Ralf Bönt

Gold

Roman. Piper Verlag, München. ISBN: 3-492-04091-8

Ralf  Bönt: Gold

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"Uns die Stadt", das muß von Anfang an klar sein, uns, nicht denen, und die Stadt heißt natürlich Berlin, Berlin in der Goldgräberstimmung der neunziger Jahre, "da passiert wenigstens was: Hier ist ein Schlot noch, der müßte auf Dauer mal weg da. So prägt sich das Bild der Stadt, unser Schickago." "Wir", das sind die Integrierten, die Gewinner, "keinem verpflichtet, au-ßer uns selbst", die Kompetenten, die D-Land bauen und den zukünftigen Standort, "Passagen, Karrees und Objekte", während die Zeit, "unser Maßstab", vergeht. Geschichte wird auf ein paar wieder aufgebaute Denkmäler reduziert. "Unser dunkles Ka-pitel ist lange schon abgebüßt, fertig", jetzt ist alles, was zählt, das Gold. "Wir lieben das Gold wie uns selbst nicht." Über allem regiert der Vorstand, die politische und die wirtschaftliche Macht in einem, "tüchtig selbst weihnachts".
  Aber da gibt es noch die anderen, eine "orientierungslose Gruppe am Rand", die Außenseiter, die Chaoten, die in einem vulgären Durcheinander leben, womöglich noch von der öffentlichen Hand, also von "uns". Das sind Hans Zork und Anna Plech, und auch Lotte Müller und der Türke Dorado, die laufen da libidinös in der Spittastraße und der Muskauer Straße herum, mal auf dieser, mal auf jener Seite der Spree und über die Brücke, und vögeln miteinander oder auch überkreuz, und Anna sogar mit einem Stricher. Abends gehen diese Traumtänzer ins Mollie und versinken in Whisky und Gefühlen. "Es ist dann kein Wunder, wenn es bei denen nicht vorangeht. Die zu nichts kommen."
   In Ralf Bönts neuem Roman "Gold", dessen Titel schon klar macht, worauf es ankommt, sind "wir" die Erzähler und die anderen die Erzählten. Ein Glück, daß Bönt diese Sprache entwickelt hat, ein vom ersten Satz an überzeugendes, rhythmisch mitreißendes und im cleveren Pingpong mit dem Leser höchst witziges Instrument; anders wäre eine solche Erzählsituation nicht durchzuhalten. Die Erzähler (wenn hier der grammatische Plural überhaupt paßt, aber mehr dazu später) machen überhaupt kein Hehl daraus, daß sie ihre Figuren ad hoc erfinden ("mal sehen, was wir brauchen"), zugleich aber diese "Handvoll künstlich mißratener Heldinnen und Helden" von Grund auf verachten. Sie grinsen über sie und verleumden sie, schauen ein Quiz im Fernsehen an, während die "Spielpuppen" sich streiten, sie kündigen ihren "verkorksten Figuren" den Rückhalt auf: ""Wir haben ein Programm, wo für solche Leute wenig Platz ist." Ein paar Tage, vom 24. Dezember bis Silvester, dürfen die Geschöpfe, wie zwi-schen Clips und Spots gezappt, durch eine gänsehautgenerierende Weihnachtsgeschichte irren, dann werden sie abgeschossen, nach der "souveränen und konsequenten Entscheidung der Erzähler."
    Die "Wir-Perspektive" findet sich besonders virtuos gehand-habt bei dem Schriftsteller Gert Hofmann ("Unsere Eroberung", "Unsere Vergeßlichkeit"). In seiner Erzählung "Motte" entfaltet das "Wir", im Umgriff amoebenhaft wandelbar, mal eine kleine Gruppe, mal die ganze Stadt umfassend, eine Atmosphäre erdrük-kender Anonymität, die sich nie benennt; es spricht die Gesellschaft, die Mehrheit. Ohne das Bewußtsein individueller Verantwortung hängt die naive Mitläuferschaft aus den Fenstern der Häuser und beobachtet neugierig und ungerührt die Verstrickungen und Tragödien der Außenseiter. Auch Bönts "Wir" spricht aus der Sicherheit der Majorität. Doch gibt es bereitwillig und ausführlich Auskunft über das eigene Befinden, "wir können was, Gott, halten was aus", das Befinden der erfolgreichen Macher, das gar nicht so eindeutig ist, wie man zunächst vermuten möch-te. Da gibt es schon auch Frust und eine Wut, die hat man nachts wie die Tiere, "wir wissen am Ende doch auch nicht wirklich wohin". Dieses Befinden ist die eigentlich tragende Ebene des Romans. Es geht nicht darum, eine Geschichte zu erzählen, sondern ein "stimmiges Bild" zusammenzufügen - "Von uns." Al-lerdings ist es erstaunlich zu sehen, wie die von vornherein und gezielt abgewerteten Kunstprodukte Hans und Anna, Lotte und Doro, dazu noch die "erfundene Traumfrau" Sismene, Tochter des Vorstands - gegen das "wir" ein kräftiges Eigenleben entwik-keln, sie setzen sich durch und bekommen sogar eine zweite Chance: "Teil zwei, beziehungsweise die Rückseite unserer Story mitsamt allen Einzelheiten und der vollständigen Wahrheit ab Seite 69". Ab Seite 69 wird das bisher Erzählte variiert, der Ton ändert sich, die Figuren kommen mehr zu Wort, vor allem scheint sich das "Wir" zu wandeln. Es läßt sich anstecken vom "Rauschen des Daseins", will nun auch Größe und Gefühl, vielleicht sogar ein Kind. Es ändert auch seinen Umgriff - ist jetzt auf einmal wenige, oder nur ein paar Freundinnen, gar nur ein "mir", um dann im dritten Teil das abschließende Räsonieren über Gott und Gold beiläufigzweideutig zu beenden: "Daß wir nicht lachen."
  Ralf Bönt, der schon mit seinem ersten Roman "Icks" viel Auf-merksamkeit erregt hat, erhielt für einen Zusammenschnitt aus "Gold" 1998 in Klagenfurt das 3-sat-Stipendium. Zu Recht. Er hat aus dem Blick- und Bielefeld von "Icks" einen endgültigen und souveränen Schritt nach Berlin getan, wohin zwar gerade alle gehen, aber was soll´s. "Berlin in jedem Fall ist die Party." Seine Sprache hat sich sehr originell weiterentwickelt, er poliert die Wörter ("Kosungen") gegen den Strich und mischt die Stilebenen nach Belieben, aber nicht beliebig. Das Icks-Ich hat sich in sich selbst gespiegelt, die Gold-Helden spiegeln sich im "Wir" (dem man auch die Eltern zurechnen kann) und entblößen dabei - das ist der Effekt - ihre Erzähler und Erzeuger. Das Thema Eltern, in "Icks" beherrschend, wird hier knapp, klar und mit makabrer Komik abgehakt. Nach einem mißratenen Weihnachtsabend zerschellt das Flugzeug, die Eltern sind tot.
   Man wird Bönts Romanpersonal nun wieder, wie bei "Icks", nach Generationenschablonen sortieren wollen. "Gold" braucht aber keine Generationalisierung. Hier wird die "kollektive Men-talität" (Bönt) beobachtet beim Beobachten der Suchbewegungen der Außenseiter, der Verstrickten - das hat allgemeine Gültig-keit und einen Hauch von Klassik.

Eva Leipprand
 






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