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Einen Roman hat Dorothy Parker nie geschrieben. Davon abgesehen hat sie fast alles gemacht, wovon Schriftsteller sonst nur träumen
Stadtsoziologen predigen es seit hundert Jahren, in dem Film The Hours ist es ein tragendes Motive: Fortschritt, auch für Geist und Seele, gedeiht in den Metropolen, in der Choreographie der Menschenmassen, die im Rhythmus der Nacht vom Neonlicht in die Schatten der Anonymität eilen. Die Instrumente dafür, Medium als Message, kamen mit der klassischen Moderne: Kino, Radio und Magazine boten in den 1920er Jahren neue Möglichkeiten, sich auszudrücken. Neue Formen des Missverständnis kamen mit Telefon, Prohibition, Weltkriegen. Abseits davon suchten und fanden Kafka, Picasso und Schönberg neue Formen – griffig auf den Punkt gebracht: In den zwanziger Jahren brummte es in allen Ecken, besonders in Manhattan. Dann Jazz, Cocktails, der Tonfilm und mit ihm Champagner und für Kreative eine Neue Economy (sprich: Verdienstmöglichkeiten)... Von hier ein Katzensprung zu Fitzgeralds grossen Gatsby-Get-togethers, Oscar-Nominierungen, Picasso an der Wand, Radioshows mit Harpo Marx, Drehbuchkonferenzen mit D.W. Griffith. Immer dabei: Dorothy Parker, die das alles kannte, hatte – und hinter sich ließ.
Seit Mrs Parker und ihr lasterhafter Kreis via Fernsehabendprogramm auch im vollends verschnarchten Hinterland in die Wohnstuben flimmerte, hat jeder von Dottie gehört. Doch ein "vicious circle" ist weniger ein lasterhafter als ein Teufelskreis, und der runde Tisch, an dem sie im Algonquin Hotel residierte, war nur ein Aspekt ihres Lebens – die Gründung der Anti-Nazi League in Hollywood ein anderer. Statt nun zu sagen, Mrs. Parker hätte auch in der Öffentlichkeit die Hosen angehabt, übersetzen wir einfach genauso faul und ad verbatim aus dem Englischen: Sie hatte die Stiefel an; und die hatten Absätze, die sich ins Bewusstsein bohrten.
Dorothy Parker war Feministin - "zu einer Zeit, als New York noch fast von Büffeln bedroht wurde, kämpfte ich für Gleichberechtigung." Und sie verehrte Hemingway. Leicht machte sie es keinem. Am wenigsten sich selbst.
Dorothy Parker (1893-1967), textend in fast jedem Genre aktiv, eigen und nie artig, politisch engagiert, schrieb, lebte und handelte wie jemand, der seiner inneren Stimme vertraut. Als Romantiker mit Herz und Haaren hatte sie – konsequenterweise – einen Hang zum Zynischen, verlief ihre Karriere wie eine Fahrt auf der Achterbahn. Kurz: In ihrer Haltung wider Dogmen, in ihrer Positionierung zwischen den Stühlen, ihrem Interesse für die Underdogs ist sie auch in der Neopostmoderne von höchster Aktualität.
Der zeitlose Appeal ihres Werks (Lebens und Denkens ohnehin) wird besonders in den Shortstories deutlich. Schon mit wenigen Zeilen Dialog serviert Parker die nach wie vor gültigen Wahrheiten, offenbart sie, mit welchen Lügen sich die Reichen und Selbstzufriedenen bei Laune halten. Weit weg vom Smalltalk am Round Table zollten ihr W. Somerset Maugham und Ernest Hemingway tiefsten Respekt für diese Haltung sowie das Handwerk, mit dem bei Mrs. Parker das Gift aus der Feder perlte. Nicht unwesentlich: Wenn sie jemandem an die Gurgel ging, dann nie den einfachen Angestellten und kleinen Leuten, die ihre Geschichten bevölkern, nicht den Sekretärinnen und hoffnungslos hoffnungsvollen blonden Jungfern, sondern denen, in deren Adern blaues Blut oder kühles Kalkül tickt. In so gut wie jeder englischsprachigen Anthologie mit kloassischen Shortstories finden sich ein oder zwei von Dorothy Parker - und zwar ohne die Hilfe eines aktiven Nachlassverwalters, einzig und allein
Eins hat sie nie gemacht – einen Roman fertig geschrieben. Stattdessen drei Theaterstücke, an die vierzig Gedichte zwischen 1915 und 1945, primär über die Schattenseiten der Selbstentfaltung, Liebe und Lust. Rhythmisch sicher, zunächst fast sentimental, in der letzten Zeile mit einem Fallbeil, das alles Sanfte vernichtet. Abtreibungen, Fehlgeburten und Selbstmordversuche sind eben nicht so leicht wegzuwischen wie die Asche einer Montecristo vom Jackett. (Resümee: "Rasierklingen ritzen / Flüsse sind naß / Säuren spritzen / Gift macht blaß / / Schlingen muß man knoten / Schüsse gehn daneben / Sprengstoff ist verboten / Bleibste eben leben") Vielsagend auch die Veröffentlichungsstatistik: Nach 1937 nur noch drei Gedichte, darunter, 1944, War Song. In Kolumnen und Rezensionen der tonangebenden, seinerzeit neuen Magazine ging sie kompromisslos ins Gericht – "Diesen Roman sollte man nicht einfach so weglegen, man sollte ihn voller Hingabe in die Ecke feuern." Wenn jemand so Tacheles redet – und auch schreibt –, dann hat das Konsequenzen. Als mit Witz und Worten jonglierender Star wurde sie von Vanity Fair gefeiert, 27-jährig schon wieder gefeuert, als sie die Gattin eines Anzeigenkunden vergrämte. Beim New Yorker war sie ab der Nullnummer mit von der Partie, kurz darauf mit Texten für Life, auch Cosmopolitan, bis zu ihrem Tod für Esquire. Besonders ihre Literatur- und Theaterkritiken, gepfeffert mit radikaler Ehrlichkeit und auf den Kopf gedrehten Bonmots, machen sie noch heute zu einer der am häufigsten zitierten Stimmen im angloamerikanischen Feuilleton. Kostproben? Dashiell Hammetts Krimis waren für sie "so amerikanisch wie eine abgesägte Schrotflinte"; zu einer Inszenierung von The Lake merkte sie an, "Katherine Hepburn zog die Register der Gefühle von A bis B."; oder: "Hätte man beim Abschlussball in Yale alle anwesenden Mädchen nebeneinandergelegt, so hätte es mich nicht im geringsten überrascht" und und und).
Dem geradezu diametral gegenüber verlaufen die Spuren, die sie in Hollywood hinterlassen hat. Zwar hat sie hier "genug verdient, um Körper und Seele auseinander zu halten", doch an die wenigsten der drei Dutzend Filme, bei denen sie mitwirkte, erinnert man sich – Alfred Hitchcocks Saboteure, Oscar-Nominierungen für A Star Is Born und Smash-Up, doch Otto Premingers The Fan wurde nie synchronisiert, The Good Soup mit Marilyn Monroe nie verwirklicht.
Die New Yorker Geschichten (Kein & Aber, Zürich 2003) fallen genau dazwischen: Weniger die spitze Zunge als die gespitzten Ohren sind die Grundlage für einen akrobatischen Umgang mit Worten, Lichtjahre vor politically correct Selbstzensur. Solange Menschen mit gespaltenen Zungen sprechen, solange sich Menschen ihrer Verlogenheit so unbewusst sind wie ihrer Illusionen, bleiben Arrangement in Schwarz und Weiß und Der Lebensstandard relevant, So kleide die Nackten und Eine starke Blondine einsame Meisterwerke. Was Parker schon 1927 in U-Haft beförderte, in der McCarthy-Ära auf die Schwarze Liste von Hollywood, ist der rote Faden ihrer Prosa: Es geht ihr immer wieder und aus ganzem Herzen und voller Leid und Leiden um Antisemitismus, offenen wie verdeckten Rassismus, Egoismus, aber auch um die Probleme der Moderne – freie Liebe und unfreie Lust, Kriege als Abart der Außenpolitik, Treue und Betrug (an Vaterland oder Freundschaft), Telefone, die nicht klingeln... "Sie entzieht sich jeder Kategorisierung", sagt Fritz Senn, 1985 Herausgeber der New Yorker Geschichten. "Weil auch die Kritiken und Essays immer noch so lesbar sind, gibt es die Überlegung, sie hierzulande noch zu veröffentlichen."
© Matthias Penzel, 2004
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