Peter Handke

In einer dunklen Nacht ging ich aus meinem stillen Haus

Roman. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main. ISBN: 3-518-40880-1

Peter  Handke: In einer dunklen Nacht ging ich aus meinem stillen Haus

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"In einer dunklen Nacht ging ich aus meinem stillen Haus" - Peter Handkes neues Buch hat einen barocken Titel, und wenn es anhebt, gerät der Leser gleich ins Scheinidyll, wie bei Keller oder Raabe vielleicht, in den "Niemandszwickel", den Ort vor der Stadt, den man allein wegen des Namens Taxham bei Salzburg nicht recht ernst zu nehmen das Recht zu haben glaubt: "Taxham? Birmingham? Nottingham?" Und eine Figur wie von Raabe oder Keller ist der Held: der Apotheker von Taxham, der die Bewohner dieser Nachkriegsgründung mit Trost und Rat und Heilmitteln versorgt, ohne daß sie es ihm dankten, der, aus einem der ehemaligen Kronländer ins Salzburgische verschlagen, immer der Fremde, Flüchtige bleibt, auch Frau und Kindern, ein Skurriliker scheint's, der sich vor allem für Pilze begeistert.
Doch die Geschichte geht dann ganz anders weiter, als nach diesen Anfängen im Kleinen zu vermuten; sie weitet sich ins Große, in gesamteuropäischen Raum und abendländische Zeit. Im Wald, des Apothekers Lieblingsaufenthalt, ereilt ihn ein Mordsschlag vor die Stirn, der ihn verstummen läßt, das Zeichen zum Aufbruch ins Abenteuer. Der "Yvain" des Chrètien de Troyes grüßt durch die Zeilen, die Aventiuren des Ritters mit dem Löwen. Im Unterschied aber zu dem Lindwurmbezwinger und Jungfrauenretter, dem die Zeit davonläuft, läuft der Apotheker von Taxham seiner Zeit davon. Und dieses Abenteuer, wie Handke es erzählt, ist eigentlich keins.
Wie in dem mittelalterlichen Epos, bei dessen Lektüre der Apotheker der unabenteuerlichen Wirklichkeit zu entrinnen pflegte, geschieht der Übertritt in die Welt der ritterlichen Prüfungen bei einem Gasthof, dem "Erdkellerlokal" neben dem Flughafen. Der pilzesammelnde Pillendreher wird zum "Fahrer" befördert, zum Führer eigentlich für zwei Vergessene, einen Olympiasieger und einen Dichter von ehedem. Zu dritt brechen sie auf, zur Südseite der Alpen, wo der Ritter an der Wasserscheide zwischen Mittelländischem und Schwarzem Meer seine Dame trifft, oder besser sie ihn, und zwar mit vielen kräftigen Hieben. Denn: "zwischen Mann und Frau ist neuerdings Feindschaft gesetzt", kein Paar, bei dem nicht jederzeit die Entzweitheit ausbrechen könne, "besser dann doch, sofort aufeinander loszuschlagen, bei der ersten Begegnung, oder?"
Der stumme Ritter ist ein Verfluchter, der Fahrer ein Flüchtling, den es ins spanische Santa Fe verschlägt, die "Nachtwindestadt". Dort taucht sein verstoßener Sohn auf und im Festtagstrubel sogar eine verfolgte kleine Königin, die Tochter des Dichters, dem Sohn bestimmt. Doch noch ist nicht Zeit zur Versöhnung. Die Dame ist eine trauernde Witwe und hat sich verbarrikadiert am Rand des Ödlands. Der Ritter muß weiterziehen, wird zum Wanderer in der Steppe, die er in endlosem Gehen, beerensammelnd wie Yvain im Wahnsinn, durchmißt, bis er sich in Zaragoza mit seiner Dame vereint und die Rückreise nach Taxham antritt. Für sie, die ihre Trauer überwunden hat, überwindet er seine Stummheit. Der Sohn grüßt als Verlobter und Versöhnter. Kein Happy-End: als der Apotheker zu Hause ankommt, trennt sie sich von ihm; "weißt du denn nicht, daß es zu spät ist". Und, wie wir später erfahren, "das einzige, was sich an mir scheint's geändert hat: ich habe größere Füße bekommen". Und er singt den Gesang des Namenlosen, von "namenloser Geduld", "namenloser Trauer" und "namenlosem Zorn". Und "größere Tiere" (wie zum Beispiel Löwen) hat er in der Steppe nicht angetroffen.
"Seltsames Abenteuer. Ein heutiges?" so fragt sich der Erzähler im Verlauf dieser Geschichte, die nur da ist, wie es heißt, weil sie so erzählt werden sollte und wollte; immer wieder hält der Erzähler Zwiesprache mit seinem Helden, der sich wünschen darf, wie die Fortsetzung aussehen soll. Wie Handkes letzter Roman, "Mein Jahr in der Niemandsbucht", ein "Märchen aus den neuen Zeiten" war, so ist dieser neue Roman eine Mythe aus anderen Zeiten. Aus welchen allerdings, bleibt "in der Schwebe", wie so vieles andere; so hat es sich der Apotheker von Taxham gewünscht. Sie spielt in der nächsten Zukunft, wo das Sich-selbst-der-Star-Sein den jungen Leuten überall "Weltheimat" bietet - und blickt dergestalt zurück, daß unsere späten Neunziger mit ihren Bürgerkriegen und ihren "panzerfaustbreitbereiften Quersteppeneinradfahrern" ausschaun wie sehr lange vergangen. Und sie ist seltsam in ihrem Erzähltwerden - seltsam beliebig.
Handke läßt die Abenteuergeschichte fast immer in der Schwebe, in einem Ungefähren, wo die Grenzen von Zeit und Raum, Handlung und Haltung verschwimmen. "Und in der Tat war ja die Zeit, da die Geschichte spielt, nicht die Zeitungszeit." Es ist aber nicht egal, wo und wann einer "zu dem Urlage", dem Waffengang ausreitet, ob der Kampf einer aus Mut oder aus Übermut ist, wem der Angriff gilt. Es sei denn, man verstünde das Erzählen in seinem Ursprung als Selbstgespräch: ",Aber wer sonst noch soll die Geschichte zu lesen bekommen?' fragte ich. ,Denn was ist das für ein Erzählen heute, nicht am Markt, nicht am Königshof, nicht für ein Bürgertum - nicht einmal an jemand einzelnen andern gerichtet, einzig für den, dem die Geschichte zugestoßen ist, selber?' Er antwortete: ,Vielleicht ist gerade so eines das ursprüngliche Erzählen? So hat es überhaupt erst einmal angefangen?"' Aber soll es denn so auch enden?
Es ist Peter Handke kaum zu verdenken, daß ihm die Lust auf offene Parteinahme vergangen ist. Seine Sache war seit je die Beschreibung "bis ins kleinste - vor allem bis in das, und da schien der Dichter in seinem Element'', heißt es so selbstironisch wie wahr -, doch nun soll es doch das große Abenteuer sein in einer großen Welt. Der Blick aufs große Ganze aber muß der Blick des Adlers sein, wie ihn der Apotheker angeblich hat, der Blick, der das entscheidende einzelne erfaßt. Ihn ebenfalls "in der Schwebe" zu belassen, heißt, seine Aventiure versäumen.

Julia Schröder






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