Judith Hermann
Sommerhaus, später.
Kurzprosa. Collection S. Fischer, Frankfurt a. M.. 20.00 DM . ISBN: 3-596-22394-6
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Koberling lebt mit seiner Familie abgeschieden im Oderbruch. Eines Tages bekommt er Besuch von Anna, der Tochter eines ehemaligen Freundes und deren "Kiffer-Freund". Anna bleibt ein paar Tage, sie will wissen, warum Koberling nicht mehr mit ihrem Vater befreundet ist. Koberling fühlt sich unbehaglich und bedrängt, aber so plötzlich wie Anna erschienen ist, verschwindet sie wieder. Mit einer solch dürftigen Handlung im Hinterkopf würden die wenigsten Schriftsteller überhaupt anfangen zu schreiben, doch die 28jährige Judith Hermann aus Berlin wagt es. Wie in "Diesseits der Oder" schafft es die Autorin in jeder der neun Erzählungen eine ganz besondere und eindringliche Atmosphäre zu erzeugen, sei es ein schwüler Altweibersommertag an der Oder, ein kalter Winter in Berlin oder aber eine Hurrikan-Stimmung in der Karibik. Zu jeder Geschichte mit ihrer ganz spezifischen Stimmung kommt eine eigene Sprache, welche das zentrale Thema der Autorin, nämlich Liebe und Vergänglichkeit, in allen Variationen erzählt. Auch wenn die erste Erzählung "Rote Korallen" recht sachlich anfängt ("Mein erster und einziger Besuch bei einem Therapeuten kostete mich das rote Korallenarmband und meinen Geliebten"), die Geschichte des Korallenarmbandes fährt märchenhaft fort, und zwar in der fernen Vergangenheit der Urgroßmutter aus Petersburg und endet märchenhaft mit einem Geliebten, der sich immer mehr in einen Fisch verwandelt. Ganz anders die Erzählung "Bali-Frau", die nüchtern und hart über eine dekadente Drogen-Nacht in der Theater- und Künstlerszene berichtet - die Bali-Frau ist die vielfach betrogene Ehefrau eines bedeutenden Regisseurs, die spät nachts mit einigen Gästen in ihrer Küche landet und dutzende von Blondinen-Witzen erzählt, so als würde sie Gebrauchsanweisungen vorlesen.
Judith Hermann weiß, wie man Atmosphäre erzeugt, und sie weiß, auch das Banalste spannend zu schildern, beispielsweise das Nichtstun am Strand. Andere junge Autoren sind krampfhaft bemüht zu provozieren. Deren Figuren treiben sich herum, sind cool und hören Hip-Hop. Judith Hermann hingegen erzählt ganz einfach, so als habe es noch nie eine Diskussion darüber gegeben, wie man das macht. Und bei den neun Erzählungen, die der Band versammelt, hat man den Eindruck, Judith Hermann kann alles erzählen.
Matthias Kehle
Judith Hermann: Sommerhaus später. Erzählungen. Collection S. Fischer, 188 Seiten, 20 DM. ISBN 3-596-22394-6
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