Don DeLillo

Interview / Autorenporträt

Bestseller. Kiepenheuer und Witsch Verlag, ISBN: 3462022105

Von Männern und Macht, Sprache und Terror
Don  DeLillo: Interview / Autorenporträt

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In den Schatten der Welt, als Agent der Halbwahrheiten und Medienwelten macht Don DeLillo eine viel bessere Figur als im Lit-Quartett-Spiel des Establishments...

Männer. Immer wieder sind es Männer, die alleine in Zimmern sitzen. Die Romane Don DeLillos sind bevölkert von Männern, entrückt von der Welt – und doch mittendrin, die Gegenwart so präzise betrachtend, dass es einem die Sprache verschlägt. Einer sitzt östlich von Greenwich Village/Manhattan: Berühmt, vor allem berüchtigt wurde er, weil er lauthals singt und schreit; in Great Jones Street schweigt er, um sich gegen die eigene Vermarktung zu wehren – und sitzt dabei in einem Zimmer, das Teil der Immobilienspekulation seines durch ihn reich gewordenen Managers ist. Dem Rockstar Wunderlick, von DeLillo 1973 (!) porträtiert, ist nicht mehr klar, was er mitzuteilen hat. Was aus Rebellion und Protest wird, wenn sie in den Maschinerien von Industrie und Handel vervielfacht werden, vom Manager und dessen Firma Transparanoia wie eine Marionette kontrolliert werden, das ahnte DeLillo schon vor dreißig Jahren. Auf Nebenbühnen der Handlung geht es – also neben der Flucht ins Schweigen – um "Suizid als letztem bedeutungsvollen Auftritt", eine raffiniert-gemeine Killerdroge, Pop als Performance, Rock als Business, also auch verschollene Aufnahmen. Aus Bob Dylans Basement Tapes (dessen Post-68-Krise natürlich überall zwischen den Zeilen anklingt) sind in Great Jones Street die Mountain Tapes von Wunderlick geworden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder einst agierenden Menschen sind weder Zufall noch unerwünscht. Der Roman stand 1973 in den Läden, also Jahre vor Kurt Cobain, vor dem verstörten Verweigern Eddie Vedders, dem auf das Brüllen folgende Schweigen Guns N'Roses', Jahrzehnte vor Hell On Earths Vorhaben, einen Selbstmord live auf der Bühne zu zelebrieren. Das alles ist weder Zufall noch geplant, es ist lediglich Beleg dafür, dass hier jemand Bücher schreibt, der sich mit seinem Stoff so intensiv auseinandersetzt, dass seine Vision sowohl die Realität trifft als auch Aspekte der Zukunft.

Der Roman Great Jones Street ist bis heute nicht auf deutsch erhältlich. Wie auch? Den Meinungsmultiplikatoren, die Unterwelt (Kiepenheuer & Witsch 1998; Goldmann 2000) als exorbitantes Meisterwerk bejubelten und zu Kanonfutter auserkoren, die genau damit einige Leser verschmäht haben, diese Leute sind natürlich nicht imstande, eine Alice-Cooper-entlehnte Figur und die Vision dahinter zu erkennen, selbst wenn sie von Trent Reznor oder Marilyn Manson darauf gestoßen werden.

Die Männer, die in Don DeLillos Romanen so auftreten wie der letzte Gast einer Bar im Morgengrauen von Manhattan, haben Gesichter wie Leute, die die Autos anderer über ganze Kontinente chauffieren. Sie sitzen, wie Nicholas Branch in Libra – Sieben Sekunden (Kiepenheuer & Witsch 1991, 1997; Rowohlt 1993; KiWi 2003) einsam in einem Zimmer und suchen nach Erklärung und Sinn. Im Fall von Branch ist es "die wahre Geschichte" hinter dem Mord an John F. Kennedy, die ihn aus der Welt da draußen entführte.

DeLillo war nicht der erste Erzähler, der sich mit dem JFK-Mythos befasste. JFK, der erste Pop-Präsident, der erste, den – dank Fernsehen – jeder Amerikaner auch in Bewegung gesehen hatte; die Machtspiele von CIA und FBI; Dallas; Tod vor laufenden Kameras; Verschwörungen... Alles wie geschaffen für DeLillo. "Mir war sehr lange nicht klar, dass ich jemals einen Roman – oder selbst eine Shortstory – darüber schreiben würde", sagt Don DeLillo heute dazu. "Später merkte ich, dass es in meinen früheren Romanen ein oder zwei Verweise zu Lee Harvey Oswald gab; mein erster Roman endete sogar auf Dealey Plaza, dort also, wo das Attentat stattfand. Aber das war nicht von tieferer Bedeutung. Ich machte mir erstmals Gedanken darüber, als ich anlässlich des zwanzigsten Jahrestags, also 1983 einen Essay für Rolling Stone schrieb, der sich um Leute wie Oswald drehte, um Attentäter und vermeintliche Attentäter in Amerika. Das war das Tor, das alles aufschlug." Es führte zu Libra – Sieben Sekunden, dem achten Roman von Don DeLillo.

Zwanzig Jahre später sitzt der Mann selbst in einem Raum, wir fahnden nach Themen, zu denen er nicht ständig befragt wird. Sein Widerwille, sich der Presse überhaupt zu stellen, hat dazu geführt, dass er lange im Ruf des abgeschiedenen Schriftstellers stand, zurückgezogen wie Salinger, unbekannt wie Gaddis, mysteriös wie Pynchon. Die letzteren beiden verehrt er sehr, doch der Ruf dessen, der sich auch aus taktischen Gründen versteckt, missfällt ihm. "Im Verlagsgeschäft, besonders in den USA, wird man als Einsiedler bezeichnet, sobald man einmal ein Interview ablehnt. In so einer Schublade bleibt man dann erst mal drinnen. Wenn ich während der siebziger und zum Teil achtziger Jahre pro Buch etwa ein Interview gegeben habe, dann nicht aus Prinzip, sondern eher aus persönlicher Abneigung. Als Libra erschien, erschien es mir nötig, mich den Fragen und auch Kommentaren einiger Leute zu stellen, ganz einfach weil es um ein so monumentales Ereignis in der Geschichte der USA ging. Fotos hat es von mir immer gegeben. Im medialen Kontext war ich also nie zurückgezogen."

Auch dass wir heute hier sitzen, in einem Nebenzimmer des Deutschen Historischen Museums, Berlin, ist auf Kennedys Todestag zurückzuführen. Anlässlich Kennedys nahendem vierzigsten Todestag wurde DeLillo eingeladen, aus Libra und Unterwelt zu lesen; natürlich ist er auch hier, um über Cosmopolis (Kiepenheuer & Witsch 2003) zu sprechen, seinen vierzehnten Roman (zählt man das 1980 unter dem Pseudonym Cleo Birdwell veröffentlichte Amazons mit).

In Cosmopolis, seinem neusten Roman, bleibt der Protagonist nicht lange in seiner Wohnung. Der Celebrity-Cyberkapitalist Eric Packer verlässt seine 48-Zimmer-Wohnlandschaft und verbringt den Rest des Tages in einer gepanzerten Stretch-Limousine. "Schon am Morgen fühlt er seine Sterblichkeit", erläutert DeLillo im Gespräch ohne Umschweife, worauf die letzte Reise Eric Packers zusteuert. "Es geht ihm so wie jedem von uns, wenn wir vielleicht um drei Uhr nachts aufwachen und an Tod und Vergänglichkeit denken. Mit dem Unterschied, dass Packer beginnt, selbstzerstörerisch zu werden. Der schulmedizinische Ausdruck dafür ist: Ikarus-Komplex."

Der eine Tag im Leben Packers findet im April 2000 statt, exakt zu der Zeit, als Dotcoms zu Notcoms wurden, die New Economy wie eine schillernd bunte schöne Seifenblase nichtsdestotrotz zerplatzte. "Die Zeit hat in diesem Roman die Tendenz, schneller zu vergehen. Ich glaube, in den neunziger Jahren ist das tatsächlich passiert: Es herrschte enormer Druck, Geld zu machen, auf Unternehmensebene genauso wie auf der Straße, sodass wir irgendwie alle in der Zukunft lebten. In der Zukunft von enormen Investitionsmöglichkeiten und nicht regulierten Märkten. Alles bewegte sich in diese Richtung, Firmenlenker wurden zu Weltstars, Unternehmen schienen bedeutungsvoller als Regierungen, und einfache Leute starrten auf ihre Computerbildschirme, sahen ihrem Geld zu, wickelten via Internet Transaktionen an der Börse ab. Und dann... dann fiel es in sich zusammen. Im Frühjahr 2000. Im März, April und Mai änderte sich das alles, und es ist nicht mehr so wie es war."

Dass das Buch als Parabel auf die USA nach dem 11.9. gelesen werden kann, ist natürlich auch DeLillo klar. Geschrieben hat er es allerdings vorher, wie er betont. "Meine Idee war, dass Eric Packer in einer beschleunigten Zeit lebt, so dass er tatsächlich sein ganzes Leben an einem einzigen Tag lebt, weshalb an dem Tag so viel passiert. Er hat Sex mit vier verschiedenen Frauen, er trinkt fünf oder sechs verschiedene alkoholische Getränke, er isst ein paar Mal, er erschießt einen Mann, ein Mann wartet darauf, ihn zu erschießen... Es ist nicht ein Tag im Leben, es ist ein Leben im Tag."

1936 geboren, in den Bronx aufgewachsen, war Don DeLillo als Schriftsteller ein relativer Spätstarter. Als Texter für die Werbeagentur Ogilvy & Mather, zu deren Klienten Zippo und Sears gehörten, lernte er Macht und Manipulierkeit von Worten kennen, schätzen und fürchten. Worte, für Burroughs Viren, für Ploog Waffen, sind für Don DeLillo vor allem Werkzeuge, die er fasziniert beobachtet und mit der Vorsicht handhabt, die man von Chirurgen erwartet. Leser oder Literaturbeamte interessieren ihn nicht annähernd so sehr wie "Worte auf der Seite. Seit ich ab und an Lesungen mache, wenn ich dann fühle, im Dreidimensionalen, wie das anderen Menschen etwas gibt... das hat natürlich auch was. Besonders wenn es junge Menschen sind. Das habe ich nach acht oder neun Romanen das erste Mal erlebt."

Aber den Mann, wenn er denn alleine in seinem Zimmer an der Olympic-Schreibmaschine sitzt, motivieren diese Reaktionen nicht. "Es ist ein sehr schwieriger und manchmal zerbrechlicher Zustand, in dem sich der Schriftsteller über Jahre hinweg befindet. Für mich zahlt sich das aus, wenn mir ein Satz gelingt, der wahr und schön ist. Hinter Geschichte und Politik steht immer die Sprache. Das ist es, was mich interessiert: die Sprache, wie ich sie bearbeite und überarbeite. Und es macht Spaß. Das ist das große Geheimnis aller Autoren, etwas, das sie auch voreinander verheimlichen: Dass es Spaß macht, Fiction zu schreiben. Trotz aller Schwierigkeiten."

Don DeLillo war 35 Jahre alt, als sein erster Roman erschien. Americana (Rowohlt 1995; Goldmann 2002) ist eine Road-Novel, in der kein Kerouac mehr durch das große weite Land reist, um sich zu entdecken, sondern Film und Werbung die Scheuklappen justieren, mit denen wir die Welt wahrnehmen. Alles sehr ehrgeizig, postmodern. Noch amerikanischer ist End Zone, wo zwei Themen auftauchen, die in der Literatur fast nagelneu waren. Während Schriftsteller an ihren Schreibtischen wie aus Amtsstuben darüber brüten, wie sie einen zeitlosen Klassiker mit der Wucht von Zauberberg schreiben können, vielleicht zum wirklich x-ten Mal ein Familienmitglied als Ex-SS-Schärfling outen oder ganz grass gesagt walsernd einen Lenz machen, schrieb DeLillo über Nuklearkriege und American Football, darüber wie auch im Sport die Gewalt proportional zu Einschaltquoten zunimmt. Dann 1973, alles im Takt einer Band, eine Veröffentlichung pro Jahr, Great Jones Street. In den USA, eben auch im Fall von Gegenwelten und -kultur mit unendlichen Möglichkeiten, wurde er zu einem "writer's writer".

Rolling Stone würdigte ihn, andernorts taten es so etablierte Querköpfe wie Nelson Algren, der in der Los Angeles Times Book Review schrieb: "Sein Witz ist so chirurgisch, dass man nicht einmal merkt, wenn eine Arterie durchtrennt wurde. Man lacht nicht, bis man sieht, dass man blutet." Dieser messerscharfe Blick, die sorgfältig gewählten Worte bei gleichzeitiger Verweigerung, das Beschriebene zu bewerten, zeichnen DeLillos Werke und Worte bis heute aus.

Sie sind auch der Grund, weshalb einem manches zu steril, blutlos erscheinen kann.

Manchmal ist auch der Themenkomplex weniger ansprechend, zwar schon überraschend originell, aber eben nicht im selben Maße Neugier weckend wie Rockstars und neue Drogen, Pornographie und Professoren für Hitler-Studien, Attentäter und Öko-Katastrophen. Vom Ansatz her kompliziert, voller Axiome und Gleichungen ist Ratner's Star, wo der Protagonist im ersten Satz "eine Sony 747 besteigt, die zu einem entfernten Land abheben soll". Im folgenden Roman, Spieler (Rowohlt 1995; Goldmann 2001), läuft DeLillo bei vergleichbarem Intro zu absoluter Hochform auf: Die komplette Eingangssequenz ist eine Melange zwischen den Gesprächen im abgedimmerten Licht einer Boeing, vermischt mit denen des dort gezeigten Films, Klängen aus der Piano-Bar und einer über die Leinwand tobenden Entführung auf einem Golfplatz. Mitten aus dem Zeitalter des Information-Overkills.

Was DeLillo nach Ratner's Star schrieb, größtenteils hierzulande erhältlich, variiert Gedanken zu Krieg, Terror und der Rolle, die sowohl Globalisierung als auch Massenmedien dabei spielen. Spieler, Bluthunde (Kiepenheuer & Witsch 1999; Goldmann 2001) und Die Namen (Kiepenheuer & Witsch 1994; Rowohlt 1996) überraschen immer wieder mit schrägen Querverweisen zu Hitler, dessen Geburtsname Schicklgruber schon in Great Jones Street als Bandname herhielt, aber auch mit Referenzen zu dieser Zeitschrift, in Bluthunde als Running Dog chiffriert.

Don DeLillo ist eben ein Kind der Sixties, die mit Kennedy so zuversichtlich begannen, mit Vietnam und Monterey zweischneidig endeten. "Kennedy stand für einen Neustart in die Zukunft. Seine drei Jahre als Präsident waren geprägt von einer gewissen Zuversicht, von Hoffnung. Sicher, in der Administration gab es vieles, wovon wir nichts wussten; andererseits verlieh er Amerikanern das Gefühl, dass wir an einer progressiven Zukunft teilhaben werden. Vietnam veränderte diesen Optimismus.

Die Sixties waren für mich eine unglaubliche Zeit. Jede Woche passierte etwas Außerordentliches. Mitten in amerikanischen Städten standen Panzer, es gab mehrere Attentate und Attentatsversuche, dann Vietnam, was alle unglaublich aufwühlte. Dann kam Nixon, Watergate Anfang der Siebziger. Heute ist das anders, die Stimmung hat etwas willfähriges, die Menschen wollen nicht protestieren, obwohl sie wissen, dass Sachen schief laufen; zumindest machen sie es nicht mehr mit der Vehemenz von früher. Vielleicht wird sich das ändern. Heute kam die Bedrohung von außen, von einer kleinen Gruppe Terroristen, die irgendwo auch die Vergangenheit repräsentiert, und die uns dazu gebracht hat, unser Verhältnis zur Zukunft anzuzweifeln. Amerikaner glauben, sie hätten die Zukunft erfunden. Diese Zukunft steht seit dem 11.9. auf wackeligen Füßen."

Dreht sich ein Gespräch um Bob Dylan oder Quentin Tarantino, so sind die Positionen ziemlich klar: Man mag sie, oder man mag sie nicht, wenn ja, dann ist man sich schnell einig, welche Werke herausragend, eher schwach oder ziemlich abgründig waren. Anders bei Miles Davis oder Jean-Luc Godard: Hier können die sonst vernünftigsten Menschen nächtelang debattieren, ob Bitches Brew oder Kind of Blue, ob Außer Atem oder Week-End. Dasselbe gilt für die Romane von Don DeLillo, der sagt, "die wichtigsten Einflüsse waren für mich wahrscheinlich nicht so sehr Schriftsteller als viel eher der Europäische Film, Jazz und abstrakter Expressionimsus."

Unterwelt hat ihn zum Überstar gemacht, auch hierzulande hat fast jeder mal in den 965 Seiten geblättert, sich über das als "Great American Novel" gefeierte Monumental-Epos vielleicht gewundert. Ein paar Jahre nach Jubel und Lorbeeren darf man es auch etwas lauter sagen, auf diesen Seiten sowieso: Lesbar ist das nur für wenige. Denn außer um Atombomben, CIA und den Kalten Krieg geht es eben um Müll, bestimmte Fernsehshows und immer wieder um amerikanischen Ballsport, Baseball diesmal.

Um den überwältigenden Unterwelt-Erfolg zu verstehen, mag es hilfreich sein, sich daran zu erinnern, wie händeringend und früh im angloamerikanischen Sprachraum nach jenem das Jahrzehnt abschließenden Meisterwerk gesucht wurde. In den Fünfzigern gab es Kerouacs Unterwegs, zuvor Fitzgerald, später als Sargnagel der Sixties Hunter Thompson, als Spielverderbereien der hedonistischen Achtziger Tom Wolfes Fegefeuer der Eitelkeiten. "Wem ist es gegeben", fragte die Intelligenzija in Übersee, "dieser Nachfrage nach dem großen amerikanischen Roman nachzukommen? Wer kann solches Material erfinden, wer kann die Wahrheit über eine Alzheimer-Kultur der Panikattacken und verlorener Zusammenhänge einfangen?"

Nun, wie gesagt: Unterwelt befriedigte diese Nachfrage vielleicht, spülte aber DeLillo auch auf Regale und Nachtschränkchen, auf denen er nichts verloren hat. Um Spannung im Sinne von John Grisham oder Stephen King geht es nicht, auch nicht um Unterhaltung im Sinne von Hera Lind oder Harry Potter. Es geht um die Themen und Fragen einer Welt, die so nicht existierte, als Thomas Mann seinen Zauberberg meißelte.

Nach den frühen Romanen, bereits vor Unterwelt drei Mal nacheinander lieferte DeLillo drei Meisterwerke ab. Visionen und Ideen von Reality-TV-Shows, Drogen und Kameras, wie sie zuvor auftauchten, sind hier die Hauptthemen. So auch in der von Konsumterror und einer Umweltkatastrophe überschatteten Satire Weißes Rauschen (Kiepenheuer & Witsch 1987; dtv 1989; Rowohlt 1997). "Eins der allerbesten Bücher, die ich je gelesen habe", laut T.C. Boyle. "Es gibt in den USA ungeheuer wenige, die sich auf Satire so gut verstehen wie DeLillo."

Für Weißes Rauschen wurde Don DeLillo mit dem American Book Award ausgezeichnet, mittlerweile über fünfzig erstmals auch hier veröffentlicht, im kulturellen Brachland BRD, in dem man es sich natürlich lieber leicht macht und alle Amis über einen Kamm schert; auch die, die sich immer noch wie Pioniere bewegen, die nach den Grenzen hinter dem Bekannten suchen.

Jetzt betrat der writer's writer den Ring der wahren Schwergewichte, der Klassiker von übermorgen. Auf Weißes Rauschen folgte Libra, dann Mao II (Kiepenheuer & Witsch 1991, 2000; Rowohlt 1994), in dem Massenmedien, Sprache, Terrorismus und Religion kongenial zusammengeführt werden. Hier haben wir die Essenz von DeLillos Kosmos und Arbeit. Es gibt nicht einen Protagonisten, auch keine Action im herkömmlichen Sinn, wohl aber ungeheure Spannung und Anspannung. Bill Gray sitzt vor seiner schweigenden Schreibmaschine, beguckt die einzelnen Lettern auf dem Papier, während draußen die Welt tobt, Fotografen Bilder von Terroristen schießen, diese wiederum mit Metaphern und Symbolen arbeiten, durch die ihre Taten erst Bedeutung erhalten, da medial verbreitet... Laut Tanja Dückers war das nach White Noise ein Buch, "worüber man sich ärgert".

Dass Don DeLillo in ein paar Jahrzehnten als Visionär neben Kafka, als Stilist neben Hemingway genannt werden wird, steht eigentlich außer Zweifel. Sympathischerweise interessiert ihn das nicht weiter.

Zurzeit beschäftigt ihn etwas ganz anderes, kein Roman über den 11.9., soviel ist sicher. "Mehr will ich dazu aber auch nicht sagen. Es ist nicht Fiction, und es ist nicht eine riesige Idee, obwohl sie noch zu etwas Größerem werden könnte. Das Thema hat nichts mit dem Zustand der Welt zu tun, mit Geschichte oder Politik. Es geht um etwas anderes."

Meisterwerk oder nicht, interessanter als das Gros neuer Veröffentlichungen wird es sicher sein.

© Matthias Penzel, 2004. Original erschien dieser Artikel als "Das Schweigen der Schreibmaschine" in Rolling Stone 11/2003






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