Iain Banks

Die Auserwählte

Roman. Goldmann, 476 Seiten. ISBN: 3442435277

Autorenporträt
Iain  Banks: Die Auserwählte

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Die Engländer haben keinen Fall Grass/Reich-Ranicki, sie hatten keine Beat-Poeten, keine Studentenrevolte. So wie alle Nationen des Abendlandes haben auch die Engländer eine Krise der Literatur, halten sie Ausschau nach einem neuen man of letters, dem neuen George Orwell, Anthony Burgess oder Graham Greene.

Und weil der Zustand, speziell aus der Warte des wie ein Königshaus organisierten Literaturestablishments so armselig aussieht, feiern die Briten Talente alljährlich mit dem Booker Prize und anderen Pokalen. Die erleichtern es den PR-Managern und Agenten im Betrieb, immerhin eine Schar Augapfelautoren weltweit zu verschachern. Wer keine Preise kriegt, das ist ganz klar, dessen Schaffen wird außerhalb des zerfallenden Königsreiches kaum wahrgenommen.

Krise hin, Hype her - trotzdem sind alljärlich die Buchhandlungen zwischen Glasgow und Brighton, Dublin und London bis zum Schaufenster mit Menschen gefüllt. Und zwar immer dann, wenn Iain Banks aus seinem jüngsten Roman vorliest und danach fleißig signiert, oder wenn er, im peniblen Zweijahresrhythmus als Iain M. Banks einen seiner Science-Fiction-Romane vorstellt. Zu den Lesungen erscheint meistens eine Ansammlung Briten, die ebenso verwirrend wie beliebig aussah: New-Age-Traveller mit Haaren wie Rattenschwänzen, ein Banker mit Handy und Begleiterin in Büro-Uniform, daneben eine Blauhaarige mit einem Dutzend Ringe in Nase und Augenbraue... “Und wer ist das, dieser Iain Banks?” fragt eine ältere Dame. “England’s only rock’n’roll writer”, so die Antwort wieder dieser Tage, wo er aus The Business liest. “Der fünft-wichtigste Autor nach Shakespeare, Austen, Orwell und Dickens”, wie eine Umfrage der BBC-Website jüngst ‘bewies’ (woraufhin sich die Schar sf-Fans wonnevoll einen ins vom vielen Tippen und Tippen wunde Fäustchen lachte...).

Martin Amis, Julian Barnes und Will Self können schreiben, sie verstehen es, sich in parfümierten Zeitgeistschriften in wenigen Absätzen genauso kongenial zu inszenieren wie in den Feuilletons der wuchtigen wie autoritären Tagespresse, wo sie mal Rolling-Stones-Konzerte, dann einander rezensieren; und sich in Nebensätzen gegenseitig auf die Schultern klopfen. Oder den Vorschuss von £500.000 für Amis’ Information(ISBN: 3-596-14048-X) verteidigen. Der Nachwuchs muss nicht gefördert werden, reanimieren sollte man vor allem Sparbücher - Hauptsache, die Party geht weiter.

Abseits davon aber, im hohen Norden, im schottischen Fife, sitzt, wenn er nicht gerade in Buchhandlungen liest und signiert, Iain Menzies Banks. Ein Autor, dessen oft mit Genres jonglierenden Romane regelmäßig Bestsellerlisten anführen. Über diesen Autor spricht man nicht nur, man liest ihn auch - wie jeder Londonbesucher in der U-Bahn, beim Zahnarzt und in der WG von Freunden immer wieder feststellt. Unter dem Namen Iain M. Banks legt er seit 1987 Science-Fiction-Romane vor, darunter auch den Kultur-Zyklus, Kennern zufolge die erste politisch linksaußen angesiedelte Space Opera. Das beeindruckte selbst Cyberpunk-Papst William Gibson: “Ein Phänomen: Der wahnsinnig erfolgreiche, auf mutigste Weise kreative Autor brillanter und bewegender Romane...”

Vierzehnjährig versuchte sich Iain Banks an seinem ersten Roman. “Mit sechzehn schrieb ich The Hungarian Lift-Jet. Das hatte dann auch die richtige Anzahl Wörter, war voller Sex und Gewalt. Von beidem hatte ich keine Ahnung. Ein Lift-Jet ist ein Flugzeug mit einem zusätzlichen Motor für senkrechtes Starten und Landen; es war alles sehr technisch, weshalb ich dafür viel recherchierte - alles ziemlich lächerlich. Es wimmelte nur so vor Spionen und Agenten, eben ausnahmslos Sachen, über die ich nichts wusste. Das machte vermutlich den halben Reiz des Schreibens aus.” Vier weitere Romane folgten, bis er 26-jährig Die Wespenfabrik (ISBN: 3-453-12438-3) fertigstellte. Vier Jahre wanderte das Manuskript von Verleger zu Verleger, 1984 schließlich in die Briefkästen der Rezensenten.

Die Wespenfabrik hob die Literatenbohème der Fleet Street aus den Angeln. “Widerwärtig, eklig, unvergleichbar geschmacklos” der Tenor der einen, “originell, kontrolliert und versiert” der der anderen Seite; “man kann ja nicht lachen und sich gleichzeitig übergeben [...] Empfehlen würde ich es nicht” die wirre Kakophonie Dritter. Seither hat Iain Banks siebzehn Romane vorgelegt, acht davon als Iain M. Banks.

Im Gegensatz zu zeitgenössischen Kollegen schreibt Iain Banks nicht über Schreiber, die übers Schreiben schreiben. Seine Charaktere unterscheiden sich oft kaum von seinen Lesern - New-Age-Kinder, Rockmusiker im Ruhestand, in Die Auserwählte (ISBN: 3-442-43527-7) Sektenmitglieder, Cellistinnen, Gonzo-Journalisten. Sie hören und kennen Popkultur, kommentieren Thatcher und Clinton, Umweltverschmutzung und Inzest. Was die Charaktere von Banks’ Lesern (und ebenso zahlreichen Leserinnen) unterscheidet, ist das, was ihnen zustößt, was sie anderen antun: Der kleine kitzelnde Wahnsinn wird zu Horror, finster und abstrus, unvorstellbar und, am wichtigsten, witzig. Straße der Krähen (ISBN: 3-442-08139-4) setzt mit dem Tag ein, an dem die Großmutter explodiert, der Rock’n’Roll-Roman Rock’n’Roll-Roman Espedair Street (ISBN: 0-349-10214-7) mit dem Entschluss des Protagonisten, sich umzubringen. Sein erster von Goldmann verlegter, siebter Roman, Verschworen (ISBN: 3-442-42931-5), startet in der 2. Person Präsens: “Nach anderthalb Stunden hörst du den Wagen.”

Meta-Ebenen und postmoderne Referenzen, sogenannte Tiefe? Nicht sein Ding. Dann doch lieber die Wut und der Hass, die jeder nach Tschernobyl Aufgewachsene kennt, die Liebe zu Pop und Kommunismus. Iain Banks kann von sich nicht, wie Martin Amis, behaupten, das Talent des Schriftstellers müsse ihm wohl in die Wiege gelegt worden sein. Und noch etwas kann er nicht, der 1954 als Sohn eines Angestellten und einer Eiskunstläuferin Geborene: Dasselbe Buch zweimal schreiben. So schockend laut Die Wespenfabrik, so gewagt sind die drei parallel erzählten Geschichten in Barfuß über Glas, so kafkaesk und verstärkt surrealistisch Die Brücke (ISBN: 3-453-13059-6), so ausgeklinkt und wahnwitzig der Rock’n’Roll-Roman Espedair Street, sachte und politisch ambitioniert wiederum Träume vom Kanal (ISBN: 3-453-12647-5), so vielschichtig Straße der Krähen (ISBN: 3-442-08139-4), so brutal der Thriller Verschworen.

Schöngeistig? Eher selten. Unberechenbar? Immer. Happening? Da lächelt die Schar derer nur, die gestern wieder - sein jüngster Roman The Business erscheint dieser Tage auf Englisch - in einer Buchhandlung irgendwo im UK erschienen ist.

© Matthias Penzel, 1999. Original erschien dieser Artikel in der Frankfurter Rundschau am 31. Oktober 1995






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