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Die Liebe lässt uns Hören und Sehen vergehen, sagt der Volksmund,
aber so ganz stimmt das nicht. Vielleicht auch gar nicht. Beginnt das Sehen
und das Hören nicht erst mit dem Sichverlieben? Kann, andersherum
gefragt, Eros sein Belebungs- und Zerstörungswerk nicht überhaupt
erst dann verrichten, wenn wir hingesehen, hingehört haben - und wahrgenommen
haben, was der freche Knabe uns wahrnehmen heißt? Das allerdings
ist nicht einfach der Mensch, wie er dasteht, sondern die Person, die wir
uns zuvor erhofft, erträumt haben, ohne es zu wissen. Es ist das Vor-Bild,
das wir zu erkennen glauben, und das haben wir uns er-lesen. Wo auch immer.
Die verwitwete Schmuckmacherin Maria Fraulob stolpert im Elbe-Einkaufszentrum
‚‚EEZ" dem windigen Anlageberater Leo Ribbat in die Arme. Zeugin der Szene
ist die rätselhafte, dämonisch attraktive Schuhsammlerin Zara
Johanna Zoern. Damit ist das Personal einer klassischen Dreiecksgeschichte
benannt: Zara ist Leos Geliebte, Maria soll es werden. Aber so einfach,
wie die Geschichte aussieht, ist sie natürlich nicht.
Schon in dieser ersten Szene, beim ersten Blick, den Maria auf Leo
und auf Zara wirft, öffnet sich der begrenzte Horizont des Konsumgetrubels
im EEZ, und zu sehen und zu hören ist nichts weniger als Nachbild
und Nachhall der ganzen deutschen Romantik, mit Grimm'schem Märchen,
‚‚Goldenem Topf", Waldvögelein, Blut im Schuh und Glöckchenton,
‚‚Ziküth, ziküth". Und so geht es fortan hin und her,
zwischen Marias kleiner Wohnung beim Flottbeker Park und Zaras großer
weißer Villa im Alten Land, und immer über die Anlegestelle
Teufelsbrück - ein sprechender Name, auch für das Niemandsland
zwischen trivialer Wirklichkeit und poetischem Traumleben, in dem Maria
sich eine Weile aufhalten wird oder vielleicht schon immer aufgehalten
hat.
Maria ist es, die die Geschichte erzählt, als scheinbar alles
vorbei ist. Es ist eine Geschichte von Verführung und Enttäuschung.
Es ist auch die Geschichte der vielen anderen Figuren, die sich aus dem
erotischen Erzähldreieck ausstülpen, um einander zu verführen
und zu enttäuschen: der ‚‚somnambulen Buchhändlerin"
Sophie Korf, die ebensolche ‚‚Teichaugen" hat wie Marias glückloser
Daueranbeter Wolf Specht, einer pubertären Stiefelräuberin und
vieler Damen und Herren der Gesellschaft.
Es ist eine Geschichte, die sich aus vielen Quellen von Galle und Honig
speist, aus anderen Geschichten mit anderen Bildern und Tönen, die
allesamt das Ihre beitragen zu lieblichem Trug und süßer Täuschung,
die nicht nur für Maria tödlich werden. Es ist nicht zuletzt
eine Geschichte, die, wie nach und nach deutlich wird, jemandem an neun
Abenden erzählt wird, bis sich am Schluss herausstellt, was lang zu
vermuten war: dass Adressat und Anstifter der verhängnisvollen Affäre
identisch sind in einer einzigen teuflischen Person. Höchstwahrscheinlich.
Und alles, was Maria bis dahin gesehen zu haben glaubte, nicht nur
die klein-, ja postbürgerliche EEZ-Welt, gegen deren Seinsvergessenheit
Wolf Specht vergeblich anpredigt, sondern auch die Welt der Schönheit,
des Holunderdufts, des Begehrens, die Welt von Leo, diesem Inbegriff des
‚‚mondänen lateinamerikanischen Kriminellen", die Welt des
Ästhetisch-Erotischen: dies alles war nichts als der Schleier der
Maja, die sinnlich scheinende Lüge, die das Dasein gnädigerweise
vor den Abgrund des Nichts gezogen hat. Insofern ist Brigitte Kronauers
jüngster Roman auch ein Beitrag zum Nietzsche-Jahr.
Marias Weg ins Verderben führt sie letztlich denn auch in die
Klarheit und Kälte des Hochgebirges, wo der Dämon der Verführung
sich als niemand Geringerer als Satan persönlich entpuppt. Ein Satan
mit zu kräftigen Fesseln und einer Vorliebe für hochhackige Schuhe.
Eine sarkastische Satanin. So tritt sie auf, die Verkörperung der
romantischen Ironie, die ins Unendliche strebt, sich selbst und alles andere
immerfort aufhebend auf immer neuen, niemals endgültigen Stufen der
Einsicht - Verkörperung auch des Geistes der modernen Erzählung.
Brentano, E. T. A. Hoffmann, Nietzsche, Einkaufszentrum, Centerpark
- Brigitte Kronauer malt die Spielformen der Verführung mit einer
Lust am Inkommensurablen, einer Kombination von Bildungszitat und Milieukritik,
die nicht nur von fern an Thomas Mann erinnert. Christliche Ikonografie,
Popreminiszenz, Kulturgeschichte, Intertextualität, alles kommt ihr
zupass. Der erzählerische Bogen wird mit ungeheurem Aufwand gespannt.
Und was der Pfeil trifft, das ist erledigt: der physische Trost des Eros
wie der metaphysische Trost der Kunst, die Verlässlichkeit des Überlieferten,
die Überzeugungskraft des Schönen, die Gültigkeit der wahren
Empfindung, alles erweist sich als kopierbar, überbietbar, simulierbar.
Irony is over, das Zeitalter der Ironie ist vorbei, und was sollte
an ihre Stelle treten? Es hilft nichts, nicht die tiefen Blicke und nicht
die schönen Töne: der Erosknabe hat einen Pferdefuß.
Der vernichtende Befund heißt aber nicht, dass dazu nichts mehr
zu sagen wäre. Brigitte Kronauer beweist es, mit betörenden Beschreibungen
des Eisgangs auf der Elbe und der Blüte im Alten Land, mit bezaubernden
Miniaturen aus der Welt der Endverbraucher, mit gewinnenden Gardinenpredigten
wider den Wahnsinn des organisierten Konsumvergnügens und bestrickenden
Plädoyers für den süßen Wahn des Liebeswunsches. Das
genießt auch, wer die Versatzstücke und Vorbilder nicht im einzelnen
identifizieren mag; im Gegenteil, in der ungetrennten Vermischung entfalten
sie ihre suggestive Wirlung umso stärker. Die 500 Seiten dieses Romans
sind wahrer Trostlosigkeit abgetrotzt und machen uns diese doch vergessen.
So muss Verführung aussehen.
Julia Schröder
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