Elfriede Jelinek

Gier. Ein Unterhaltungsroman

Roman. Rowohlt, Reinbek bei Hamburg. ISBN: 3-498-03334-4

Elfriede  Jelinek: Gier. Ein Unterhaltungsroman

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Natürlich kann man es so machen wie Elfriede Jelinek in ihrer jüngsten Prosaarbeit: kalauern, kommentieren, Wörter kitzeln und Sätze kegeln, dass es kracht beziehungsweise dumpf rumpelt wie von abziehendem Gewitter, und die fernen Blitze ein krudes Geschehen erhellen lassen, das man dann als eine Art Handlung ausgeben könnte. Den im Untertitel versprochenen ‚‚Unterhaltungsroman" ergibt das freilich nicht, aber das war wohl eh nur ein Scherz. Allerdings ist auf diese Weise über ‚‚Gier" - in der Tat das Thema unserer Tage - am Ende auch nicht sehr viel mitgeteilt. Mehr dafür über ein Erzählen, das am Endpunkt angelangt ist: ‚‚Es war ein Unfall", heißt der letzte Satz, haha. Die Kollegin Ingeborg Bachmann kann sich ja nicht mehr wehren.
Die Geschichte wäre schnell erzählt. Der virile Landgendarm Kurt Janisch ist von Gier erfasst, nach einsamen Frauen, noch mehr aber nach ihren Immobilien. Er will Haus um Haus besitzen, indes, die Mittel fehlen. Deshalb fängt er mit der allein lebenden Klavierspielerin Gerti etwas an und macht sie sich gehörig hörig, um an ihr Haus zu kommen. Dabei schärfen ihn eher die nackten Körper der jüngeren Gendarmenkollegen unter der Dusche. Gleichzeitig trifft er sich mit der minderjährigen Bürokraft Gabi, die ihm ebenfalls in jeder Form zu Willen ist, beendet aber ihre Träume von der Modelkarriere aus ungeklärtem Motiv durch tödlichen Fingerdruck auf die richtige Stelle am Hals. Er versenkt die Leiche im stillen Wasser eines umgekippten Tümpels, und als sie wieder auftaucht, ist er fein raus, denn Gerti, die sich ihren Teil denkt, zieht es vor, sich umzubringen, statt den Geliebten zu verraten.
Darf man den Danksagungen glauben, die dem Buch vorangestellt sind - und man darf es vermutlich nicht -, hat Jelinek sich zu diesem Buch inspirieren lassen von Untersuchungen über Sexualmörder und Stasi-‚‚Romeos". In der Tat halten sich längere Strecken der 460 Seiten mit Mord und Totschlag und mehr oder weniger entfremdeter Geschlechtlichkeit auf. Nicht nur an den Männern, auch an den Frauen, die nur zu gern auf sie hereinfallen, wird kein gutes Haar gelassen. Auch Medienöffentlichkeit und Naturzerstörung werden ordentlich gegeißelt. Vor allem aber geht es um Österreich, neuerdings das Land der Anständigen, Tüchtigen und Fleißigen: lauter Uniform- und Jogginganzugträger, in denen, was wenig überrascht, Abgründe des Unanständigen gähnen, Leute, die nur darauf warten, beim Verkehr und bei anderen Formen des Umgangs die Stilhöhe von Simpson-Comics zu unterschreiten.
Praktisch kommt alles vor, was dem aufmerksamen ‚‚Kronen-Zeitung"-Leser in letzter Zeit aufgefallen sein dürfte: Vergewaltigung, Alkoholmissbrauch und betrügerische Spekulation, Verkehrsinfarkt und Kindermord, das Grubenunglück von Lassing, Gewalt gegen alte Menschen, Schlammlawinen und Überschwemmungen, nicht selten in Anspielungen auf frühere Romane und garniert mit allerlei geschredderten Dichterworten und Werbebotschaften.
Jelinek-Leser werden vieles wieder erkennen. Die Prosa dieser Autorin ist noch nie vor Peinlichkeit zurückgeschreckt. Mit guten Gründen: wer die Phallokratie wirksam treffen will, darf keine Berührungsängste haben. Stärker als je zuvor allerdings schaltet sich in diesem neuen Buch aber die Erzählinstanz selbst ein und macht deutlich, was von all der Anstrengung zu halten ist, nämlich nichts. Es ist ja alles von vornherein umsonst. Warnen, mahnen, aufrütteln lässt sich niemand mehr. Auch die Frauen zum Beispiel wollen es nicht kapieren: ‚‚Blöde Kühe, die Frauen. Alle."
Mitgefühl ist ebenso fehl am Platze wie eine sauber durchgeführte Erzählhaltung: ‚‚Ich glaube, dieser Satz, obwohl ich ihn persönlich geschrieben habe, stimmt nicht. Ich zum Beispiel habe nichts zu sagen angesichts der Figuren, die ich erschaffe, her mit den Redewendungen und drauf, und noch eine und noch eine, bis sie sich unter mir winden vor Schmerz oder vielleicht auch, weil sie zu wenig Platz haben."
Gerne lässt die Erzählerin ihre Figuren fallen, bekennt ein, sie langweilten sie immer so schnell oder sie wisse nichts mit ihnen anzufangen. Auch weist sie mit masochistischem Vergnügen auf die Abständigkeit ihrer eigenen Witze und Einfälle hin: ‚‚Einer meiner müdesten Scherze, ich weiß." Jaja, der Sprachverlust: Hofmannsthals Lord Chandos, dem die Wörter im Mund zerfallen wie modrige Pilze - sollte eine Autorin wie Jelinek, hundert Jahre danach, darauf optieren? Es ist nicht zu übersehen, wie sehr die Form dieses ‚‚Unterhaltungsromans" dem Inhalt entspricht, was allerdings nichts Gutes bedeutet. Die Sprache, das Erzählen sind löchrig und verdorben wie die verarbeitete Wirklichkeit. Die Frauenfrage ist beantwortet, nicht ohne Zutun der Frauen selbst: ‚‚Was habe ich alles darüber geschrieben, und es ist vollkommen unnötig gewesen." Der Blick des Pornografen ist der allenthalben herrschende, die allgemeine Gier ist die logische Folge, Begehren ist immerfort bereit, in Gewalt umzuschlagen, ja, das eine ist ohne die andere gar nicht mehr denkbar - müsste da nicht jedes Gegenbild zur Lüge geraten? Konsequent verzichtet Elfriede Jelinek denn auch darauf, irgendeine Art von Positivität in diese unentrinnbaren ländlichen Bezirke voll Spießigkeit und Sperma einzuführen, und sei es als Maßstab, als Kriterium. Der Schmutz ist allgegenwärtig wie der Schmerz, den er verursacht. Wie der Zorn. Dieser trostlose Furor ehrt die Autorin, aber sie zahlt dafür einen hohen Preis. Es ist nichts weniger als das Erzählen selbst, das sie her-, um nicht zu sagen aufgibt. Kaum gelingt es ihr, wenigstens in den zuweilen großartigen Schilderungen den Kopf aus diesem Tümpel voller Gift und Müll hinauszuheben.
Aufs Ganze ergibt sich der Eindruck des nie mehr zu überwindenden Überdrusses dessen, der alle Schlachten geschlagen und die meisten verloren hat. Es ist auch der Überdruss einer Autorin, der die Erfahrung des Alterns ebenso wenig erspart bleibt wie ihrer Figur; nicht von ungefähr nimmt die vom Verfall eingetrübte Selbstwahrnehmung der nicht mehr jungen Gerti breiten Raum ein, kaum zufällig haben diese Passagen etwas von Selbstverletzung.
Man kann das so machen, vor allem wenn man sich als Schriftstellerin für dieses Österreich und für die Welt von heute zuständig fühlt, man kann vielleicht gar nicht anders. Auch wenn man seinen Lesern damit keinen Gefallen tut.

Julia Schröder






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