Raj-Kamal Jha
Das blaue Tuch
Roman. Goldmann, ISBN: 3-442-30847-X
Eine Nacht in Kalkutta
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Abseits aller Hektik der Millionenmetropole Kalkutta sitzt ein Mann im mittleren Alter mit einem neugeborenen Baby allein in einer nächtlichen Wohnung. Die Mutter des Kindes ist die Schwester des Mannes; sie ist bei der Geburt gestorben. Am nächsten Tag werden Adoptiveltern kommen und das Mädchen mitnehmen. In die Stille der Nacht hinein erzählt der Mann Geschichten aus seinem Leben. Von seinem oft betrunken Vater, seinen Schlägen und sexuellen Misshandlungen und vom blauen Tuch, unter das sich Bruder und Schwester zurückzogen und eine eigene, schönere Welt voller Liebe inszenierten und auf dem nun das Kind liegt. Er erinnert sich an alltägliche Bilder von Waschbecken und Mülltonnen, an Petting im Kino, an Frauengespräche über gewalttätige Ehemänner, an das seltene Ereignis eines Schneefalls oder an einen alten Mann, der sich um einen Taubenkäfig kümmert.
Die schleppende, ruhige Erzählhaltung entspricht der dunklen Stille des Plots. Keinerlei Hektik kommt auf, die einzelnen Elemente der Geschichte werden Stück für Stück zusammengefügt, manches bleibt dabei jedoch vage und undurchsichtig. So ist von der Mutter nur selten die Rede und vor allem die inzestuösen Anspielungen werden nicht weiter verfolgt. Das verwirrt zwar etwas, andererseits erhöhen aber die Auslassungen auch den Reiz der Geschichte. Es ist dem kurzen Roman, der eher eine Novelle ist, anzumerken, dass er aus fertig ausgearbeiteten Erzählungen zusammengesetzt wurde. Gelegentlich leidet die Rahmenhandlung und der Fortgang der Handlung darunter.
Die Entstehungsgeschichte des Romans ist auch unter den besonderen Bedingungen der aktuellen indischen Literatur zu sehen. Seit den großen Erfolgen der Romane von Salman Rushdie und von Arundhati Roys "Der Gott der kleinen Dinge" sind die großen Verlage ständig auf der Suche nach neuen Namen. Raj Kamal Jha, jung und mit dem Outfit eines Rockstars, entsprach wohl den Erwartungen der Literatur-Scouts so sehr, dass "Das blaue Tuch" nicht nur dem Autor einen Vorschuss von mehreren hunderttausend Mark einbrachte, sondern mit großem Werbeaufwand auf den Markt gepuscht wird. Es wäre sinnvoll gewesen, einiges von dem Geld für einen fähigen und mutigen Lektor auszugeben. Aber trotz dieser Einwände bleibt festzuhalten, dass der Autor über großes erzählerisches Talent verfügt, das neugierig macht auf Kommendes.
Dietmar Adam
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