Horst Karasek

Rasend das Herz. Chronik eines zu Ende gehenden Lebens

Bestseller. Luchterhand Literaturverlag, München. ISBN: 3-630-86995-5

Horst  Karasek: Rasend das Herz. Chronik eines zu Ende gehenden Lebens

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Probier das Mofa in allen Geschwindigkeiten aus. Dreh auf bis 70. Wie ich dahinflieg! Drossel die Geschwindigkeit. Bremse. Biege nach einem Halteschild in eine zweispurige Allee ein. Werde von Autos überholt. Dreh ab in einen Seitenweg.

Im heißen August fährt Horst Karasek durch Burgund. Er hat nichts am Leib als Shorts und den Nierenschutz und läßt sich, während er den Fahrtwind atmet, die Sonne auf die nackten Schultern brennen. Der Radius der Freiheit ist allerdings knapp bemessen. Der Tank faßt 2 1/2, 3 Liter Melange, genug, um viereinhalb, fünf Stunden unterwegs zu sein, und das ist gerade die Zeit zwischen zwei Bauchfelldialysen. Mit einer Bauch- und einer Tankfüllung schaff ich rund siebzig Kilometer im Umkreis.

1985 veröffentlichte Horst Karasek den ersten Teil seines Krankenberichts: Blutwäsche. Chronik eines eingeschränkten Lebens. Eine zu spät erkannte Nierenschrumpfung führte zum völligen körperlichen Zusammenbruch. Der anarchische Gassenjunge (Karasek über Karasek), dem Rauchen und dem Trinken und den Frauen zugetan, hatte sich immer für unsterblich gehalten. Nun verlor er seine Freiheit an die Dialysemaschine. Immer wieder bäumte er sich auf gegen die Krankheit, ignorierte Arzttermine, schlug Diätvorschriften in den Wind und träumte in seinem Zorn davon, wie er beim Sterben die ganze Welt in einem Urknall mit sich reißen könnte. Die Chronik eines zu Ende gehenden Lebens, postum erschienen (Horst Karasek starb 1995), zeigt ihn ruhiger, wohl auch schwächer, aber immer noch voll Lust dem Leben zugewandt. Der Tod spielt keine große Rolle, das Leiden wird drastisch dargestellt, aber nicht mit tieferem Sinn aufgeladen. Ein sehr vitales Sterbebuch.

Der Chronik gewinnt ihre Struktur aus dem Krankenblatt, das sich in einer Fußnote abgedruckt findet, in allen schauderhaften Einzelheiten: chronisch intermittierende Hämodialyse, Nierenallotransplantation, Transplantatverlust wegen chronischer Abstoßung, Bypass, Vorfußamputation. Nach diesem Eingriff, vor jener Operation gliedert die Zeit in Karaseks Erinnerung, wo die Burgunder Sommer vieler Jahre ineinanderfließen. Entre deux eaux, zwischen den Wassern ist das Haus der Schwester gebaut, das leuchtet im Buch wie ein Paradies, mit wildem Wasser und Tieren und skurrilen Menschen. Von hier aus unternimmt Karasek seine Mofa-Touren im Dialyse-Radius, nach Chablis, nach Vézelay, nach Noyons, und bevölkert diese Orte in seiner Phantasie mit den Einwohnern früherer Zeiten, am liebsten mit einfachem Volk, Revolutionären, Bilderstürmern. Es sind die gleichen Leute, denen er sein Schriftstellerleben gewidmet hat. Konsequent bis zum Schluß gilt die Sympathie des zierlichen, zarten Stadt-Tataren (Peter Härtling über Horst Karasek) den unter die Räder Gekommenen.

Damit Brüder Anarchisten sein können, müssen Schwestern Kapitalisten sein, schreibt Hellmuth Karasek dem Bruder Horst ins Vorwort. Die Schwester beherbergt den Bruder in ihrem schönen Haus, richtet ihm ein Dialysezimmer ein, fährt ihn in die Klinik, kocht ihm Diät; sie zahlt seine Krankenversicherung, kauft ihm das Mobilette. Gelegentlich verliert sie die Geduld, wenn er ihre Fürsorge abwehrt oder unterläuft. Er macht es ihr und anderen nicht leicht. Gern würde sie ihm ein Auto kaufen, aber er will keinen Führerschein, Führer klingt nach Nazi, und auch kein Auto, im Kasten erstick ich. Ein kleiner rührender Rest der Rebellion. Lieber fährt er halbnackt auf dem Moped und stürzt und reißt sich Arme und Beine auf am heißen Asphalt.

Verglichen mit der Blutwäsche ist in Karaseks letztem Buch der Formwille schwächer geworden, es wirkt wie eine Sammlung spontaner Notizen, ein autobiographisches Dokument, dessen erstaunlichster Zug die völlige Abwesenheit von Larmoyanz ist. Trotz der furchtbaren Atemnot der durchwachten Nächte ist da immer wieder die Bereitschaft zur Hoffnung, zur Vorfreude: auf die Ankunft der Freundin, auf das Sonntagspicknick mit Oliven und Wein auf dem Marktplatz von Chablis. Der Tod, wenn er ihm in den Sinn kommt, ist das Gegenteil von Hitze, Bewegung, Schmerz; das Gefrieren jeder Empfindung. Und das Herz würde zu einem Kristall, einem rot-funkelnden Rubin.

Eva Leipprand

(Rezension erschienen in: Süddeutsche Zeitung)






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