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Der Werdegang des Orquesta Anacaona, erzählt von Alicia Castro, die zwölfjährig am Saxofon begann und ein halbes Jahrhundert später Bandleaderin wurde...
Wenn mal wieder irgendwann im Irgendwo Compay Secundos Hände über einen Gitarrenhals oder Congas gleiten, wenn aus einem verstimmten Piano zu gedämpfter Trompete die blue notes aus den Lautsprechern kullern, schwarzblau wie der Schmutz unter den Fingernägeln der Spieler... wenn man sich irgendwann mal wieder irgendwo ausmalt, wie sie da sitzen, einer älter als der andere, Haut wie Leder, tiefe Falten vom Lächeln, Augen wie achtsame Reptilien... dann wird man sich früher oder später, wenigstens einen Moment lang fragen, wie sich das anfühlte, für Ry Cooder und Wim Wenders, als sie da wie Ethnologen im tiefsten Urwald auf diese Insel kamen und Klänge vernahmen, die nur weitab von McDonald's und anderen Globaltätigen gedeihen können. Der Kuba-Boom hatte seine Zeit. Trendologen zufolge ist er out. Out, abgehakt, vorbei. So wie eben alles früher oder noch früher out ist, alles was sich der sabbernde und schlabbernde, der ewig hungrige Allesfresser namens Kapitalismus so einverleibt.
Die Geschichte von Anacaona (Econ) - neun Schwestern plusminus ein oder zwei, je nach Line-up – begann am Schwarzen Freitag. Ihr Vater, der Gemüsehändler Matías Castro, verlor seine Ersparnisse. Die zweitälteste Tochter konnte kurz darauf wegen Schließung der Universität nicht weiterstudieren, und die Schwestern gründeten Anacaona, "das erste weibliche Septett Kubas, das Son spielte". Benannt nach einer indianischen Fürstin, die Kolumbus und seine Mannen das Fürchten lehrte, spielten die Chinitas um Cachita und Cuchito so auf, dass es den Gringos und Männern der Straßencafés von Havanna Kopf und Sinne verdrehte. Hübsch wie Latinos, adrett – und zeitgemäß – gekleidet, zum Teil minderjährig, spielten sie Son, Rumba und Mambo; also ganz und gar nicht das, was sich in den Dreißigern ziemte (Walzer, Paso Doble, gesitteter Danzón). Und so spielten und klapperten und klepperten die Castro-Schwestern auf Maracas und Kontrabass, manchmal auch mit Käse-Raspel (bei knie-erweichender Session mit Frank Emilio Flynn, siehe DVD Anacaona: Ten Sisters of Rhythm, Pa'ti Pa'mi/in-akustik). Sie tourten und amüsierten sich vor den Aires Libres von Havanna, in New York mit Buddy Rich, in Paris mit Django Reinhardt... und da nicht alle von ihnen gestorben sind, berichtete die über 80-jährige Alicia ihrer Nichte, was das Orquesta Anacaona zwischen 1932 und 1989 alles durchmachte, natürlich auch, wie es in den Schatten lateinamerikanischer Militärregimes lebte, unter dem Diktator Machado, wie es den Tyrannen Batista überlebte und sich schließlich mit Fidel arrangierte.
Doch der Spaß, das Unbekümmerte waren hin. Als die Chinitas noch mit Ozeandampfer den Atlantik überquerten, als Dizzy Gillespie die wahrlich außerordentliche Percussionistin ausspannen wollte, kam der Cha-Cha-Cha aus voller Überzeugung (wie bei Aufnahmen mit Ciro Rimac zu hören); doch den Blues alternder Landsmänner bekamen die Schwestern nie wirklich in den Griff. Genau betrachtet – besser: belauscht – waren sie als Musikerinnen zwar auf beachtlich vielen Instrumenten so gut wie zuhause, als Ensemble dann aber doch sehr abhängig von ihren Gast-Sängerinnen (allen voran Graciela Pérez und die "leading lady of the Buena Vista Social Club, Omara Portuondo").
So sind die Histörchen zum Business beeindruckend (Tagesgage pro Kopf: 1 Peso bzw. Dollar), die zur Politik spannend, richtig engagiert aber die zur Mode: "Wir betrachteten die Filmstars mit langen, sehr engen Roben, einem aufreizenden Schlitz am Bein entlang, selbstverständlich tiefen Dekolletees und nicht selten auch noch freien Schultern. Strapless nannte man es – das klingt wirklich besser als Baja y chupa, ‚zieh runter und saug (am Busen)', wie Männer heute sagen"... Ans Eingemachte geht es auch in den Anekdoten zum Leben auf Achse, zum Erwachsenwerden in der Elektrik der Nacht, den wichtigsten Griffen einer Musikerin – "Dazu muss man wissen, dass Musiker eine alte Tonreihe kennen, die besagt: Steck ihn lieber in die F... deiner Mutter!' Die Melodie zum Spruch versteht jeder."
Die Vielzahl an Klängen und Kniffs machen Anacaona zu einer fast polyrhythmischen Lektüre. Nicht immer felsenfest, aber zumeist charmant klappernd und kleppernd...
© Matthias Penzel, 2004. Original erschien dieser Artikel in Rolling Stone 1/2003
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