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"Uns die Stadt", das muß von Anfang an klar sein, uns, nicht denen,
und die Stadt heißt natürlich Berlin, Berlin in der Goldgräberstimmung
der neunziger Jahre, "da passiert wenigstens was: Hier ist ein Schlot noch,
der müßte auf Dauer mal weg da. So prägt sich das Bild
der Stadt, unser Schickago." "Wir", das sind die Integrierten, die Gewinner,
"keinem verpflichtet, au-ßer uns selbst", die Kompetenten, die D-Land
bauen und den zukünftigen Standort, "Passagen, Karrees und Objekte",
während die Zeit, "unser Maßstab", vergeht. Geschichte wird
auf ein paar wieder aufgebaute Denkmäler reduziert. "Unser dunkles
Ka-pitel ist lange schon abgebüßt, fertig", jetzt ist alles,
was zählt, das Gold. "Wir lieben das Gold wie uns selbst nicht." Über
allem regiert der Vorstand, die politische und die wirtschaftliche Macht
in einem, "tüchtig selbst weihnachts".
Aber da gibt es noch die anderen, eine "orientierungslose Gruppe
am Rand", die Außenseiter, die Chaoten, die in einem vulgären
Durcheinander leben, womöglich noch von der öffentlichen Hand,
also von "uns". Das sind Hans Zork und Anna Plech, und auch Lotte Müller
und der Türke Dorado, die laufen da libidinös in der Spittastraße
und der Muskauer Straße herum, mal auf dieser, mal auf jener Seite
der Spree und über die Brücke, und vögeln miteinander oder
auch überkreuz, und Anna sogar mit einem Stricher. Abends gehen diese
Traumtänzer ins Mollie und versinken in Whisky und Gefühlen.
"Es ist dann kein Wunder, wenn es bei denen nicht vorangeht. Die zu nichts
kommen."
In Ralf Bönts neuem Roman "Gold", dessen Titel schon
klar macht, worauf es ankommt, sind "wir" die Erzähler und die anderen
die Erzählten. Ein Glück, daß Bönt diese Sprache entwickelt
hat, ein vom ersten Satz an überzeugendes, rhythmisch mitreißendes
und im cleveren Pingpong mit dem Leser höchst witziges Instrument;
anders wäre eine solche Erzählsituation nicht durchzuhalten.
Die Erzähler (wenn hier der grammatische Plural überhaupt paßt,
aber mehr dazu später) machen überhaupt kein Hehl daraus, daß
sie ihre Figuren ad hoc erfinden ("mal sehen, was wir brauchen"), zugleich
aber diese "Handvoll künstlich mißratener Heldinnen und Helden"
von Grund auf verachten. Sie grinsen über sie und verleumden sie,
schauen ein Quiz im Fernsehen an, während die "Spielpuppen" sich streiten,
sie kündigen ihren "verkorksten Figuren" den Rückhalt auf: ""Wir
haben ein Programm, wo für solche Leute wenig Platz ist." Ein paar
Tage, vom 24. Dezember bis Silvester, dürfen die Geschöpfe, wie
zwi-schen Clips und Spots gezappt, durch eine gänsehautgenerierende
Weihnachtsgeschichte irren, dann werden sie abgeschossen, nach der "souveränen
und konsequenten Entscheidung der Erzähler."
Die "Wir-Perspektive" findet sich besonders virtuos
gehand-habt bei dem Schriftsteller Gert Hofmann ("Unsere Eroberung", "Unsere
Vergeßlichkeit"). In seiner Erzählung "Motte" entfaltet das
"Wir", im Umgriff amoebenhaft wandelbar, mal eine kleine Gruppe, mal die
ganze Stadt umfassend, eine Atmosphäre erdrük-kender Anonymität,
die sich nie benennt; es spricht die Gesellschaft, die Mehrheit. Ohne das
Bewußtsein individueller Verantwortung hängt die naive Mitläuferschaft
aus den Fenstern der Häuser und beobachtet neugierig und ungerührt
die Verstrickungen und Tragödien der Außenseiter. Auch Bönts
"Wir" spricht aus der Sicherheit der Majorität. Doch gibt es bereitwillig
und ausführlich Auskunft über das eigene Befinden, "wir können
was, Gott, halten was aus", das Befinden der erfolgreichen Macher, das
gar nicht so eindeutig ist, wie man zunächst vermuten möch-te.
Da gibt es schon auch Frust und eine Wut, die hat man nachts wie die Tiere,
"wir wissen am Ende doch auch nicht wirklich wohin". Dieses Befinden ist
die eigentlich tragende Ebene des Romans. Es geht nicht darum, eine Geschichte
zu erzählen, sondern ein "stimmiges Bild" zusammenzufügen - "Von
uns." Al-lerdings ist es erstaunlich zu sehen, wie die von vornherein und
gezielt abgewerteten Kunstprodukte Hans und Anna, Lotte und Doro, dazu
noch die "erfundene Traumfrau" Sismene, Tochter des Vorstands - gegen das
"wir" ein kräftiges Eigenleben entwik-keln, sie setzen sich durch
und bekommen sogar eine zweite Chance: "Teil zwei, beziehungsweise die
Rückseite unserer Story mitsamt allen Einzelheiten und der vollständigen
Wahrheit ab Seite 69". Ab Seite 69 wird das bisher Erzählte variiert,
der Ton ändert sich, die Figuren kommen mehr zu Wort, vor allem scheint
sich das "Wir" zu wandeln. Es läßt sich anstecken vom "Rauschen
des Daseins", will nun auch Größe und Gefühl, vielleicht
sogar ein Kind. Es ändert auch seinen Umgriff - ist jetzt auf einmal
wenige, oder nur ein paar Freundinnen, gar nur ein "mir", um dann im dritten
Teil das abschließende Räsonieren über Gott und Gold beiläufigzweideutig
zu beenden: "Daß wir nicht lachen."
Ralf Bönt, der schon mit seinem ersten Roman "Icks" viel
Auf-merksamkeit erregt hat, erhielt für einen Zusammenschnitt aus
"Gold" 1998 in Klagenfurt das 3-sat-Stipendium. Zu Recht. Er hat aus dem
Blick- und Bielefeld von "Icks" einen endgültigen und souveränen
Schritt nach Berlin getan, wohin zwar gerade alle gehen, aber was soll´s.
"Berlin in jedem Fall ist die Party." Seine Sprache hat sich sehr originell
weiterentwickelt, er poliert die Wörter ("Kosungen") gegen den Strich
und mischt die Stilebenen nach Belieben, aber nicht beliebig. Das Icks-Ich
hat sich in sich selbst gespiegelt, die Gold-Helden spiegeln sich im "Wir"
(dem man auch die Eltern zurechnen kann) und entblößen dabei
- das ist der Effekt - ihre Erzähler und Erzeuger. Das Thema Eltern,
in "Icks" beherrschend, wird hier knapp, klar und mit makabrer Komik abgehakt.
Nach einem mißratenen Weihnachtsabend zerschellt das Flugzeug, die
Eltern sind tot.
Man wird Bönts Romanpersonal nun wieder, wie bei
"Icks", nach Generationenschablonen sortieren wollen. "Gold" braucht aber
keine Generationalisierung. Hier wird die "kollektive Men-talität"
(Bönt) beobachtet beim Beobachten der Suchbewegungen der Außenseiter,
der Verstrickten - das hat allgemeine Gültig-keit und einen Hauch
von Klassik.
Eva Leipprand
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