Sebold Alice
In meinem Himmel
Bestseller. Manhattan, München. 384 Seiten. 21.90 EUR . ISBN: 3-442-54552-8
Der Schrecken auf Erden ist real, und er ist alltäglich
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Mit “In meinem Himmel” hat die amerikanische Autorin Alice Sebold in ihrem Heimatland die Bestsellerlisten gestürmt, und jetzt glauben viele deutsche Leser, dass sie ihr nun auch bei uns erschienenes Roman-Debüt nicht verpassen dürfen.
Wer sich vornimmt, das Buch zu lesen, sollte sich nicht an Esoterik und Kitsch stoßen. Davon ist nämlich jede Menge in Sebolds Werk vorhanden, wenn auch die Kern-Themen Vergewaltigung, Mord und Familienzerfall durchaus ernst und mitreißend behandelt werden.
Susie Salmon wurde im Jahr 1973 im Alter von 14 Jahren Opfer eines brutalen Sexualdelikts. Ein merkwürdiger Nachbar, dem keiner zutraut, dass er bereits einige Frauen und Mädchen auf dem Gewissen hat, vergewaltigt das Kind und lässt die zerstückelte Leiche verschwinden.
Vom Himmel aus beobachtet Susie, wie ihre Familie, die Polizei und die Einwohner der Kleinstadt in Pennsylvania, wo Susie eine glückliche Kindheit in einer ganz normalen Mittelstandsfamilie verbracht hat, vergebens nach ihrer Leiche suchen. Ein Ellbogen – das muss den Eltern über Jahre hinweg als Indiz ausreichen, um die Hoffnung aufzugeben, dass ihre Tochter plötzlich quicklebendig wieder auftaucht.
Susie schaut von ihrer hübschen himmlischen Sphäre aus zu, wie ihre beiden jüngeren Geschwister, Lindsey und Buckley, erwachsen werden und versuchen mit ihrem Tod umzugehen. Lindsey nimmt dabei die Rolle von Susies Stellvertreterin auf Erden ein. Susie erlebt gemeinsam mit ihrer Schwester das, was sie selbst nie erleben durfte, intensiv mit: die Entwicklung zur richtigen Frau mit Erfahrungen wie der ersten großen Liebe und dem ersten Mal.
Die Ehe der Eltern zerbricht am Tod der Tochter, da beide auf ganz unterschiedliche Weise versuchen, das schreckliche Erlebnis zu verarbeiten.
Alice Sebold verbindet die kitschige Himmelssphäre und die irdische Ebene ähnlich, wie man es aus amerikanischen Kinofilmen wie “Ghost – Nachricht von Sam” oder “Stadt der Engel” bereits kennt. Das Jenseits ist gar nicht schlimm und wenn Menschen meinen, dass sie Geister sehen, müssen sie nicht glauben, dass sie verrückt sind: Ja, die Verstorbenen schwirren wirklich manchmal hier bei uns herum!
Dass das Buch in Amerika und auch in Deutschland so großen Anklang findet, liegt vielleicht daran, dass die Autorin keinen Hehl daraus macht, dass überall um uns herum grausame Dinge geschehen, die wir Menschen nicht durchschauen, weil wir sie nicht wahrhaben wollen. Die Protagonistin Susie sieht dies erst nach ihrem Tod, aber ist ohnmächtig, ihrer Familie diese Einsicht zu vermitteln: “An diesem Tag wurde mir bewusst, dass ich die Geschichte meiner Familie erzählen wollte. Denn der Schrecken auf Erden ist real, und er ist alltäglich. Er ist wie die Blume oder wie die Sonne; er lässt sich nicht beherrschen.”
Die amerikanische Schriftstellerin beschreibt alle Charaktere detailliert auf eine Weise, dass man jedes einzelne Schicksal, jede persönliche Entwicklungsgeschichte in nächster Nähe mitfühlen kann.
Sie schreibt in einer bildhaften Sprache und insbesondere bei den Szenen droben im Himmel lässt sie ihrer Fantasie freien Lauf.
Gerade beim Ausmalen ihres Kitsch-Himmels hätte sie sich lieber etwas zurückhalten sollen, denn so aufgeklärt sind wir heute, dass wir nicht mehr an ein Jenseits glauben, das dem Schlaraffenland gleicht und in dem sich alle lieb haben. Mag sein, dass viele Leser allerdings genau das anziehend finden: Die Autorin tröstet noch während sie das Schicksalhafte und Böse auf der Welt vorführt. Alles wird gut – Mit dieser Aussicht können wir ohne Angst einschlafen. Und es ist nur halb so schlimm, wenn das passiert, bevor Sie das Buch zu Ende gelesen haben: Denn da gibt Sebold noch einmal kräftig Gas und übertrifft alle vorherigen Kitsch-Szenen um ein Vielfaches. Alle die nicht finden, dass Susies Reinkarnation, nur damit auch sie mal richtigen Sex hatte (wenn auch nur im geliehenen Körper eines Mediums), lächerlich ist, der sollte die nächsten Esoterik-Tage auf keinen Fall verpassen.
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