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Es war einmal, vor gar nicht allzu langer Zeit, da machte sich im Reich
der deutschen Literatur die Spezies der Popliteraten breit. Die Herren
Kracht, Stuckrad-Barre & Co. setzten auf die gut verträgliche
Leichtigkeit des Designs, auf Form, Fassade und Selbstbespiegelung. Viele
waren begeistert von den leicht snobistisch und dandyesk daherkommenden
Autoren und ihrer zeitgeistigen Aura; andere warfen ihnen Affirmation
und Moralverlust vor und beschimpften ihre Werke als "Schlappschwanzliteratur"
(Maxim Biller).
Ganz vorn in der Riege der Pop-Protagonisten: Joachim Bessing, Jahrgang 1971, der mit seiner Anthologie "Tristesse royale" eine Art popliterarisches Manifest schuf. Jetzt hat Bessing mit "Wir Maschine" seinen ersten Roman veröffentlicht. Thema: Das Leben der Schönen und Reichen im Hamburger und Münchner Werber- und Medien-Milieu. Doch siehe da: Bessing beschränkt sich nicht auf die schöngeistige Abschilderung der Schicki-Welt, sondern blickt über den selbstgenügsamen Popliteraten-Tellerrand hinaus - und zwar ganz schön weit.
Schon das Motto des Romans zielt weniger auf Äußerlichkeiten als auf Innenschau: "In every Dream home a Heartache". Einen Traum hat auch die Hauptfigur von "Wir Maschine": Gumbo, Mitte zwanzig und Quereinsteiger bei der Hamburger Werbefirma Wildcard, will ganz nach oben. Seine Kollegin Barbara hat ihm zwar den Weg geebnet, doch bis zur Stufe seines Chefs Francis ist es noch ein weiter Weg was Gumbo durchaus Herzschmerzen bereitet: "Er hält doch schon so lange durch. Davor kann er auf keinen Fall aufgeben. Bis dahin muss er weiter mitmachen. Dafür ist er schon zu weit gegangen."
Wie Gumbo sind auch Barbara, Francis und der alternde Werbetexter Alfred Teil dieser "Wir Maschine": befallen vom Karrierevirus, gezwungen, sich anzupassen, einander zu überbieten und auszustechen - sonst sind sie draußen. Das Durchschauen dieser Situation macht es nur noch schlimmer: "Wir alle sind Verbrecher, wir spielen das Spiel. Unser Spiel", weiß Alfred, der einst den "Weißen Riesen" erfand. Doch weil Alfred "zu klug ist, um von sich selbst begeistert zu sein", bricht er regelmäßig zusammen und wimmert dann "wie ein todesbedrohtes Tier".
In filmskriptartigen Szenen präsentiert Bessing seine Ausschnitte aus dem Leben dieser ebenso hippen wie abgefuckt-verzweifelten Medien-Elite: kühl und exakt gezeichnete Impressionen vom Gefangensein im Angstsystem. Sei es das quasiintellektuelle Wortgedresche über Katalogfotos für Jil Sander, der Szene-Smalltalk über In-Restaurants und Promi-Gestalten oder der stets mitlaufende Koks Konsum - die schöne neue Werbewelt gleicht einem unsichtbaren Kerker, dessen Insassen auf einem gemeinsamen Nenner operieren: der Angst.
So wünscht sich Gumbo, genauso tough wie Barbara zu sein - und träumt davon, Francis, den guruartigen Firmen-Tyrann, der "sich aus dem Kraftfeld der Angst, die er erzeugt, nährt", fertig zu machen: "Bis zum Anschlag" würde er ihm Reißnadeln unter seine Fingernägel hämmern. Aber auch Francis kennt die Angst, die "alles bestimmende Furcht vor dem Urteil Nie wieder; dem Ende von allem" - denn: "Wer nimmt ihn dann auf? Wer ist dann für ihn da?"
So versuchen alle, die Zwänge locker zu nehmen, das Spiel cool zu spielen und die Formen und Zeichen, die Oberflächen und Fassaden richtig zu interpretieren. Das führt mitunter zu absurden Situationen, etwa wenn Gumbo rätselt, was Barbaras Wollpullover wohl zu bedeuten habe: "Dieses dicke Zopfmuster; dieser Kragen meint sie das ironisch? Oder will sie Verletzlichkeit demonstrieren? Kuschelbedürfnis? Und warum dieses Cremeweiß?"
Dass die Handlung stets im Präsens gehalten ist, macht die Ausweglosigkeit der Charaktere umso eindringlicher. Gebrochen werden diese kühlen und unmittelbaren Beobachtungen jedoch immer wieder von hoch poetischen Passagen, in denen sich die Ängste und Albträume der Wir-Maschinisten artikulieren. Mitunter driftet das auch ins Surreale, was dem Geschehen eine gruselige Unterströmung verleiht. Nur selten, wirken diese Visionen etwas gezwungen, etwa wenn ein skurriler Theatermonolog eine apokalyptische Vision verkündet, der zu Folge Hamburg von anarchistischen Sprengmeistern beherrscht wird.
Derartig Utopisches hängst auch zusammen mit einer - zumal aus popliterarischer Sicht - eigenartig direkten Sozialkritik. So denkt Gumbo angesichts der Junkie-Szene am Hamburger Hauptbahnhof: "Etwas läuft sehr schief in dieser Stadt, diesem Land, dem System." Und sein Revoluzzer-Kollege Bernd weiß, wie diese Schieflage zu lösen wäre: "Ein Feuer muss her unter den Arsch dieser Welt."
Auch wenn das, vor
allem gegen Ende, etwas gekünstelt wirkt, ist Bessing mit "Wir
Maschine" eine plausible Gegenwartsbeschreibung des verzweifelt fassadengläubigen
Turbo-Lifestyles geglückt. Zusammen mit der Inspektion der isolierten
Innenwelten der Charaktere summiert sich das zu einer exakt observierten
Milieustudie: die Sezierung eines selbstregulativen Gruppenzwangsystems,
in dem alle Beteiligten fürchten, "dass es einer ausspricht,
dass alles so lächerlich ist und so klein".
Eben dieses Lächerliche und Kleine aber spricht Popliterat Bessing
mit seinem Roman aus: Hier wird nicht selbstgefälliges über
die eigene Weltsicht geschwurbelt, stattdessen beobachtet - und kritisiert
- Bessing kühl und präzise ein ebenso glamouröses wie gruseliges
Gesellschaftssegment. Das ist eher Aufklärung als Affirmation - aber
auch eine Art von Tristesse royale.
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