Dass der 1942 in Basel geborene, in Zürich und Romainmôtier
lebende Autor Felix Philipp Ingold als Übersetzer, Slawist und Literaturtheoretiker
eine Kapazität ohnegleichen darstellt, ist allseits bekannt, dass
er aber auch eine lebendige, anspielungsreiche Poesie zu schreiben vermag,
wissen nur wenige. Ein Grund mehr, seinen soeben bei Droschl erschienenen
Band <> zur Hand zu nehmen und einzutauchen
in einen Kosmos von „auf den Tag genau„ datierten Gedichten, deren Daten
den Zeitraum eines Jahrs abschreiten. Dies das strenge Exerzitium, dem
sich Ingold ausgesetzt hat: Während 366 Tagen, vom 25. Juli bis zum
25. Juli, zumindest einen Dreizeiler zu verfassen. An manchen Tagen entstanden
auch zwei, drei Gedichte, selten nur keins (dann zeigen Punkte das ungeschriebene
Gedicht an), einmal aber, am 16. Mai, sogar ein Strauss von fünf Dreizeilern,
ein Maien der besonderen Art. Dem Autor dieser Dreizeiler wird alles Mögliche
zum Schreibanlass: eine Begegnung, eine Wahrnehmung, ein Vorfall, die Festzeiten
im Kalenderjahr, eine Lektüre, ein Zitat, eine Erinnerung etc. etc.,
immer wieder aber auch die Sprache selbst: „Der Name zählt für
den / der weiss. Statt ich! ins Schwarze / rufen. Dich zu treffen„, heisst
es in dem Dreizeiler „Alba„, der dem Andenken und der Poetologie Paul Celans
gewidmet ist. Ingolds Blick ist offen, sein Zugriff auf die Welt der Erscheinungen
frank und frei, ja mitunter von einer solchen unterminierten Lockerheit,
dass jene, die monierten, dieser Autor schreibe eine rein zerebrale Lyrik
und seine Schwäche liege im Sinnlichen, durch diese Sammlung präziser,
Funken stiebender Notate definitiv widerlegt sind. Die Sammlung beginnt
mit der Zerstreuung einer Metapher bzw. der Rettung einer Blume in ihre
Unvergleichlichkeit: „Gleichsam blauer / Zahn im Magergras. Ein / Enzian.
Einzig er.„ Das „Wunder„ der Einzigkeit, das „Paradies„ im „dies„, die
Mystik des Augenblicks (und ihre Brechung) thematisieren viele Notate.
Dem entspricht die Form der datierten Niederschrift, auch wenn das Buch
keine Jahresangaben zu den Daten liefert. Denn Felix Philipp Ingolds „Auf
den Tag genaue Gedichte„ stellen einen ewigen Kalender dar, der jederzeit
aufgeschlagen werden kann. Hoffentlich dient dieser Gedichtband, zweifellos
einer der besten unter den neueren, vielen Leserinnen und Lesern von Poesie
als Vademecum im Jahr, durchs Jahr und immer, immer wieder!
Florian Vetsch
Bücher neu und gebraucht bei amazon.de
Bücher gebraucht oder neu bei booklooker.de
Ihr Kauf bei unseren Shop-Partnern sichert das Bestehen dieses Angebotes.