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Nein, es war in Wirklichkeit alles ganz anders. Die Wiedervereinigung fand zwar statt, aber sie hielt nicht lange, dann kam er zurück, Erich Honecker, auferstanden und verjüngt, aus Chile, landete auf dem Flughafen Tegel und gab den Startschuß zur Restauration der DDR. So und nicht anders hat sich alles zugetragen, wenn man Thorsten Becker und seinem neuen Roman Schönes Deutschland glauben will. Das Regime hat aus den alten Fehlern gelernt; Stolpe und Biedenkopf sitzen jetzt auf der Regierungsbank zusammen mit Gysi und Sarah Wagenknecht, die Mauer bleibt unsichtbar. Und vor allem: das Westfernsehen wird diesmal selbst gemacht, in Babelsberg. Westberlin ist selbstverständlich integriert, und Honecker lädt die alten Bundesländer freundlich ein, sich anzuschließen.
Ein Berliner Witz ist mehr wert als eine schöne Gegend. Mit diesem Hegel-Wort stimmt Becker den Leser ein auf die zweite, die Große Wende, die natürlich an einem 9. November stattfindet. Der Ich-Erzähler ist ein junger Schauspieler am Brechttheater, dem Berliner Ensemble. Sobald er von der neuen Situation erfährt, gibt er sich recht ungeschminkt als Opportunist zu erkennen. Die Freundin, Kerstin, die der verflossenen DDR so manche nostalgische Träne nachgeweint hat, weiß als Ossi-Frau ganz genau, was bei deren Wiederherstellung zu erwarten ist, und packt ihre Koffer, so schnell sie kann. Der Erzähler teilt Kerstins Ängste nicht, er hat vom Westen die Herkunft und vom Osten die Argumente, er will, bei aller Liebe, auf der Seite der Sieger bleiben und wirft sich in den Freudentaumel der Konterkonterrevolution bis zum Vollrausch; am Theater winken Traumrollen, Brechtfiguren, wie früher heroisch und groß. Irgendwann zieht es den Erzähler dann doch zu seiner Kerstin; er provoziert Honecker mit einer saarländisch-sächselnden Arturo-Ui-Parodie und flieht über die unsichtbare Mauer in den Westen. Dort allerdings stellt er fest, daß man von der Wiederherstellung der DDR gar nichts weiß. Das West-Bewußtsein kennt ein seit dem 17. Juni 1953 schönes und einiges Deutschland, die ganze DDR-Story war nichts als eine jahrzehntelange Fernsehserie, so lebensecht gestaltet allerdings, daß der eine oder andere Dauerfernseher sie für bare Münze nahm. Solche Wahrnehmungsgestörten werden in einer eigenen Klinik behandelt, wo der Erzähler endlich seine Kerstin wiederfindet. Am Ende flieht das Pärchen in James-Bond-Manier mit dem Hubschrauber des Kochrezepte referierenden Bundeskanzlers.
Thorsten Becker hat seinen Roman Schönes Deutschland aus den gleichen Elementen gebaut, die seiner ersten Erzählung Die Bürgschaft zu Lob und Preis verholfen haben: da ist das deutsch-deutsche Thema, Berlin mit seinen unzähligen Kneipen, das Theatermilieu, aus dem Becker selber stammt, der gezielt spröde Intellektuellenstil, die literarischen Bezüge. Was in der Bürgschaft Schiller, das ist hier Brecht, hin und her gewendet je nach politischem Bedarf und ergiebiger Fundus für Seitenhiebe aller Art. Die Statuen der alten DDR-Ikonen Bert Brecht und Johannes R. Becher, in bestimmten Augenblicken des Redens mächtig, haben reichlich Zynismen vorrätig - Brecht über die Frauen, Becher über Brecht. Überhaupt wimmelt das Buch von parodistischen Anspielungen. Die Querelen am Berliner Ensemble nach der Wende sind, nur leicht verschlüsselt, ins Groteske aufgeblasen, im Direktor Fritz Meier ist unschwer Heiner Müller (nicht zu seinem Vorteil) zu erkennen. Wolf Biermann und Udo Lindenberg singen, von den Massen umjubelt, bei Honeckers erneuter Inthronisation - kleine Gemeinheiten am Rande. Honecker hält, sage und schreibe, eine erregende Rede! Die Menschen liegen sich weinend in den Armen: Endlich sind wir wieder das Volk. Dies wird vor allem diejenigen satierisch amüsieren, die die Verhältnisse kennen. Aber, wie das öfter passiert, wenn einer Witze erzählt - der Funke springt nicht immer über. Bei der Bürgschaft konnte sich Beckers Witz noch an der realen Situation reiben und entzünden. Dieser Roman ist nun so abgehoben, daß die Geschichte sich streckenweise in intelligentem Klamauk erschöpft.
Dabei ist der Einfall bestechend - die DDR wieder etabliert, der Westen reagiert mit Verdrängung, einer macht vom andern seine Fernsehserien und perfektioniert die Geschichtslügen, so lange, bis keiner mehr weiß, was echt ist und was nicht. Die deutsche Teilung als Seifenopernkonkurrenz, das Theater als Spiegel der Welt die zentrale Metapher, der Schauspieler, der so viele Rollen spielt, daß er zum Schluß nicht mehr weiß, wer er ist. Das führt allerdings auch dazu, daß er keinen Fluchtpunkt mehr für seine Geschichte findet. Paßt ihm nun das neue Regime oder nicht? Warum haut er eigentlich ab? Und was soll die Mauer um eine DDR, in der Biedenkopf mitmischen darf? Auch das Komische braucht klare Koordinaten, damit es sich entfalten kann.
Vom Ende des Romans gesehen wirkt der Anfang aufgesetzt. Der Erzähler, so die Fiktion, schreibt seine Geschichte als Greis in der Mitte des nächsten Jahrhunderts nieder, nach dem Dritten Weltkrieg, als Mexiko die USA als Großmacht abgelöst hat. Nach altbackener Chronistentradition begründet er sein Vorhaben: er wolle das Bild der sogenannten Romantischen Schule vom schönen wiedervereinigten Deutschland zurechtrücken. Als ob zu einer Zeit, da die Grenze zwischen China und Brasilien durch überwiegend von Deutschen bewohnte Gebiete führt, sich noch irgendeiner für solche Fragen interessieren würde! Die Chronistenparodie ist gut gemacht, aber sie bringt keinen Gewinn, weder für das schöne Deutschland noch für den Berliner Witz.
Eva Leipprand
(Rezension erschienen in: Süddeutsche Zeitung)
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