carpe librum - Karin Alvtegen: Die Flüchtige -- Bücher - Schmöker

Karin Alvtegen

Die Flüchtige

Roman. Wunderlich, Reinbek. 39.90 DM . ISBN: 3-805-20698-4

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Eine Frau ist ausgestiegen: Im Obdachlosen-Milieu von Stockholm kommt sie freudlos, aber gewitzt über die Runden - bis sie unter Mordverdacht gerät.

Literarische Kriminalfälle in ein psychologisches und soziales Geflecht zu spannen, in dem sich die Suche nach dem Mörder oft verheddert, in dem es häufig erst andere Knoten aufzutrennen gilt, ehe das Rätsel um Tat und Täter gelöst wird, ist ein Markenzeichen schwedischer Krimis. Spätestens seit Henning Mankells Geschichten um Kurt Wallander gilt: Hier wird gegrübelt, nicht geballert. Karin Alvtegen ist von der schwedischen Presse mit Mankell verglichen worden - gerade auch wegen ihres neuen Romans "Die Flüchtige". Auch der ist eher eine Seelen erkundende Fallstudie denn eine klassische Kriminalstory, in der das Gute das Böse zur Strecke bringt.

Es ist Sibylla Forsenström, die Karin Alvtegen abhört und durchleuchtet. Eine clevere 32-jährige Obdachlose, die sich schick gekleidet in Stockholmer Hotelrestaurants setzt und Männern den Kopf verdreht, die ihr prompt das Essen und eine Übernachtung spendieren; die im Brustbeutel Geld spart für ein kleines Häuschen, in das sie sich später einmal zurückziehen will. Doch dann wird einer ihrer Gönner ermordet - der Verdacht fällt auf sie.

Auf einmal ist sie nicht mehr Herrin der Lage - und das schmerzt sie wie eine aufreißende alte Wunde. Sie war ja gerade ins Obdachlosenmilieu abgetaucht, um in ihrem Leben das Heft in die Hand zu bekommen. Sie war ja eben dem scheinheiligen Leben in gutem schwedischem Hause entflohen, weil ständig andere für sie entschieden: In Rückblenden erzählt der Roman, wie ihr teilnahmsloser Vater und ihre hartherzige Mutter ihr den - zu allem Unglück treulosen - Freund verbieten und ihr Baby wegnehmen. Fast hätte sie das in den Wahnsinn getrieben - doch dann floh sie in ein hartes, einsames Leben. Doch nur sie wählte und bestimmte es. Und nichts anderes zählte.

Doch nun gerät die Lage außer Kontrolle. Und Sibylla kämpft den alten Kampf noch einmal - dieses Mal sind ein verrückter Mörder, der seine Existenz mit Bibelzitaten verschlüsselt, und die Polizei ihre Gegner. Geschickt zieht Karin Alvtegen ihre Leser in einen Sog aus alten und neuen Enttäuschungen, die sie parallel schaltet: Die Gegenwart wird für die Heldin immer bedrohlicher, die Erinnerung immer bitterer.

Doch so fein das konstruiert ist - psychologisch spannend wirkt es kaum. Eher breitet sich eine Art esoterischer Langeweile aus, weil sich Autorin und Protagonistin mit Gewalt an ein zentrales Motiv klammern: "Sie gedachte auch künftig die Kontrolle zu behalten". Immer wieder spricht Sibylla davon, immer wieder denkt sie darüber nach, dass sie über ihr Leben herrschen will - im Verhältnis zu dem 15-jährigen Patrik, der ihr als einziger wie ein Freund zur Seite steht, genauso wie im entscheidenden Ringkampf mit dem wahren Mörder. Dieser leuchtend rote Faden stört mehr als er orientiert - verkrampft gehorcht Sibylla dem Bedürfnis nach einem selbstbestimmten Leben in jeder Situation, als gehe es um nichts anderes als die Verwirklichung eines Schemas.
Kein Zweifel, Karen Alvtegen blickt ihren Figuren ins Herz - aber bei weitem nicht so tief und so scharf wie etwa Henning Mankell. Doch das ist nicht der einzige Grund, warum man von einem Vergleich der beiden Autoren die Finger lassen sollte: Entscheidend ist vielmehr auch, dass Alvtegen für die sozialen und politischen Bedingungen von Mord und Totschlag wenig übrig hat, die Mankell dagegen sehr interessieren. Ihr geht es darum wie Beziehungs- und Familienkonflikte eine junge Frau zugrunde zu richten drohen. Und wie sie sich mit Händen und Füßen dagegen wehrt.

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