieren mag; im Gegenteil, in der ungetrennten Vermischung entfalten sie ihre suggestive Wirlung umso stärker. Die 500 Seiten dieses Romans sind wahrer Trostlosigkeit abgetrotzt und machen uns diese doch vergessen. So muss Verführung aussehen.

Julia Schröder






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