Michael Cunningham

Stunden

Roman. Luchterhand Literaturverlag, München. ISBN: 3-630-87061-9

Michael  Cunningham: Stunden

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'Mrs. Dalloway sagte, sie wolle die Blumen selber kaufen.' Mit diesen Worten beginnt der Roman Mrs. Dalloway, den Virginia Woolf 1925 schrieb. Abends soll ein Empfang stattfinden, den Clarissa Dalloway ausrichtet. Die Stunden, die bis dahin vergehen, umfassen mit ihren Geschehnissen und Fiktionen das vierte Buch Virginia Woolfs. Ursprünglich wollte sie ihrem Werk den Titel 'Die Stunden' geben. Michael Cunningham nahm diesen Gedanken etliche Jahre später mit dem vorliegenden, eng an Mrs. Dalloway orientiertem Band wieder auf. 'Die Blumen müssen noch besorgt werden.' - lautet der erste Satz des mit Mrs. Dalloway überschriebenen Kapitels in Cunninghams Roman. Es wird ein Tag aus dem Leben einer New Yorker Lektorin geschildert. Sie gibt eine Party für ihren Freund Richard, dem an diesem Abend ein bedeutender Literaturpreis verliehen werden soll. Richard leidet an einer fortgeschrittenen Aids- Erkrankung und dämmert in einer abgedunkelten Wohnung dahin. Vor Jahrzehnten hatte er Clarissa den Spitznamen Mrs. Dalloway gegeben, weil sie in seinen Augen der Figur von Virginia Woolf ähnelte. Damals schien für einen Augenblick die Liebe zwischen den beiden lebbar zu sein. Sie sind Freunde geblieben und konnten sich treu bleiben. Richard wird Clarissa am Ende des Buches lächelnd sagen, 'Ich glaube nicht, daß zwei Menschen glücklicher hätten sein können, als wir es gewesen sind.' - Eine Anspielung auf einen von Cunnigham im Prolog zitierten Liebesbrief. Virginia Woolf hinterließ ihrem Mann eben diese Zeilen, bevor sie den Freitod wählte. Die Grenze von Imagination und Realität ist verwischt. Cunningham gelang es mit viel Raffinesse, Brosamen aus dem Leben der Autorin aufzusammeln und in anderem Gewand unter seine eigenen Gestalten zu streuen. Vieles ist doppeldeutig, die Figuren schlüpfen aus Woolfs Roman in den Cunninghams. Vertauschte Rollen, Ausweitung des Angedeuteten. Hauchte Woolf ihrer Clarissa Dalloway noch eine zarte homoerotische Beziehung zur Jugendfreundin Sally in die reife Erinnerung, läßt Cunningham Clarissa und Sally ein reales Lesbenpaar sein. Sie leben gutbürgerlich zusammen und Clarissas Ehemann Richard tritt hier als schwuler Lieblingsfreund auf. Die Rollenspiele sind bis in kleine Nebenfiguren erkennbar. Die große Tragödie befördert Cunningham tödlich erweitert ins Zentrum des Finale. Eine Party wird diesmal nicht stattfinden. Ein Tag im Leben dreier Frauen; Virginia Woolf ersinnt den Anfang ihres Romans und unternimmt eine Vogelbeerdingung mit Nichte und Neffen in ihrem Garten. Ein Vorort von London. Man schreibt das Jahr 1923. Sie ist zart und verletzlich, von Stimmen und Verstimmungen geplagt. Sie ist die große Geniale, die Grüblerin, die Zögerliche. Ihr Ende ist dem Roman Cunninghams bereits vorangesetzt. So bleibt kein Zweifel, wie es ausgeht. Einen Tag im Jahre 1949 durchlebt eine junge Frau in Los Angeles, die den Geburtstag ihres Mannes ausrichtet. Laura Brown ist von der Lektüre Mrs. Dalloway's so gepackt, daß sie sich vom Kuchenbacken und Kindhüten davonstiehlt, ein Hotelzimmer mietet und in Ruhe einige Stunden in das Buch eintaucht. In diesen Kapiteln, Mrs. Brown überschrieben, besticht die warme Stimme des Erzählers, der die schwangere Frau und ihren kleinen Sohn in Pastelltönen malt. Hier liegt die Stärke des Buches und die innere Mitte. 'Richi grinst; verzückt schaut sie ihn an. Sie erwidert seinen Blick. Sie halten inne, betrachten einander reglos, und einen Moment lang ist sie genau das, was sie zu sein scheint: eine schwangere Frau, die mit ihrem dreijährigen Sohn, der bis vier zählen kann, in der Küche kniet. Sie ist ganz sie selbst, und sie ist das perfekte Abbild ihrer selbst; es gibt keinen Unterschied.' Sie backen zusammen eine Torte. Dann wird die junge Frau ihr Kind bei einer Nachbarin abgeben und verschwinden. Es könnte auch endgültig sein. Mit dem Roman Woolfs zwängt sich ein Schmetterling in die Idylle, der das Chaos auszulösen vermag. Die Lebensfundamente der Mrs. Brown zeigen plötzlich zarte Risse, die wie zerplatzendes Glas aufschwellen. Michael Cunningham hat ein leises Buch über Gefühle und Verlust geschrieben, diktiert von konkreten Abschieden der Gegenwart. In Essays zur schwulen amerikanischen Literatur wird er in einem Atemzug mit David Leavitt, David Feinberg und Peter Cameron genannt. Für Die Stunden wurden dem 1952 geborenen Michael Cunningham der PEN/ Faulkner Award und der Pulitzerpreis verliehen. Nicht zu Unrecht, denn die Hommage des Künstlers an Virginia Woolf erweist sich als die komplexere Version. Das Sahnehäubchen auf Woolfs Obsttorte.

Anne Hahn






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