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Buy Ulrike Edschmid: ‚‚Wir wollen nicht mehr darüber reden.'' Erna Pinner und Kasimir Edschmid - at Amazon.com (USA)
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Sie waren jung und begabt, sie sahen gut aus, sie fielen auf: die Künstlerin
Erna Pinner und der Schriftsteller Kasimir Edschmid. Beide waren 1890 geboren,
sie in Frankfurt, er in Darmstadt, beide hatten in Frankreich studiert.
1916, als sie Mitte zwanzig waren, lernten sie sich kennen, arbeiteten
zusammen, wurden ein Paar. Ein Jahr zuvor war Kasimir Edschmids Novellenband
‚‚Die sechs Mündungen" erschienen, im Verlag Kurt Wolff - ein Gründungsdokument
des literarischen Expressionismus. Edschmid und Erna Pinner bereisten gemeinsam
Afrika, Südamerika und immer wieder Italien; sie illustrierte seine
Bücher, entwarf die Kostüme zu seiner Bühnenarbeit. Zwanzig
Jahre lang.
1935 war Schluß: Erna Pinner, wegen ihrer jüdischen Herkunft
von den Nazis verfolgt, emigrierte nach England, Kasimir Edschmid, wiewohl
er Publikationsverbot hatte und seine Bücher verbrannt worden waren,
blieb in Deutschland, wo er 1927 den Büchnerpreis bekommen hatte.
Ein paar Mal konnten sie sich noch auf einer Adria-Insel treffen, dann
brach der Krieg aus. Sie verloren einander fürs erste aus den Augen.
Frühjahr 1946: Ein knappes Jahr nach Kriegsende wird endlich wieder
Auslandspost befördert. Kasimir Edschmid und Erna Pinner erfahren
voneinander, daß sie überlebt haben: sie in London, er in Ruhpolding.
Ihre Beziehung lebt in Briefen wieder auf. ‚‚Liebste Erna", schreibt Kasimir
Edschmid am 1. April 1946, ‚‚heute gehen die Grenzen für Briefe
auf, und ich schreibe Dir, nachdem ich zum letzten Mal am Rande des Krieges
aus Italien schrieb. Ich wurde durch einen Irrtum, ich weiß nicht,
wieso, als Opfer eines Bombenangriffs auf Darmstadt totgesagt, die Schweizer
Zeitungen brachten Nachrufe, das österreichische Radio übernahm
es, und so weiter..." Erna Pinner erwidert am 20. Juli: ‚‚Lieber
K., ich(...) habe mit der Tatsache, daß ich lebe, zu beginnen, da
dies wohl das erstaunlichste Ereignis ist."
Da schütteln sich welche erkennbar den Staub des Zusammenbruchs
aus den Kleidern, und es herrscht ein ganz anderer Ton als in den letzten
Briefen, die aus der Zeit der Trennung zehn Jahre zuvor erhalten sind.
Damals begann Edschmid seine Briefe mit der Anrede: ‚‚Liebste, Liebling,
Boy und tausend andere geliebte Namen" und versichert ihr: ‚‚Denn
da, wo Du bist, bin auch ich, und wo ich bin, bist auch Du." Jetzt
liegt die Vernichtung ihrer Welt hinter ihnen. Da tauscht kein Paar mehr
Liebesworte, da orientieren sich zwei, wie sie überhaupt noch zueinander
stehen können; und das wird sich in den noch folgenden zwanzig Jahren
der Korrespondenz nicht wirklich ändern.
Kasimir Edschmid hat inzwischen seinem Leben eine ganz andere Richtung
gegeben. Er hat sich leidlich mit unverdächtigen Veröffentlichungen
durchs Dritte Reich geschlagen, geheiratet und Kinder gezeugt, was Erna
Pinner, wie sie später gesteht, nicht ungerührt erfahren hat.
Pinner hat sich in London ganz neu auf eigene Füße stellen müssen.
Sie hat ein Biologiestudium absolviert und illustriert populärwissenschaftliche
biologische und paläontologische Bücher. Was aber das Verhältnis
der beiden überschattet, die so eng verbunden waren, ist etwas Exemplarisches.
Es ist die Folge der Entscheidung, dazubleiben oder fortzugehen, die innere
Emigration zu wählen oder das tatsächliche Exil - eine Entscheidung,
welche die intellektuelle Diskussion der Nachkriegszeit und der Gründerjahre
der Bundesrepublik prägte.
Diese Prägung, dieses Programm ist in den Briefen dieses Bandes
allerdings nur unterschwellig vorhanden. Kasimir Edschmid schreibt von
allem möglichen, von den Erkältungen seiner Kinder, von Hunger
und Mangel, von den sofort wieder erwachten Eifersüchteleien unter
Schriftstellern und Verlegern, von den Funktionärspflichten in den
neuen Akademien, im PEN-Club, die er sich bald zu eigen macht, und natürlich
von literarischen Projekten. Erna Pinner geht darauf ein, erkundigt sich
nach dem literarischen Leben in Deutschland, berichtet von ihrer Arbeit,
ihren Lektüren, relativiert auch seine Beschwerden durch den Vergleich
mit der andauernden Rationierung aller Güter in England, der ‚‚Austerity",
die auf der Insel bis weit in die fünfziger Jahre anhielt.
Bald machen die bangen Fragen nach den alten Freunden und Weggefährten
neuem Klatsch Platz. Kaum je thematisiert Erna Pinner vorsichtig, was ihr
Briefpartner bei aller Mitteilsamkeit so offensichtlich meidet - das, was
politisch hinter ihnen liegt, und welche Folgen es für sie persönlich
hatte: ‚‚Vor einiger Zeit hörte ich, daß Professor Simons,
mein Arzt (...) in einem Konzentrationslager umgebracht wurde. Ebenso mein
Vetter, der Nierenchirurg Pinner. Wie soll man solche Dinge je vergessen
können oder das Grauen verlieren über die zu Lampen-schirmen
verarbeiteten Menschenhäute, die sich die diversen Frau Gauleiter
in ihre Zimmer stellten?"
Seine Antwort fällt fast schroff und recht bezeichnend aus: ‚‚Liebste
Erna, offen gestanden, habe ich Dir länger nicht geschrieben, weil
ich über einige Sätze in Deinem Brief (...) nicht hinwegkam.
Wir wollen aber nicht mehr darüber reden, und ich will keine Mißverständnisse.
Aber so sehr ich weiß, daß das deutsche Volk hundertprozentig
auf den Nazismus hineinfiel - es hat doch mit den Menschenhäuten in
seiner Gesamtheit so wenig zu tun wie seinerzeit mit den Untaten des Massenmörders
Hamann, der seine Lustknaben zu Wurst verarbeitete (...) Ich schreibe dies
der Gerechtigkeit halber. Nichts, aber auch gar nichts kann man summarisch
behandeln, weil alles seine individuellen Voraussetzungen hat."
Das wäre, gerade in seiner beleidigten Grundsätzlichkeit,
in der ein spezifischer Unwille anklingt, sich mit der Dimension des Trennenden
auseinanderzusetzen, tatsächlich von zeitgeschichtlich dokumentarischem
Wert, wie der ganze Briefwechsel, der bis zu Edschmids Tod im Jahr 1966
andauerte. Er könnte zeigen, wie gerade das, was sich als das geistige
Deutschland verstand, sich in diesen zwanzig Jahren in einer Art geschwätziger
Verdrängungsbereitschaft eingerichtet hat. ‚‚Wir wollen nicht mehr
darüber reden", so heißt ja das Buch, dem die Darmstädter
Jury jetzt immerhin die Auszeichnung als Buch des Monats zuteil werden
ließ.
Mit diesem Buch aber hat es eine eigentümliche Bewandtnis. Über
dem Titel ‚‚Wir wollen nicht mehr darüber reden" steht ein Name,
und es ist nicht der eines der beiden Briefschreiber, sondern der Ulrike
Edschmids. Sie war mit Kasimir Edschmids Sohn verheiratet und fungiert
hier als Autorin, nicht etwa als Herausgeberin der Briefe. Und sie gibt
auch nicht vor, den Briefwechsel herauszugeben, sondern ‚‚eine Geschichte
in Briefen" vorzulegen, so der Untertitel. Sie habe versucht, so schreibt
sie im Vorwort, aus fast sechshundert Briefen ‚‚den Dialog herauszuarbeiten".
Sie habe in mehreren Fassungen akzentuiert und skelettiert, bis ein ‚‚Konzentrat"
freigelegt worden sei. So recht verständlich ist dennoch nicht, warum
das als eigenständige Autorenleistung gelten soll, warum das Buch
also als eine Art literarischer Dokumentation und nicht schlicht als Briefauswahl
präsentiert wird.
Auch das Nachwort von Barbara Hahn, die sich als Herausgeberin des
Rahel-Briefwechsels mit diesen Fragen auskennt, gibt keine befriedigende
Antwort. Die Bearbeiterin Edschmid habe nicht verbessert und korrigiert,
sondern vorsichtig mit der Schere gelesen und mit Klebstoff geschrieben.
Die Vermutung, so etwas rieche nach Zensur oder nach Beschönigung,
weist sie in wackerer Frauensolidarität ab: ‚‚Man braucht die Originalbriefe
nicht zu kennen", so Barbara Hahn wörtlich, ‚‚um solche Vermutungen
hier auszuschließen." Mit Verlaub: bei einer etwas genaueren Beschreibung
des Verfahrens der Bearbeitung, einer etwas besseren Nachprüfbarkeit
wären solche Unterstellungen noch etwas sicherer zurückzuweisen.
Vielleicht hat das bemerkenswerte Verfahren auch nur damit zu tun,
daß man beim Luchterhand Literaturverlag ein bloßes zeit-geschichtliches
Dokument wie diesen Briefwechsel für zu wenig publikumswirksam hält.
Das allerdings ist schade. Erna Pinner und Kasimir Edschmid haben sich
nie wieder gesehen. Ihre Briefe blieben das einzige Band zwischen ihnen,
von Telefonaten in den letzten zwei Jahren abgesehen. Was man über
sie beide und über ihre Zeit lernen könnte, wird wohl einer Briefausgabe
vorbehalten bleiben, die den Namen verdient.
Julia Schröder
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Danke.
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