Eric Koch
Kassandrus
SF. Heyne, München. 271 Seiten. ISBN: 3-453-03131-8
Männliche Kassandra anno 1929
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Männliche Kassandra 1929
Eric Koch wurde 1919 in Deutschland geboren, wanderte aber 1935 nach Kanada aus, um Nazi-Deutschland zu entkommen. In Kanada arbeitete er 30 Jahre lang für die Canadia Broadcasting Corporation. Er veröffentlichte zwei satirische Romane, die bei Heyne 1987 unter dem Titel "C.R.U.P.P." (Abkürzung für "Center of Research on Urban Policy and Planning" - die Ähnlichkeit zu KRUPP ist Absicht) erschienen. Deren Protagonist ist Friedrich Bierbaum, der nach der Entnazifizierung in die USA kam, aber sein nationalsozialistisches Erbe nicht immer vergessen machen kann. "Kassandrus" (1988) erschien bei Heyne als Originalausgabe. Das Titelbild ziert ein aufwendiges Gemälde von Mathias Waske-Reppert.
Handlung
Bei Friedrich Bierbaum, der in jungen Jahren in Görings Ministerium (Göring war Chef der Luftwaffe) und später der Gründer und Leiter der erfolgreichen Denkfabrik CRUPP (s.o.), erscheint der in den Medien der USA wohlbekannte Fernsehstar Peter Clyne, der immer wieder durch seine unglaublich treffsicheren Prognosen verblüfft. Clyne bittet Bierbaum, das Schicksal seines Großvaters aufzuklären, der ein Freund des US-Präsidenten Hoover war, 1929 in Berlin weilte und dort auf rätselhafte Weise ums leben kam. Peter Clyne senior hatte dieselbe Gabe wie sein Enkel: Er sah die Machtübernahme Hitelers und die Naziherrschaft klar voraus, aber er wurde von allen Politikern und Journalisten, denen er begegnete, nur ausgelacht. Niemand schenkte im Glauben.
Nun sagt der Enkel für den Beginn der 90er jahre eine katastrophale Weltwirtschaftskrise voraus. An wütenden Reaktionen aus Politik und Finanzwelt fehlt es nicht. Und prompt kommen die ersten Morddrohungen.
Wird Peter Clyne das Schicksal seines Großvaters erleiden, der das Gesetz der "self-fulfilling prophecies", der Prophezeiungen, die sich (durch "Herbeireden") erfüllen, nicht ernst genug nahm und deshalb sterben mußte?
Bierbaum liest das 210 Seiten lange Tagebuch von Clyne senior aus dem Jahr 1929 und macht seine Fußnoten dazu. Dazwischengeschlatet erscheinen Meldungen über Geschehnisse aus dem Jahr 1990, als sich die politische Situation Ende der 20er jahre zu wiederholen scheint: Die heraufziehende Weltwirtschaftskrise bringt den Aufstieg von skrupellosen Demagogen mit sich. Auf Clyne junior wird ein Anschlag verübt. Dennoch entschließen sich er und Bierbaum dazu, das Tagebuch als Warnung der Toten an die Lebenden zu veröffentlichen.
Fazit
Hätte Hitler verhindert werden können - und damit die Vernichtung von 6 Millionen Juden und unzähliger Opfer des 2. Weltkriegs? Das Attentat im Münchener Bürgerbraukeller 1929 mißglückte, und auch das von Graf Stauffenberg. Kamen sie zu spät? Wer ist für Hitlers Aufstieg an die Macht verantwortlich? Unternehmer wie die Krupp-Dynastie, wie die IG Farben. Insofern, so Koch, ist nun späte Wiedergutmachung angebracht. Und in der Tat: Die Schuld Deutschlands, die Schäden an den Opfern der Nazis wiedergutzumachen, ist noch lange nicht abgetragen.
Das Tagebuch Clynes senior ist eine lebendige Darstellung des Vor-Hitler-Deutschlands. Da Bierbaum in Sherlock-Holmes-Manier aber auch einen Mord aufklären könnte, liest sich das Tagebuch wie ein Polit-Krimi - kurzweilig und spannend. Insofern ist es Jerry Yulsmans genialem Alternativweltroman "Elleander Morning" (Heyne, 1986) durchaus ebenbürtig.
Michael Matzer © 1999ff
Info: Kassandrus, 1988; Nr. 06/4542; 271 Seiten, aus dem kanadischen Englischen übertragen von Walter Brumm
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