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"Du läßt deinen Gedanken freien Lauf. Du betrügst
mich!" - Robert und Magda lieben einander, so viel scheint klar zu
sein. Aber was heißt schon "Liebe": Verschmelzung, Aufgehobensein,
Unterwerfung? Das ist eine der vielen Fragen, die der erste Roman der Niederländerin
Margriet de Moor stellt und - glücklicherweise - nicht beantwortet.
Ohne Antwort bleibt auch die eine Frage, die alle, vor allem Robert, aber
auch die Freunde der beiden, Erik und Nellie, die Nachbarn, das ganze Dorf
an Magda haben: Was hat sie gemacht, als sie zwei Jahre lang verschwunden
war, ohne Angabe von Gründen, um schließlich, ohne Angabe von
Gründen, wieder aufzutauchen, als sei nichts geschehen? "Wo bist
du gewesen?" - das ist Roberts Frage, die er, so dringlich sie ist,
doch nie stellen kann. Eine Unfähigkeit mit tödlichen Folgen:
Robert ersticht seine Frau, weil er nicht aushält, daß sein
Wissen um sie nicht vollständig ist.
Robert hat Magda auf einer Reise durch Kanada kennengelernt. Magda
ist als Kind mit ihrer Mutter nach Kriegsende dorthin ausgewandert, weil
diese, nach der Deportation ihres jüdischen Ehemannes, in Europa nicht
mehr leben mochte. Magda und Robert wohnen einige Jahre in den Cevennen,
bevor Robert mit seiner Frau in die Niederlande zurückkehrt, um die
Firma seines Vaters zu sanieren. Wie ihm zuvor die Malerei dazu diente,
die Welt nach Formen und Farbwerten zu klassifizieren, wie er die Dinge
zwang, eine "Liebesbeziehung" mit ihm einzugehen, eignet er sich nun,
auf sehr erfolgreiche Weise, "das Chaos, in dem du geboren bist'',
als Unternehmer an.
Was er sich letztlich nicht aneignen kann, ist seine Frau. Obwohl er
ein Recht dazu zu haben glaubt: "Im Tausch für deine Gegenwart,
Vergangenheit und Zukunft, Magda, werde ich dir eine Liebe bieten, wie
du sie dir noch nicht einmal erträumt hast." Ihre Zufriedenheit,
ihre Bereitwilligkeit, sein Leben zu teilen, reichen ihm nicht. Er will
sie besitzen, ganz und gar, und er will ihr Geheimnis besitzen.
Magda, so stetig sie Robert zugewandt ist, entzieht sich gründlich
durch Flucht, die gleichzeitig eine Suche ist: "Unter all diesen Dingen
muß doch etwas zu finden sein, das nicht vereinnahmt werden kann."
Das sind die Orte ihrer Vergangenheit und die Menschen ihrer Gegenwart,
die sie an diesen Orten trifft. Magda probiert die Möglichkeit eines
anderen Lebens, "das man seelenruhig genauso hätte führen
können", aus und gerät schließlich doch auf den Weg
"nach Hause": "Wen wird es stören, daß ich . .
. mir Dinge ins Gedächtnis rufe, an die zu denken angenehm ist, stolze,
barbarische, persönliche Dinge, die ich nie, mit wem auch immer, teilen
können
werde . . ."
Gestört fühlt sich nicht nur Robert, sondern auch dessen
Jugendfreund Erik, der sogar ein kurze Affäre mit Magda beginnt, um
sie vielleicht zu Bekenntnissen hinreißen zu können. In Eriks
Verhältnis zu seiner Ehefrau Nellie spiegelt sich die Beziehung Roberts
zu Magda. Erik ist von Berufs wegen - als Augenchirurg - an eine kontrolliert
zergliedernde Sicht auf die Dinge gewohnt, gestaltet die Welt zugreifend.
Im Unterschied zu Robert aber kann Erik seine Frau die sein lassen, als
die sie ihm erscheint, ohne sie vollständig erkennen zu wollen. Ausgerechnet
der offensichtlich psychisch gestörte Sohn von Erik und Nellie, Gabriel,
scheint derjenige zu sein, dem Magda sich am meisten verbunden fühlt.
Sie unterstützt seine einzige Leidenschaft, die für ferne Sterne,
ihm ist der letzte Gedanke des Romans vorbehalten. Und vielleicht ist Gabriel
auch gar nicht verrückt, sondern ein Bote, gesandt von "anderem Planeten",
von dem der Vorspruch des Romans, Arnold Schönberg zitierend, spricht.
Die kolportagehafte Ausgangssituation des Romans - Gatte ermordet Ehefrau,
schneidet sich die Pulsadern auf und wird vom Freund der Familie gefunden
- ist der Angelpunkt einer kompliziert-verschachtelten Erzählung,
die eine verstörende Balance zwischen Vor- und Rückblenden, wechselnden
Perspektiven und Redeweisen anstrebt. De Moor erreicht diese Balance auf
faszinierend kunstvolle Weise und dergestalt, daß auch dem Leser,
so informiert er schließlich ist, eines nicht zuteil wird: das triumphierende
Bewußtsein, die Antwort auf alle Fragen besitzen zu können.
Diese Antwort liegt wohl jenseits dessen, auf das der Titel sich bezieht;
Magda erinnert sich an den Tod eines Säuglings auf der Überfahrt
von Europa nach Kanada: "Erzähl' es mir, bat ich das Baby leise.
Stimmt es, daß alles erst grau wird, dann weiß, dann blau,
und daß man dann zu den Sternen fliegt?" Erst wenn ein Leben
zu Ende ist, ist sein Geheimnis aufgehoben - und abgeschlossen.
Julia Schröder
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Danke.
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