Max Bläulich

Karl Ignaz Henntmair über Thomas Bernhard

Biographie; Sach; Kunst. Tartin Editionen, Salzburg. 96 Seiten. ISBN: 3-902163-09-7

Von der Wahrheitssuche zur Thesis. Der „Realitätenvermittler“ Thomas Bernhards, Karl Ignaz Hennetmair, meldet sich zurück. Seit dem Tod des Meisters nimmt er seinen Vermittlungs- Auftrag gewaltig ernst
Max  Bläulich: Karl Ignaz Henntmair über Thomas Bernhard

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In Deutschland geliebt, daheim gehasst. So sieht der faktische wie selbst-benannte „Realitätenvermittler“ Karl Ignaz Hennetmair, ehemals Freund von Thomas Bernhard, sich selbst. „Projektiv“, mag der Germanist, der seine Platzierung im literaturwissenschaftlichen Umfeld kennt, denken. Denn fast reduziert zum de facto-„Realitätenvermittler“ ist der Makler der Bernhardschen Häuser in die Geschichte, die nur überlieferte Realität, eingegangen. Er nahm dann die Bedeutungserweiterung des Begriffs, den der Dichterfreund ihm zuvor für Selbstdarstellungszwecke abgeluchst hatte, für seine eigenen zurück, so scheint es. Eine andere Möglichkeit ist, dass Bernhard ihm einen Spielball geschickt zugespielte und hinter der Verbindung ein außergewöhnliches gegenseitiges Verstehen steckt.

Vertraut und verletzt

Hennetmair war ein besonderer Vertrauter Bernhards. Das geht aus seinem in Österreich oft belächelten, in Deutschland hochgelobten „versiegelten Tagebuch“ über die gemeinsam verbrachte Zeit um 1972 hervor und drängt sich auf, lässt man sich auf ihn ein. Kein alter Herr, der sich als Auserwählter wähnt, vielmehr derjenige, zu dem Bernhard flüchtete, mit dem er täglich Stunden verbrachte, von dem er sich etwas sagen ließ. Neben all den Abkömmlingen der High Society um sich herum fand er in Hennetmair einen blitzgescheiten Menschenkenner, dessen Rat er suchte.

Letztes Jahr ist ein hübsches Interview von Max Bläulich mit Hennetmair erschienen. Bläulich stellt all die Fragen, die dem Leser des „versiegelten Tagebuchs“ geblieben sind. So auch die nach der Entzweiung der beiden. Laut Hennetmair beruht sie auf einer Verleumdung seiner selbst, wobei er Bernhard in der Vergangenheit gesagt habe, dass er mit ihm brechen würde, falls er selbst einmal zu den Beleidigten gehören würde – der Misanthrop hatte sich im Verletzen anderer Menschen bekanntlich nie ein Blatt vor den Mund genommen. Vielleicht ist es ein Bernhardscher Test gewesen und später Hennetmairs Wille konsequentes Verhalten zu zeigen, jedenfalls verzieh er Bernhard auch nach Jahren nicht, als der Taufpate seines Jüngsten mit der Erzählung „Ja“ wieder aufkreuzte. Sie ist eine Reminiszenz an den Freund und gilt als sein erstes autobiografisches Prosawerk.

Projektionen

Trotzdem „projektiv“, die Selbstbezeichnung zu wagen? Weil Bernhard sich spätestens für sein Hauptwerk, die „Auslöschung“, die Bezeichnung schnappte und in „Ja“ Realitäten nur als Immobilien Angelegenheit der Figur „Moritz“, sie ist dem echten Makler zugedacht, sein ließ? Man muss genauer lesen, um zu erkennen, dass Bernhard die Rollen nicht simpel verteilte. Er wusste von den Briefwechseln von Peymann bis Suhrkamp, Notizen und Aufzeichnungen, die Hennetmair von ihm besaß. Alles unverfremdete Realien, und, wie man bei Bläulich lesen kann, hatte Bernhard gar die Autorisierung der Hennetmairschen Sammlung angeboten und gibt es bis dato nicht transkribierte Tonbandaufnahmen. Der Dichter hatte den Makler zum Realitätenvermittler in einem zweiten Sinn gemacht.

Von „Moritz“ heißt es, dass er derjenige gewesen sei, mit dem er alles besprechen konnte. Eine Auszeichnung also, der „Realitätenvermittler“ ist mit Bedeutung bereichtert und auf Hennetmair zurückprojiziert worden. „Germanistenarbeit“ sagt Hennetmair abweichend, fragt man Punktgenaues nach, „für die Nachwelt“. Im Interview mit mir berichtet er abschweifend und assoziativ über die gemeinsame Zeit vor und nach 1972, exponiert dabei Unklarheit aber oft gewollt. Man ahnt, dass Hennetmair Schriftliches hinterlässt und erhält ein vielsagendes Schweigen auf die Frage danach.

Marginalisiert

In Österreich wird er marginalisiert, eine Folge des Ausschlusses aus der Bernhard-Society. Mit dem eigentlichen Grund darüber hält er indessen nicht still. Hin und wieder beschuldigt er den Halbbruder Bernhards, Peter Fabjan, Arzt und Begründer der internationalen Bernhard-Gesellschaft, dem schwierigen Geschwister das Sterben erleichtert zu haben. Dabei mag er Schlimmeres denken, als das, was die interessierte Öffentlichkeit ohnehin schon weiß. Siehe Zusammenhänge und Andeutungen in der wissenschaftlichen Literatur.

Wenn man etwa in der Bernhard-Biographie von Joachim Hoell innerhalb eines Absatzes liest, dass Fabjan sagt, er hätte getan, was jeder Arzt in so einer Situation getan hätte – Bernhard wäre bald am Ersticken gewesen, wird aus dem Kontext deutlich – weiter, dass der Patient, der gar nicht herzkrank war, am nächsten Tag in der Frühe einem Herzleiden erlag, ja dann reimt man sich zusammen.

Der Feinfühlige mag denken: Aha, hier ist die vorsichtige Formulierung angebracht. Die Nachwelt determiniert Gewichtigkeit bzw. das Maß der notwendigen Nivellierung durch den Ton. Warum Hennetmair sich damit nicht zufrieden geben kann und nicht auslässt, was in einer Euthanasie-Debatte ethisch zu diskutieren wäre, statt germanistisch, bleibt ebenso verschwiegen. Er selbst erhält gar er keine Antwort, kein Dementi, nur Ignoranz. Auch auf die Frage, wie viele Wochen, Tage oder Stunden Bernhard noch gehabt hätte, findet man keine Antwort.

Tatsache und Reim

Doch da ist noch etwas anderes. Es drängt sich der Verdacht auf, als meine der Vermittler sich im Auftrag seines Meisters voranzutasten. Im Sinne der Realitätenvermittler dürfte das aber wohl nur mit klarer Sprache, direkt möglich sein, auch provokant, in einer Gesellschaft, die zu Lebzeiten umbringt und den ungefährlichen Toten glorifiziert. Nicht wundern darf er sich daher über den Ausschluss.

Und anderes reimt er sich zusammen. Oder es klingt wie ein Reim, wie ein realistischer obendrein. Geht es nach Hennetmair, war der als Freitod getarnte letzte Moment aus dritter Hand der handfeste Plan Bernhards, am Todestag seines geliebten Großvaters zu sterben. Weiter noch: Er wittert einen Racheakt am Halbbruder. Sich nämlich so eine verhängnisvolle Aufgabe aufbürden zu lassen, das haftet, meint er, und damit wusste und plante Bernhard, glaubt er.

Ob eine Wahrheit für die Nachwelt Relevanz hat, kommt auf den gesellschaftlichen Streitgehalt an. Und zuvor kommt es noch auf das an, was eine mächtigere Instanz an der Öffentlichkeit zulässt. Etwas stößt jetzt dem Germanisten auf, der weiß, wie wichtig sein Großvater Johannes Freumbichler für Bernhard gewesen ist. Seine Sterbestunde soll auf den vierzigsten Todestag des alten Herrn datiert worden sein. Verdächtig? Nicht ohne Weiteres.

Irrelevant?

Angenommen, es ist so gewesen: Käme der zweite „Realist“ als verschworener Anwalt des ersten durch? Eher nicht, denn jetzt tritt die Irrelevanz dazwischen. Der Arzt, das muss man mutmaßen, wusste was er tut. Bleibt man hier nun stehen, hätte Hennetmair seinen „Realitätenvermittler“ also verspielt: Sterbehilfe wäre nicht germanistisch relevant.

Und jetzt bräuchte der Germanist Material wie Gründe, um mehr sagen zu können. Beides sucht er. Es ist aber nicht wie in der Literatur, sondern wie im Kriminalfall. Es ginge um Zeugen und Beweise. Und Bernhard wirft ihm sein Paket vor die Füße, doch nur ihm, dem Germanisten, und leider in der ungeliebten Rolle des Auslegers. Also wirft er es nur vielleicht vor die Füße. In „Ja“ zum Beispiel. Da nämlich steht so leicht, was sich als Vermächtnis an Hennetmair zusammen reimen lässt. Die Protagonistin, um welche die Erzählung sich neben dem Autor-Ich Bernhard dreht, eine Perserin, vermittelt durch Moritz, bringt sich am Geburtstag des Autors – auf genau eine Woche nach dem realen Todestag des Großvaters datiert – um. Tatsächlich hatten Bernhard und die Perserin Gespräche über den Freitod geführt. Später wählte sie ihn.

„Blödsinn“, schallt aus allen Ecken, wo die Indizien fehlen und wo etwas geschützt werden soll. Was wiegt, ist die Tatsache, dass es schützenswert zu sein scheint. Neben dem Faktum, dass Hennetmair als Realitätenvermittler auszulassen ein schwerer Fehler der Bernhard-Forschung wäre. Marietta Böning






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