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Martin von Arndt

Lemuren - Arbeiten fuer das Theater

Theater. Rote Limmat, ISBN: 3-898-11667-0

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Es gibt Autoren - und in dieser Zeit, die ihre Selbstbestätigung hauptsächlich in den Bereichen der Vision des Individuellen sucht, gibt es sie immer öfter -, die nie erwachsen werden wollen oder können. Die lauthals ihre Verwundertheit und ihre Wundheit darüber, daß die Welt existiert und offenbar jenseits aller Dogmatik und Vereinfachung nicht zu begreifen ist, in den Zuschauerraum werfen, wie ein spielendes Kind seinen Ball in einen Abgrund. Sie glauben, die Abgründigkeit des Daseins erkannt zu haben, seine Bodenlosigkeit und bemühen sich daher mit kindlichem Eifer, ihn den Zuschauern ebenfalls zu entziehen. Sie kokettieren mit ihrem halbvollen Wissen und ihrem halbleerem Verstehen und behaupten dies auch für die Welt. Und die Welt hört sich diese Halbwahrheiten gerne an und fällt, nach gewisser Eingewöhnungszeit, gerne halbherzig in den Abgrund.

Nicht immer ist es das am modernsten scheinende Theater, das dem Menschen in der Form des Spiels am eindringlichsten sein Spiegelbild zeigt. Und wenn das Theater nun auch noch den Wunsch hegen sollte, wie einst Alice durch den Spiegel hindurchzuschlüpfen, in einen anderen, einen ganz anderen, aber doch einen vollständigen Raum hinter den Spiegeln und ihren Scherben, dann kann es sich nicht damit zufriedengeben, nur einen Abgrund aufzuzeigen. Und wenn der Spiegel nun gar die Zeit, die gespielte Zeit, aber auch die Zeit, in der der Mensch Erfahrung machen durfte mit dem Spiel, dem Theater, sein sollte, dann bedarf es schon eines Ahasverus, eines ´ewigen Juden´, ´ewigen Wanderers´, um die postmoderne Konstatierung des Zustands ´nach der Orgie´ auf ihren ihr gebührenden Platz zu verweisen. Einer, der durch die Zeiten reist, und dabei nichts vergessen kann, entwirft schon durch sein Dasein eine ´Gegenzeit´. Als Figur muß er sich jedes persönlichen Pathos entledigen, um für sich glaubhaft zu werden. Wie entledigt man sich aber am besten des Pathos? Durch das Absurde, das Groteske, das Kreatürliche. Und durch äußerste Präzision im Umgang mit der Geschichte und dem Vergessen. Eine Präzision, die Martin von Arndts Bühnenarbeiten kongenial aufzubieten haben.

Die sieben Theaterstücke Von Arndts, die nun in Lemuren zum ersten Mal in einem Werk vorliegen, zeichnen sich nicht nur durch ihre großen gestalterischen Möglichkeiten und ihren immensen sprachlichen Reichtum aus, der das Buch auch als Buch zu einem reinen Lesevergnügen macht; sondern - und wie selten ist dies in der heutigen Theaterlandschaft geworden! - beziehen auf geradezu erschreckend intelligente Weise die Gegenwart mit ein, ohne das durch die Bühne vermittelte Wissen von den Raumzeiten der Vergangenheit vernachlässigen zu müssen.

Gängige Ideologien, darunter v.a. das neoliberale Gespenst, das seit dem Untergang der Ostregimes in Allmachtsphantasien tost, werden auf brutale Weise entlarvt. Und mit ihnen die Gegenpositionen von Skeptizismus, l´art pour l´art oder Verweigerung im Rausch, die chirurgisch genau in ihrer Ausweglosigkeit und ihrem hohlen Pathos diagnostiziert werden. Der angesprochene Mensch, Leser oder Zuschauer, wird dabei von Von Arndt nie allein gelassen. In äußerster Präzision im Umgang mit der Geschichte und dem Vergessen gewinnen seine Stücke ihre Kraft aus der ´tiefen Zärtlichkeit des Absurden. Des Grotesken.

Arthur Schmitt, Aaron Lilienhoff