Jens Johler

Der Falsche

Bestseller. Luchterhand Literaturverlag, München. ISBN: 3-630-86837-1

Jens  Johler: Der Falsche

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Was ist los mit den 68ern? Während die 89er mit Macht gegen sie anrennen und die Politiker sie immer noch gern als Sünden-böcke für die finstersten Dinge, Wertever-fall und Gewalt, aus den Schubladen holen, finden die Veteranen von damals, wenn sie sich an den Schreibtisch setzen, in ihrer Erinnerung nur noch Stoff für Komödien. Peter Schneider zum Beispiel, und jetzt Jens Johler.

In seinem Roman Der Falsche gibt es nur eine Jahreszahl: 1968. Was erzählt wird, rankt sich um dieses Erkennungsmal herum, in einem Zeitraum von mehr als sechs Jahren. Der Ich-Erzähler Benjamin erfährt den der Zeit entsprechenden Lebensknick: zusammen mit der schönen Antonia bricht er seine Theaterkarriere ab und zieht in die Frontstadt Berlin, um die Revolution nicht zu versäumen. Nun wird der linke Schriftenkanon gebüffelt, in WGs disku-tiert, kollektiv Gruppenarbeit geleistet, immanente Kritik geübt, eine Zeitschrift ediert, mit Pflastersteinen demonstriert, sexuelle Befreiung praktiziert. Beziehungs-kisten flottieren frei zwischen den in Funktionsräume aufgeteilten Altbauwoh-nungen. Viel von dem, was Johlers Erin-nerungsroman aus jenen Jahren auferstehen läßt, klingt wie naives Kinderspiel; wie Verkleidung wirkt das Soziologen- und Psychologenchinesisch. Strohtrocken bröseln die Phrasen, durch Schrägdruck hervortre-tend: das politische Bewußtsein, der Kontakt mit der Basis, die Herrschenden, das System und die Strukturen, die Genos-sinnen und Genossen, der bewaffnete Auf-stand der Massen.Schon wirft die Psycho-welle die ersten Selbsterfahrungsblasen, die heute noch unser Leben verdünnen, indem wir ein Stück weit alles aufarbeiten und damit umgehen und die Aggressionen raus-lassen. Im Fortgang der Bewegung melden sich dann noch Frauen und Ökologie zu Wort und beherrschen in Form von lila Latzhosen die Szene.

Die Kluft zwischen hochtrabender Theorie und jämmerlicher Wirklichkeit sorgt für beträchtliche Komik in Johlers Buch. Benja-min ist einer, der die Theorie ernst nimmt und gerne ein Neuer Mensch sein möchte, auch und gerade in seiner Beziehung zum Klasseweib Antonia. Der Neue Mensch, so verlangt die Theorie, darf weder symbio-tisch leben noch Besitzansprüche erheben, Eifersucht ist nicht erlaubt, mit Wohlwol-len hat er danebenzustehen, wenn der Part-nerin mit einem Dritten die Ideallinie des freien, des kommunistischen Orgasmus gelingt. Aus der Distanz von mehr als zwanzig Jahren klingt das alles rührend komisch, doch kann der leichte Erzählton nicht darüber hinwegtäuschen, daß es damals enorme Verletzungen gegeben hat - denn während Benjamin sich redlich müht, seine Gefühle der sexuellen Revolution anzu-passen, befriedigen andere hinter den Kulissen ihrer Phrasen den Alten Menschen ungeniert, herrschen, besitzen, beuten aus, wie es ihnen paßt. Der Neue Mensch steht da als der Gelackmeierte. Gefühlsdumm - das Wort kehrt immer wieder. Daß Benjamin nicht um Antonia kämpft, trägt ihm Verachtung ein, wer kann den Neuen Menschen schon von einem Schlappschwanz unterscheiden.

Wir kennen Benjamin schon von Johlers erstem Buch, Ein Essen bei Viktoria. Er ist ganz offensichtlich autobiographisch eingefärbt und alles andere als ein Held. Er hatte nicht getan, was er schon immer wollte, sondern erkennen müssen, daß er schon immer nichts gewollt hatte. Der Mangel an Entschiedenheit, das Mitlaufen und gottergebene Hinnehmen scheint Benja-mins Markenzeichen zu sein, auch hier in diesem neuen Buch, ihm fehlt, das weiß er selbst, der Biß, der Killerinstinkt. Er plaudert gern beim Erzählen und sieht das kuriose Treiben von damals lieber von der komischen Seite, als öfter mal entschieden und tiefergehend zuzubeißen. Eines zeigt er jedoch unmißverständlich: daß beim Versuch, die eigene Natur theoretisch zu vergewal-tigen, das Menschliche immer wieder durch-bricht wie Löwenzahn durch den Asphalt. Nicht Benjamin ist der Falsche für Antonia, auch nicht unbedingt Antonia die Falsche für Benjamin, sondern die radikale Theorie ist das Falsche für die Leute, die damit zu leben versuchen. Liebe läßt sich nicht demokratisieren, genauso wenig wie die Kunst. Hinter den spritzigen Dialogen, den hübschen Paradoxen, der schön gefeilten Alltagssprache findet, nicht ohne sym-pathische Selbstironie, so etwas wie eine Abrechnung statt, die sicherlich nicht jedem behagt, der noch von 68 zehrt. Sie ist freilich auch nicht alles, was man zu jenen Jahren sagen kann. Für die Jüngeren werden die Verirrungen der Väter (und Mütter) höchst amüsant zu lesen sein.

Eva Leipprand

(Rezension erschienen in: Süddeutsche Zeitung)






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