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Was ist es nur, das Dichter und Schriftsteller bewegt, sich immer wieder an den alten mythologischen Stoffen zu reiben? Und was gewinnt der Leser dabei? Diesen Fragen geht Walter Jens in vier Diskursen nach. Die Untertitel stecken den Figuren jeweils ihr Bedeutungsfeld ab. Odysseus: Das Doppelgesicht des Intellektuellen; Antigone und Elektra: Aufstand gegen das verteufelt Humane; Don Juan: Dämon und Schwerenöter; Hamlet: Das Genie der Poeten.
Eins ist klar: Wer alte Stoffe aufgreift, schreibt für ein Publikum (Leser oder Zuschauer), das deren Plot und Charaktere kennt. Der Reiz liegt also nicht im Was, sondern im Wie der Darstellung, in der Differenz zwischen Urbild und Nachbild, im inszenierten Dissens zwischen Gestern und Heute. Um dies zu zeigen, läßt Jens Poeten aus allen Jahrhunderten aufmarschieren. Dabei hat er die schwierige Aufgabe, zunächst die Mythenfigur selbst zu umreißen, daneben und dagegen aber eine Fülle von Bearbeitungen zu setzen, auf knappstem Raum. Sehr beeindruckend, wie er da schürzt und bündelt und auf den Punkt bringt in einer Dichte, die sich nicht so einfach konsumieren läßt. Gelegentlich allerdings verästelt sich die Kunst der Rhetorik in Höhen, wo die Luft dünn wird, und rankt sich so filigran, daß man ganz vorsichtig umblättert, damit nichts zerbricht.
Wer den Mythos aufgreift, setzt sein Werk in einen Rahmen (und sei es, um diesen zu sprengen) - eine Einengung, gewiß, aber auch ein großer Gewinn. Odysseus etwa oder Antigone und ihr Schicksal: das sind Modelle, Urszenen menschlichen Erlebens, psychologische Archetypen, ein Raster, das sich, und das ist das Erstaunliche, zum Zweck der Klärung auch auf Gegenwärtiges legen läßt. So können die Figuren, schreibt Jens, zu Nothelfern werden, zu Weggefährten im noch Undeutbaren: weil allzu Nahen. Wissenschaftlich ist das schwer zu fassen; der Mythos ist im Wesen ursprünglichste Poesie und daher am besten in den Händen der Dichter aufgehoben.
Mythos und Psychologie verwoben, vereint. Ein hochinteressantes Buch, das anregt zum Nachdenken, zum Blättern: bei Eugen Drewermann zum Beispiel, in seinem großen Werk Tiefenpsychologie und Exegese. Traum und Mythos, heißt es da, das Individuelle und das Allgemeine, Kollektive, haben die gleiche symbolische Struktur, sind urverwandt. In Traum wie im Mythos werden Urerlebnisse, Urkonstellationen (der Kindheit bzw. der frühen Menschheitsgeschichte) in zeitlosen Bildern mit der Gegenwart verschmolzen. Damit wird Jens bestätigt und auch die von ihm Zitierten. Wie ein einzelner aus der Beschäftigung mit seinen Träumen Klärung, vielleicht sogar Weisung gewinnt, so kann der Allgemeinheit ein gelegentlicher Blick auf ihre Mythen nur von Nutzen sein.
Mythos und Psychologie. Eine überaus fruchtbare Kombination. Darüber nachzulesen lohnt sich auch bei Thomas Mann. Der Drang, im individuellen und zeitgenössischen Chaos nach allgemeinen, unvergänglichen Mustern zu suchen, wächst wohl mit fortschreitendem Alter. Thomas Mann jedenfalls hat in reiferen Jahren sehr entschieden den Mythos zum Angelpunkt seines Schreibens (und Lebens) gemacht. Mythus ist Lebensgründung; er ist das zeitlose Schema, die fromme Formel, in die das Leben eingeht, indem es aus dem Unbewußten seine Züge reproduziert. ... Was damit gewonnen wird, ist der Blick für die höhere Wahrheit, die sich im Wirklichen darstellt, das lächelnde Wissen vom Ewigen, Immerseienden, Gültigen, vom Schema, in dem und nach dem das vermeintlich ganz Indivdiuelle lebt, nicht ahnend in dem naiven Dünkel seiner Erst- und Einmaligkeit, wie sehr sein Leben Formel und Wiederholung, ein Wandeln in tief ausgetretenen Spuren ist. Im Wissen vom Ewigen, indem er das Allgemeine im Besonderen erkennt, gewinnt der Erzähler, Kühnheit in der Gebundenheit praktizierend, für sich selbst (nicht ohne Eitelkeit) klassische Würde. Den Blick für die höhere Wahrheit, die zugleich die tiefere ist, hat Thomas Mann geschult und geschärft an der Psychologie. Er hat Freud wie Jung gelesen und schon ein halbes Jahrhundert vor Drewermann an dem Brückenschlag zwischen Mythos und Psychologie gearbeitet. In der Wortverbindung Tiefenpsychologie hat Tiefe auch zeitlichen Sinn: die Urgründe der Menschenseele sind zugleich auch Urzeit, jene Brunnentiefe der Zeiten, wo der Mythus zu Hause ist.
Eva Leipprand
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