Gabriele Farke
Sehrnsucht Internet
Computer. Smart Books, ISBN: 3-908489-12-1
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smart books, CH
Sehnsucht, die am falschen Ort sucht
Gaby ist Sachbearbeiterin und in mittleren Jahren. Geschieden und alleinerziehend - ihre Tochter ist erwachsen und verläßt soeben die gemeinsame Wohnung - weist sie kaum Außergewöhnliches auf, außer ihrem geradezu exhibitionistischen Drang, sich zu offenbaren. Vielleicht ist es aber auch das Internet, das sie derart enthemmt. Jedenfalls beweist sie sich und der Welt, daß sie - obschon "overforty" und "blond" - fit für Eroberungsfeldzüge im Cyberspace ist. Die Werbeoffensive des weltgrößten Online-Dienstes AOL bringt sie kostenlos in den Besitz der nötigen Zugangssoftware, der Dispositions-Kredit bei der Bank ermöglicht den Computer und schon ist sie "online". Online heißt für Gaby - auch wenn dem Leser die aus Werbung und Medien bekannten Möglichkeiten des Internets noch einmal aufgelistet werden - Chatten und Mailen. Und das hat mit "Peter" zu tun, dem Mann, dem sie bereits bei ihren ersten virtuellen Gehversuchen in Chat-Räumen begegnet ist.
Im voraussehbaren, weiteren Verlauf der Geschichte, die uns fast ausschließlich als Chat-Gespräch und E-Mail-Verkehr dokumentiert wird, finden wir alle unsere voyeuristischen Neigungen befriedigt, wenn nicht gar von Überreizung zugeschüttet. Das schlichte Kürzel "wonnafuckyou", vor dessen primitiver Direktheit sich Gaby und Peter ausdrücklich verwahren, gibt in immer neuen Umschreibungen den Sachverhalt zwischen beiden hinlänglich wieder. Dabei bleibt uns weder seine Erektionsfähigkeit, noch ihre "Nässe", weder Form noch Erregbarkeit ihrer "schweren Brüste" (vorn wie Mandelkerne!), noch die Farbe ihres Schamhaars verborgen. Während Peter und Gabi die eigentlich nur von der vielhändigen Shiva praktizierbare Technik, gleichzeitig Tastatur und Maus zu bedienen, und die Hand in den Schoß zu legen, vorführen, kommt das weite Feld virtueller Kommunikation übers Internet sehr kurz.
Und natürlich kommt es, wie es kommen mußte. Bereits nach kürzester Zeit hegt Gaby nur noch den einen Wunsch, Peter offline zu bekommen. Daß der sich windet, bis er ihr am Ende seine hochmoralischen Skrupel offenbart, macht aus der zunächst flott als Porno begonnenen Story eine sich dahinschleppende Tragödie (ich meine: unfreiwillige Tragikkomödie). Und das ist nun mal weder Fisch, noch Fleisch. Denn in keinster Weise werden die fast unbegrenzten Möglichkeiten virtueller Identitäten ausgeschöpft. "Peter" entpuppt sich weder als eine phanatasiebegabte ältere Dame, noch als ein gackernder Club pubertierender Jugendlicher. "PierreBN@aol.com (Peter)" ist eben niemand anders als Peter, was das Medium Internet, um das es hier angeblich gehen soll, kolossal unterschätzt, ja austauschbar macht gegen die Erfahrungen nach der Aufgabe einer Kontaktanzeige.
Neben dem "emotionalen" tut sich in Gabys Geschichte aber noch ein "sozialer Konflikt" auf. Binnen kürzester Zeit nämlich kann sie ihre Telephon- und AOL-Gebühren nicht mehr bezahlen. Die Bank sperrt ihr Konto. Die Mietzahlungen kommen ins Stocken. Und vor unserem inneren Auge sehen wir Gaby bereits auf einer Parkbank mit handfesten Printmedien zugedeckt und möchten ihr zurufen: "Such Dir einen günstigeren Provider!". Gaby aber wird "Forum-Scout" bei AOL, was als ehrenamtliche Aufgabe ihre finanziellen Probleme kaum verbessern dürfte. Wenigstens erhalten wir aber eine Erklärung dafür, warum in einem Buch, in dem man sich laut Klappentext "auf unterhaltsame Weise des Internets und der Online-Dienste bedienen lernt", warum in einem solchen Buch lediglich die Einführung in die kommerziellen Einrichtungen des Online-Dienstes AOL vorgeführt werden. Diese Informationen allerdings stehen auch schon in der kostenlosen AOL-Broschüre "Alles über AOL".
Andreas Kirchgäßner
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