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Natürlich kann man es so machen wie Elfriede Jelinek in ihrer jüngsten
Prosaarbeit: kalauern, kommentieren, Wörter kitzeln und Sätze
kegeln, dass es kracht beziehungsweise dumpf rumpelt wie von abziehendem
Gewitter, und die fernen Blitze ein krudes Geschehen erhellen lassen, das
man dann als eine Art Handlung ausgeben könnte. Den im Untertitel
versprochenen ‚‚Unterhaltungsroman" ergibt das freilich nicht, aber das
war wohl eh nur ein Scherz. Allerdings ist auf diese Weise über ‚‚Gier"
- in der Tat das Thema unserer Tage - am Ende auch nicht sehr viel mitgeteilt.
Mehr dafür über ein Erzählen, das am Endpunkt angelangt
ist: ‚‚Es war ein Unfall", heißt der letzte Satz, haha. Die
Kollegin Ingeborg Bachmann kann sich ja nicht mehr wehren.
Die Geschichte wäre schnell erzählt. Der virile Landgendarm
Kurt Janisch ist von Gier erfasst, nach einsamen Frauen, noch mehr aber
nach ihren Immobilien. Er will Haus um Haus besitzen, indes, die Mittel
fehlen. Deshalb fängt er mit der allein lebenden Klavierspielerin
Gerti etwas an und macht sie sich gehörig hörig, um an ihr Haus
zu kommen. Dabei schärfen ihn eher die nackten Körper der jüngeren
Gendarmenkollegen unter der Dusche. Gleichzeitig trifft er sich mit der
minderjährigen Bürokraft Gabi, die ihm ebenfalls in jeder Form
zu Willen ist, beendet aber ihre Träume von der Modelkarriere aus
ungeklärtem Motiv durch tödlichen Fingerdruck auf die richtige
Stelle am Hals. Er versenkt die Leiche im stillen Wasser eines umgekippten
Tümpels, und als sie wieder auftaucht, ist er fein raus, denn Gerti,
die sich ihren Teil denkt, zieht es vor, sich umzubringen, statt den Geliebten
zu verraten.
Darf man den Danksagungen glauben, die dem Buch vorangestellt sind
- und man darf es vermutlich nicht -, hat Jelinek sich zu diesem Buch inspirieren
lassen von Untersuchungen über Sexualmörder und Stasi-‚‚Romeos".
In der Tat halten sich längere Strecken der 460 Seiten mit Mord und
Totschlag und mehr oder weniger entfremdeter Geschlechtlichkeit auf. Nicht
nur an den Männern, auch an den Frauen, die nur zu gern auf sie hereinfallen,
wird kein gutes Haar gelassen. Auch Medienöffentlichkeit und Naturzerstörung
werden ordentlich gegeißelt. Vor allem aber geht es um Österreich,
neuerdings das Land der Anständigen, Tüchtigen und Fleißigen:
lauter Uniform- und Jogginganzugträger, in denen, was wenig überrascht,
Abgründe des Unanständigen gähnen, Leute, die nur darauf
warten, beim Verkehr und bei anderen Formen des Umgangs die Stilhöhe
von Simpson-Comics zu unterschreiten.
Praktisch kommt alles vor, was dem aufmerksamen ‚‚Kronen-Zeitung"-Leser
in letzter Zeit aufgefallen sein dürfte: Vergewaltigung, Alkoholmissbrauch
und betrügerische Spekulation, Verkehrsinfarkt und Kindermord, das
Grubenunglück von Lassing, Gewalt gegen alte Menschen, Schlammlawinen
und Überschwemmungen, nicht selten in Anspielungen auf frühere
Romane und garniert mit allerlei geschredderten Dichterworten und Werbebotschaften.
Jelinek-Leser werden vieles wieder erkennen. Die Prosa dieser Autorin
ist noch nie vor Peinlichkeit zurückgeschreckt. Mit guten Gründen:
wer die Phallokratie wirksam treffen will, darf keine Berührungsängste
haben. Stärker als je zuvor allerdings schaltet sich in diesem neuen
Buch aber die Erzählinstanz selbst ein und macht deutlich, was von
all der Anstrengung zu halten ist, nämlich nichts. Es ist ja alles
von vornherein umsonst. Warnen, mahnen, aufrütteln lässt sich
niemand mehr. Auch die Frauen zum Beispiel wollen es nicht kapieren: ‚‚Blöde
Kühe, die Frauen. Alle."
Mitgefühl ist ebenso fehl am Platze wie eine sauber durchgeführte
Erzählhaltung: ‚‚Ich glaube, dieser Satz, obwohl ich ihn persönlich
geschrieben habe, stimmt nicht. Ich zum Beispiel habe nichts zu sagen angesichts
der Figuren, die ich erschaffe, her mit den Redewendungen und drauf, und
noch eine und noch eine, bis sie sich unter mir winden vor Schmerz oder
vielleicht auch, weil sie zu wenig Platz haben."
Gerne lässt die Erzählerin ihre Figuren fallen, bekennt ein,
sie langweilten sie immer so schnell oder sie wisse nichts mit ihnen anzufangen.
Auch weist sie mit masochistischem Vergnügen auf die Abständigkeit
ihrer eigenen Witze und Einfälle hin: ‚‚Einer meiner müdesten
Scherze, ich weiß." Jaja, der Sprachverlust: Hofmannsthals Lord
Chandos, dem die Wörter im Mund zerfallen wie modrige Pilze - sollte
eine Autorin wie Jelinek, hundert Jahre danach, darauf optieren? Es ist
nicht zu übersehen, wie sehr die Form dieses ‚‚Unterhaltungsromans"
dem Inhalt entspricht, was allerdings nichts Gutes bedeutet. Die Sprache,
das Erzählen sind löchrig und verdorben wie die verarbeitete
Wirklichkeit. Die Frauenfrage ist beantwortet, nicht ohne Zutun der Frauen
selbst: ‚‚Was habe ich alles darüber geschrieben, und es ist vollkommen
unnötig gewesen." Der Blick des Pornografen ist der allenthalben
herrschende, die allgemeine Gier ist die logische Folge, Begehren ist immerfort
bereit, in Gewalt umzuschlagen, ja, das eine ist ohne die andere gar nicht
mehr denkbar - müsste da nicht jedes Gegenbild zur Lüge geraten?
Konsequent verzichtet Elfriede Jelinek denn auch darauf, irgendeine Art
von Positivität in diese unentrinnbaren ländlichen Bezirke voll
Spießigkeit und Sperma einzuführen, und sei es als Maßstab,
als Kriterium. Der Schmutz ist allgegenwärtig wie der Schmerz, den
er verursacht. Wie der Zorn. Dieser trostlose Furor ehrt die Autorin, aber
sie zahlt dafür einen hohen Preis. Es ist nichts weniger als das Erzählen
selbst, das sie her-, um nicht zu sagen aufgibt. Kaum gelingt es ihr, wenigstens
in den zuweilen großartigen Schilderungen den Kopf aus diesem Tümpel
voller Gift und Müll hinauszuheben.
Aufs Ganze ergibt sich der Eindruck des nie mehr zu überwindenden
Überdrusses dessen, der alle Schlachten geschlagen und die meisten
verloren hat. Es ist auch der Überdruss einer Autorin, der die Erfahrung
des Alterns ebenso wenig erspart bleibt wie ihrer Figur; nicht von ungefähr
nimmt die vom Verfall eingetrübte Selbstwahrnehmung der nicht mehr
jungen Gerti breiten Raum ein, kaum zufällig haben diese Passagen
etwas von Selbstverletzung.
Man kann das so machen, vor allem wenn man sich als Schriftstellerin
für dieses Österreich und für die Welt von heute zuständig
fühlt, man kann vielleicht gar nicht anders. Auch wenn man seinen
Lesern damit keinen Gefallen tut.
Julia Schröder
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Danke.
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